zu öffentliche Angelegenheiten
Die
Unterscheidung der politischen Parteien nach Rechts und Links geht auf die
Sitzordnung in Parlamenten zurück.
Im britischen
Unterhaus sitzt noch immer die jeweilige Regierung rechts vom Spea-ker, ihrer Majestät loyale
Opposition sitzt links, und wechseln einander ab. Im Kon-vent der franzöischen
Revolution saßen die Jakobiner oben auf dem Berg,
unten die gemäßigte Gironde,
dazwischen le Marais, der Sumpf.
Erst in der
„unauffindbaren“ Deputiertenkammer unter Ludwig dem XVIII. saßen die
Volksvertreter der Regierung gegenüber. Die Sitzordnung war bestimmt von den
äußersten Polen her. Rechts die Parteigänger der bourbonischen Restauration, links
die verbliebenen Sympathisanten der Revolution. In der Mitte die Partei des
Sowohl-als-auch, einerseits-andererseits und von-allem-ein-Bisschen.
Erst im
Parlament des Bürgerkönigs Louis Philippe beanspruchte die Mitte ein eigenes
Profil, das juste milieu, von
Anbeginn ein Gespött. Wo ihr Platz war, be-stimmten weiterhin die Extreme;
rechts die royalistisch Legitimisten, links jene, die der Revolution treu
bleiben wollten. Dazwischen das Programm des Status quo.
Nach der
Revolution von 1848 erhob sich die Mitte als Bonapartismus „über die Parteien“: rechts weiterhin die
Legitimisten, links die Anhänger der Roten Revolu-tion, die sich in der
Juniinsurrektion formiert hatten. Der allen gemeinsame Bezugs-punkt verlagerte
sich seither ganz auf die Linke, die Partei des Proletariats; ab da die
verschiedenen Abschattungen der Mäßigung – bis ganz nach rechts, wo die
entschie-dene Konterrevolution ihren Platz hatte.
Die Pariser
Kommue machte die Anordnung kanonisch. Auch im neuen deutschen Reichstag saßen
die sozialdemokratischen Verteidiger der Kommune ganz links, in der Mitte die –
wechselnde – Mehrheit, die dem preußischen Bonaparte Bismarck huldigte, der
sich von den reaktionären Ultramontanen einerseits und den ostelbi-schen
Agrariern bald abzusetzen wusste.
Mit der
Oktoberrevolution wurde restlos klar: Auf der Linken die Partei der
Welt-revolution, ab da alle ihre Gegner. Die Rechte hat keinen eigenen
Definitionsgrund mehr, sie ist lediglich die Negation der Linken.
*
Spätestens mit
dem Jahr 1990 ist die Revolution als Option verschwunden. Was links sein soll,
lässt sich nicht mehr aus eigenem Grund definieren. Es ist nur noch das, was
neben der Mitte sitzt. Denn was ganz rechts sein würde, hat inzwischen einen
eigenen Bezugspunkt: keine Rückkehr zu einem historisch legitimierten Status quo ante, sondern die Errichtung
einer faschistischen Neuen Ordnung ohne Parla-mente – aus denen sie weitgehehnd
ferngehalten wird. Sie gilt als illegitim und kommt als Orientierungspol nicht
mehr in Frage.
Erst seither
ist die Mitte zum Bezugspunkt der
Flügel geworden, statt dass die je-weils äußeren Ränder bestimmen würden, wo die Mitte ist. Sie müsste sich
program-matisch selbst bestimmen. Einst lag die Mitte zwischen der Revolution
und der Er-haltung der Ordnung. Links war die Auflösung, rechts die Bewahrung
überkomme-ner Strukturen. Die Linke war fortschrittlich, konservativ die Rechte.
Die bürgerliche
Gesellschaft war selber nicht konservativ, sie war selber die Auflö-sung aller
vorgefundenen Strukturen in der Dynamik der Kapitalverwertung. Der Erhaltung
der Ordnung um jeden Preis verschrieb sie sich erst angesichts der dro-henden
Revolution. Diese Bedrohung ist nun hinfällig. Die gegebenen Strukturen sind
wieder, was sie 'von Natur' immer waren: Schranken für die gesellschaftliche
Dynamik; zum Beispiel – und vor allen andern – die Nationalstaaten.
Konservativ ist
nunmehr nicht die Einschränkung der gesellschaftlichen Dynamik in engstmögliche
Grenzen, sondern die Bewahrung des gesellschaftlichen Gleich-gewichts als
Bedingung der Dynamik.
