aus derStandard.at,17. Juli 2025 Ein Knoten aus einem geschlossenen Ring. Mit solchen Objekten beschäftigt sich die Knotentheorie. (zu Jochen Ebmeiers Realien)
Hierzulande wird zur Bezeichnung eines Streits gern das Wort "Wickel" verwendet. Das deutet an, dass es sich um eine komplizierte Situation handeln kann, manchmal ähnlich schwer aufzulösen wie eine verwickelte, verknotete Schnur. Eine besonders prominente Entsprechung hat dieses Bild in der Antike.
In der phrygischen Stadt Gordion stand einst ein Streitwagen, der mithilfe ausgesprochen kompliziert verknoteter Seile mit dem Joch verbunden war. Der antike Geschichtschreiber Plutarch berichtet von einer damals erzählten Legende, wonach derjenige, der diesen "gordischen" Knoten lösen konnte, dazu bestimmt war, der König der Welt zu werden.
Als Alexander der Große das phrygische Reich inklusive der Stadt Gordion einnahm, riss ihm beim Entknoten des symbolträchtigen Seilgewirrs schnell der Geduldsfaden. Er nahm sein Schwert zu Hilfe und machte deutlich, mit welchen Mitteln er die Herrschaft über die Welt an sich reißen wollte.
Knoten haben, neben der Neigung, schnell kompliziert zu werden, noch eine andere Eigenheit: Sie bestehen gewissermaßen aus nichts. Das Material des Seils, aus dem man sie knüpft, ist für viele – wenn auch nicht alle – ihrer interessanten Eigenschaften egal. Es handelt sich bei Knoten, wie bei Zahlen, um pure Ideen. Und wie Erstere sind sie damit der Behandlung durch Mathematik zugänglich.
Zum Gebiet der Knotentheorie, wie das damit verbundene Feld heißt, gibt es nur eine Kleinigkeit anzumerken: Knoten mit offenen Enden wie jener, den Alexander vorfand, sind nicht Gegenstand der mathematischen Knotentheorie. Sie lassen sich im Prinzip immer lösen und würden daher als trivial angesehen. Die Mathematik interessiert sich hingegen für Knoten in geschlossenen Schleifen und fragt beispielsweise, ob sich bestimmte Knoten in andere umwandeln lassen.
Ganz fern der Praxis sind diese Betrachtungen nicht. So wird die Komplexität eines Knotens, etwas vereinfacht gesagt, dadurch beschrieben, wie oft ein fiktiver Alexander mit seinem Schwert schneiden müsste, um ihn zu lösen. (Genau genommen müssen die Enden nach jedem Schnitt sofort wieder zusammengeklebt werden, weil sonst der oben beschriebene triviale Fall mit offenen Enden entstehen würde.)
Um diese Kompliziertheit von Knoten drehte sich eine wichtige, bisher unbewiesene Vermutung der Knotentheorie. Es geht um die Frage, wie sich die Kombination zweier Knoten auf die Schwierigkeit auswirkt, sie zu lösen. Intuitiv scheint klar: Fügt man dem Gordischen Knoten weitere Windungen hinzu, macht das die Situation nicht eben leichter. Alexander müsste sein Schwert wohl mindestens so oft einsetzen, wie es für die beiden einzelnen Knoten nötig wäre. Doch stimmt das wirklich in jedem denkbaren Fall?
Im Jahr 1937 publizierte der Mathematiker Hilmar Wendt im Fachjournal Mathematische Zeitschrift eine Studie mit dem sinnigen Namen "Die gordische Auflösung von Knoten", in der er vermutet, dass Knoten bei ihrer Kombination immer mindestens so kompliziert sein müssen wie die einzelnen Knoten zusammengenommen. Die Zahl der für ihre Auflösung nötigen Schnitte sollte sich für die zwei Knoten einfach addieren.
Nun gelang es dem Mathematiker Mark Brittenham und der Mathematikerin Susan Hermiller, beide von der US-amerikanischen Universität Nebraska, das Problem zu entwirren. Sie reichten eine neue Studie darüber zur Publikation in einem Fachjournal ein und veröffentlichten sie vorab auf einem Preprint-Server. Und die Radikalität der Lösung steht jener von Alexander im Fall des Gordischen Knotens kaum nach.

Entscheidendes Gegenbeispiel
Die beiden näherten sich der Frage ohne große Erwartungen und fanden dabei völlig überraschend ein Gegenbeispiel, das Wendts Vermutung gewissermaßen mit einem Schlag nichtig macht. "Die Vermutung gibt es seit 88 Jahren, und je länger die Leute nichts Falsches daran fanden, desto größer wurde die Hoffnung, dass sie wahr sein könnte", sagt Susan Hermiller gegenüber dem Wissenschaftsmagazin New Scientist. Doch Hermiller und Brittenham fanden zwei Knoten, die bei Kombination tatsächlich leichter zu lösen sind, als es Wendts Vermutung besagt.
Damit war der Bann gebrochen, erzählt die Mathematikerin: "Zuerst fanden wir einen, und dann fanden wir schnell unendlich viele Knotenpaare, deren Kombinationen Entknotungszahlen hatten, die streng kleiner waren als die Summe der Entknotungszahlen der beiden Teile." Damit ist zugleich klar, dass das Lösen mathematischer Knoten bei weitem nicht so gut verstanden ist, wie man lange Zeit glaubte.
Bemerkenswert ist, dass die beiden nicht die Einzigen waren, die nach einem Gegenbeispiel für die Vermutung von 1937 gesucht hatten. Auch der Mathematiker Andras Juhasz von der Universität Oxford hatte sich dem Problem gewidmet, und zwar mit prominenter Unterstützung des bei der Lösung kniffliger Naturwissenschaftsprobleme extrem erfolgreichen KI-Unternehmens Deep Mind, das zu Google gehört. Juhasz hatte sich über mehr als ein Jahr vergeblich die Zähne daran ausgebissen und die Arbeit daran schließlich aufgegeben. "Es ist möglich, dass KI nicht das beste Werkzeug ist, um Gegenbeispiele zu finden, die einer Nadel im Heuhaufen ähneln. Ich glaube, dass dies ein schwer zu findendes Gegenbeispiel war, weil wir ziemlich intensiv gesucht haben", sagt er.
KI ist also offenbar kein scharfes Schwert zum Lösen der mit Knoten verbundenen Probleme. Diesmal hat menschliche Geschicklichkeit den Sieg davongetragen. Womöglich wird das populäre Sinnbild von Gewalt zur Lösung komplizierter Probleme auch überstrapaziert. Zur Geschichte von Alexanders Auflösung des Gordischen Knotens gibt es nämlich noch eine alternative Version. Plutarch berichtet, dass gemäß Alexanders Begleiter Aristobulos kein Schwert zum Einsatz gekommen ist. Alexander zerlegte stattdessen die Deichsel des gordischen Wagens und konnte dann den Knoten einfach lösen. Man ist geneigt, dem Schüler des Philosophen Aristoteles Derartiges zuzutrauen.
Nota. - Ob aber KI einen solchen Metaknoten in 3D ausdrucken kann? Vielleicht hat es ja auch Vorteile, dass sie nicht 'in der Welt' ist. (Im Raum ist sie allerdings auch, selbst wenn sie nichts davon wüsste; nicht ihre Intelligenz, aber ihre Hardware. Die hat sogar einen Körper in der Zeit, doch 'in der Welt' ist auch der nicht.
JE
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