aus Tagesspiegel, 29. 7. 2025 Dame mit Rosenhut, 1908 zu Geschmackssachen


Für die Nationalgalerie war es ein Coup, 1929 das monumentale Werk von der Witwe Charlotte Berend-Corinth erwerben zu können. Zahlreiche Bilder des wichtigsten Vertreters des deutschen Impressionismus befanden sich bereits im Bestand. Mit Max Liebermann und Max Slevogt gehörte er zu den Heroen der Sammlung.
Lange blieb das Gemälde nicht. 1937 wurde „Ecce Homo“ von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und wenig später in der Feme-Schau „Entartete Kunst“ in München gezeigt, ein Pranger der anderen Art. Nach Berlin kehrte es nie mehr zurück. Stattdessen wurde das Bild in Luzern versteigert, um dem Deutschen Reich Devisen einzutragen. Gelohnt hat es sich nicht, die Bieter hielten sich gezielt zurück.

Seitdem befindet sich „Ecce Homo“ im Kunstmuseum Basel. In West-Deutschland wurde es zum Sinnbild der geknechteten Kunst während der NS-Zeit. Als der ehemalige Nationalgalerie-Direktor Ortwin Rave nach Kriegsende seine Erinnerungen veröffentlichte, ließ er „Ecce Homo“ symbolträchtig auf den Titel setzen. Die Leidenden waren nun die Museen, die zahllose Bilder verloren hatten, allein die Nationalgalerie über 500, darunter 17 von Corinth.
In der Präsentation der Alten Nationalgalerie zum 100. Todestag des Künstlers ist deshalb nur eine Reproduktion zu sehen. Das Original blieb in der Schweiz. Jubiläumsausstellungen sehen eigentlich anders aus, ansonsten mit üppigen Leihgaben, prächtigen Bilderreigen – wie damals, als die Nationalgalerie den 65. Geburtstag ihres Malerhelden zelebrierte. 150 vornehmlich jüdische Sammler stellten bei seiner Gedenkausstellung im darauffolgenden Jahr Werke zu Verfügung, allein das machte ihn den Nationalsozialisten verdächtig.
Das Trojanische Pferd

Hundert Jahre später nimmt das Museum stattdessen die Gelegenheit wahr, an Corinths Beispiel die Folgen der Aktion „Entartete Kunst“ aufzuarbeiten. „Im Visier!“ lautet der Ausstellungstitel, in Gelb und wie gestempelt, um den Appeal einer behördlichen Maßnahme zu suggerieren. Statt gefeiert, wird geforscht.

Neben
Dieter Scholz und Andreas Schalhorn vom Kupferstichkabinett für die
Grafik gehört deshalb Provenienzforscher Sven Haase zum Team.
Herausgekommen ist eine Ausstellung in fünf Kapiteln, welche die
kurvenreichen Wege der Werke nachvollziehen – herein und heraus aus dem
Bestand, ebenso nach Teilung und Wiedervereinigung der Sammlungen in
Ost- und West-Berlin.

Stringent waren die Kriterien für „entartete Kunst“ 1937 nicht: Sie konnte avantgardistisch sein oder von Künstlern stammen, die jüdischer Herkunft waren oder politisch Oppositionelle. So hetzte der Präsident der NS-Reichskammer gegen Corinth, er habe „nach seinem zweiten Schlaganfall nur noch krankhafte und unverständliche Schmierereien“ hervorgebracht. Dabei malte er schon vorher expressiv.
So befand die Kommission bei der „Inntal-Landschaft“, die untere Hälfte sei genehm, der Himmel dagegen „entartet“. Wie durch ein Wunder kehrte das Bild mit zwei weiteren nach seiner Konfiszierung zurück, eine Erklärung dafür gab es nicht. Dazu gehörte auch das „Trojanische Pferd“ von 1924, das sogar in der Ausstellung „Entartete Kunst“ zu sehen war. Möglicherweise bewirkten Besucherbeschwerden die Rückgabe. Zum Teil arbeiteten die Behörden sogar gegeneinander an: Während das Propagandaministerium beschlagnahmen ließ, überwies das Bildungsministerium verfemte Kunst an die Museen, um sie loszuwerden.
Nach Krieg und Mauerbau versuchten die Nationalgalerien beiderseits der Grenze ihre Bestände wieder aufzufüllen. Elf Werke musste die Nationalgalerie Ost abstoßen, um in London den kapitalen „Simson“ zu erwerben; in West-Berlin halfen dagegen der Senat und die Freunde der Nationalgalerie, „Walchensee“ und die „Rosa Rosen“ wieder zurückzukaufen. Ein Happy End. Der Werdegang der Bilder macht allerdings beklommen.

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