Immer werden
die einen mehr auf die Bewahrung des Gleichgewichts, die andern mehr auf die
Entfaltung der Dynamik absehen. Die einen werden sich selber weiter-hin links nennen und die anderen neoliberal. Das ist anachronistisch und
wird sich nach und nach verlieren. Aber verschiedene ‚Sensibilitäten‘ wird es
immer geben, nur sind sie nun graduell und nicht länger weltanschauliche
Alternativen. Ob im gegebenen Moment mehr Gleichgewicht oder mehr Dynamik
angezeigt ist, lässt sich nicht aus Begriffen deduzieren, sondern muss jeweils
im Sichtflug ausprobiert werden. Rationelle Politik ist nunmehr pragmatisch.
Sie hat einen Namen und ein aussdrucksstarkes Gesicht: Angela Merkel.
*
Doch ganz
müssen wir auf Begriffe gottlob nicht verzichten. Die proletarische
Weltrevolution ist ausgeblieben. Denn ausgeblieben ist auch der ökonomische
Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaftsweise. In der Erwartung der
hi-storischen Linken hätte die Konzentration des Kapitals an einen Punkt führen
müssen, wo der schwindelererregend angewachsenen Mehrwertrate auf der einen
Seite auf der andern Seite eine schrumpfende Profitrate entgegestehen würde.
Der technische Fortschritt musste das fixe Kapital so zusammenballen, dass
neuentste-hendes Kapital sich nicht mehr verwerten könnte und brach liegenbliebe.
Die Pro-duktionskräfte hätten ‚aufgehört zu wachsen‘.
Das Gegenteil
ist eingetreten. Die digitale Revolution hat
die Produktivkräfte explo-sionsartig anwachsen lassen, wie es in keiner Science
Fiction vorhergesehen wurde. Sie hat einen Begriff,
der opportunistisches Wursteln in den nächsten Tag hinein unnötig macht: Es ist
die Ersetzung der lebendigen Arbeit durch maschinelle Intel-ligenz.
Die Ersetzung
von körperlicher Arbeit durch Maschinen war das Prinzip der ersten
industriellen Revolution. Neu ist, dass die Ingenieure durch ihre Erfindungen
nicht nur die Handarbeiter überflüssig machen, sondern auch sich selbst.
Entwerfen und Organisieren nach vorgegebenen Zwecken werden die Maschinen bald
besser ma-chen als lebendige Technologen. Den Menschen bleibt am Ende als Arbeit
nur üb-rig, neue Zwecke vorzugeben.
Einsparen von
Arbeitszeit war das Gesetz der industriellen Entwicklung. Aber Ein-sparung von
Zeit, um neue Arbeits zeit daraus zu
machen. Die digitale Revolution bringt diese Entwicklung zu ihrem Abschluss:
einsparen von Arbeitszeit, um freie
Zeit zu schaffen.
Das ist die
Dynamik, unter der es ein gesellschaftliches Gleichgewicht zu wahren gilt.
Immer weniger Arbeit für immer weniger Menschen – ein Menschheitstraum will
wahr werden! Ein Horrortraum droht: täglich wachsende Arbeitslosigkeit ohne
Aussicht auf ein Ende.
Links werden sich dann die nennen, die ‚Arbeit erhalten‘ wollen;
neoliberal werden die heißen, die
‚Arbeit freisetzen‘ und Freizeit schaffen wollen.
Die Auflösung
dieses Gegensatzes wäre das Programm eines Bedarfsunabhängigen Grundeinkommens. Darauf müssten sich die Linken wie die Neoliberalen der
Sache nach – wenn auch über die Wörter wieder heiß gestritten wird – eigentlich
leicht ver-ständigen können: die einen als eine Art generalisierter Grundsicherung alias Hartz IV/4.0; die
andern als die endlich ermöglichte freie
Entfaltung der Persönlichkeit. Im Detail werden dann die einen das BGE
lieber ein bisschen höher ansetzen wol-len, um das Gleichgewicht zu wahren, die
andern etwas niedriger, um mehr Dyna-mik zu riskieren. Es wird aber, wenn auch weiter
so getan wird, keine weltanschau-liche, sondern bloß ein pragmatische Frage
sein; man wird sich schließlich in der
Mitte entgegenkommen.
Als
ideologische Spinner dürften allein die Doktrinäre
des Eigentums übrigbleiben. Keine
Konservativen – keine Dynamik und kein Gleichgewicht! –, sondern ver-schrumpelte
Reaktionäre. Sie werden vielleich in der Wirtschaftsredaktion der Neuen Zürcher Unterschlupf suchen.
Doch in der
Schweiz wird inzwischen auch schon über ein Bedarfsunabhängiges Grundeinkommen
diskutiert.
9. 4. 16
Nota.
Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn
Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht
wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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