Freitag, 18. Juli 2025

Stress festigt Kollektive.

Symbolbild von zwei gegnerischen Menschengruppen, die über einen Graben hinweg Tauziehen
aus scinexx.de, 17. 7. 2025                                                                                      zu öffentliche Angelegenheiten

 Warum Stress zu Konflikten zwischen Gruppen führt
Stress schweißt Nachbarn zusammen und bringt Fremde gegeneinander auf

„Wir gegen die anderen“: Wenn wir Stress empfinden und unser Körper mit Stresshormonen geflutet wird, schweißt das die Mitglieder einer Gruppe zusammen. Sie verhalten sich dann kooperativer gegenüber Nahestehenden, wie ein psychologisches Experiment demonstriert. Gleichzeitig kann Stress aber auch Aggression gegenüber Fremden auslösen. Diese scheinbar gegensätzlichen Effekte könnten erklären, warum sich gewaltsame Konflikte zwischen Gruppen manchmal hartnäckig halten und sich in anderen Fällen rasch lösen.

Wenn wir gestresst sind, sorgt unser Gehirn dafür, dass die Nebenniere die Stresshormone Cortisol und Noradrenalin ausschüttet. Diese Botenstoffe helfen uns dabei, auf den Stressauslöser zu reagieren – beispielsweise durch Flucht oder Kampf. Die Stresshormone fördern dann Aggression, Misstrauen, Egoismus und Konkurrenzdenken. Doch es gibt nicht nur negative Effekte: Neuere Studien belegen, dass Stress uns auch dazu anregen kann, neue Freundschaften zu knüpfen und soziale Beziehungen aufzubauen, um langfristig Unterstützung und Schutz zu erhalten. 
Schematische Abbildung des Spielszenarios
Schematische Abbildung des Spielszenarios.

Aber welches Verhalten überwiegt bei Stress: prosoziales oder feindseliges? Und wie wirken sich die beiden Stressbotenstoffe Cortisol und Noradrenalin konkret auf die jeweilige Stressantwort aus? 

Wie wirkt sich Stress auf Gruppengefüge aus?

Das haben nun Psychologen um Damon Dashti von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) in einem psychologischen Experiment untersucht. Dafür erhielten 90 Testpersonen entweder eines der Medikamente Hydrocortison oder Yohimbin, beide gemeinsam oder ein Placebo. Hydrocortison imitiert die Aktivität des Stresshormons Cortisol, Yohimbin verstärkt die Wirkung von Noradrenalin. Die Forschenden verursachten so absichtlich eine Stressreaktion im Körper dieser Versuchsteilnehmer.

Egoismus schafft Gemeinsinn - Auf der Suche nach den Triebkräften der Kooperation

Anschließend wurden die Teilnehmenden in Dreiergruppen aufgeteilt, die gegeneinander in einem Spiel antraten. Jede Versuchsperson spielte drei Runden in ihrer „Ingroup“, jeweils gegen ein anderes Gegner-Team. Pro Runde erhielt jede Person zehn Euro, die sie entweder selbst behalten oder einen Teil davon investieren konnte. Von diesen Investitionen profitierten dann entweder nur die Mitglieder der eigenen Gruppe oder es profitierte die Ingroup und zugleich wurden die Gegner finanziell geschädigt.

Dabei ging es um reales Geld – die Gewinne konnten die Testpersonen mit nach Hause nehmen. Gestartet wurden die Spielrunden stets durch einen Stressauslöser: einen simulierten Angriff durch eine feindliche Gruppe, die der Ingroup der Testpersonen vermeintlich Geld wegnahm.

Zwei Stresshormone, zwei unterschiedliche Reaktionen

Es zeigte sich: Die Testpersonen reagierten in dem Spiel sehr unterschiedlich, je nachdem, welche Medikamente ihnen verabreicht wurden. „Cortisol förderte kooperatives Verhalten innerhalb der eigenen Gruppe“, berichten Dashti und seine Kollegen. Die Testpersonen, die das Cortisol-ähnliche Stresshormon Hydrocortison erhalten hatten, teilten in dem Spiel rund 22 Prozent mehr von ihrem Geld mit anderen als die Menschen aus der Placebo-Gruppe, die das Geld eher für sich behielten.

„Noradrenalin hingegen verstärkte feindseliges Verhalten gegenüber Fremdgruppen, selbst wenn es mit finanziellen Kosten für die Versuchspersonen verbunden war“, so Dashti und seine Kollegen weiter. Die Testpersonen, die das Noradrenalin-pushende Medikament Yohimbin erhalten hatten, teilten in dem Spiel elf Prozent mehr von ihrem Budget, allerdings nur, wenn dabei die gegnerische Gruppe das Nachsehen hatte. Zum alleinigen Vorteil ihrer Ingroup gaben sie nicht mehr her.

Versuchspersonen, die beide Medikamente erhielten, verhielten sich dagegen genauso wie die Placebo-Gruppe. In diesem Fall hoben sich die Effekte offenbar gegenseitig auf, wie die Forschenden schlussfolgerten. Unterschiede zwischen den Geschlechtern stellten sie ebenfalls keine fest.

Stress ist nicht pauschal schlecht für den Zusammenhalt

Aus diesen Resultaten schließen die Psychologen, dass sich persönlich empfundener Stress ganz unterschiedlich auswirken kann. Er kann den Zusammenhalt fördern oder auch Aggressionen befeuern – meistens tritt beides gleichzeitig auf: „Diese Reaktionen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern spiegeln vielmehr unterschiedliche Facetten des Stressadaptionsprozesses wider“, so das Team um Dashti.

„Stress macht nicht pauschal aggressiv oder kooperativ. Je nach neurochemischem Pfad, der in der physiologischen Stressantwort überwiegt, und je nachdem, mit wem man es zu tun hat – Freund oder Gegner – kann eines der beiden Verhaltensmuster dominieren“, erklärt Seniorautor Tobias Kalenscher von der HHU.

Welche Art von Stress im Körper dominiert?

Dabei kommt es auch darauf an, wie die Botenstoffe in unserem Körper wirken: Glucocorticoide wie Cortisol stellen eine eher langsame Stressreaktion dar. Sie halten uns wach und fit, indem sie unter anderem Blutzucker und Immunreaktionen steuern. Das erleichtert das Durchhalten in Stresssituationen und fördert prosoziales Verhalten. Dies ist vor allem dann vorteilhaft, wenn es um eine konfliktfreie Aufarbeitung der Schäden im Nachgang geht, schließt das Team aus dem Versuch.

Das Noradrenalin hingegen fördert eine schnellere und aggressivere Reaktion während des laufenden Konflikts. Es erhöht die Leistungsbereitschaft und Erregung unseres Körpers, indem es unwillkürlich Herzfrequenz und Blutdruck steigert. Das macht uns bereit für Flucht oder Kampf. Je nachdem, welches Hirnareal und welcher Signalweg aktiviert wird, ist unser Körper also in einem anderen Stresszustand – und reagiert mit anderen Stressantworten, wie der Versuch zeigt.

Das könnte helfen zu verstehen, warum es unter bestimmten Voraussetzungen zu gewaltsamen Konflikte zwischen Gruppen kommt und sich die Fronten verhärten. Stress kann dabei zur „Wir-gegen-die-anderen“-Mentalität beitragen und die Polarisierung vorantreiben – oder sie eben auch mindern und zur Lösung des Konflikts beitragen. Die Stressreaktionen „Kampf-oder-Flucht“ und „Pflege-und-Freundschaft“ sind demnach zwei Seiten derselben Medaille. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2025; doi: 10.1073/pnas.2502257122

Quelle: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

 

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