Wenn die Transzendentalphilosophie ihren Gang zuende gegangen ist, stellt sich heraus, dass es ein Zirkel war. Doch anders konnte es nicht sein.
Ausgangpunkt war die historisch-sachliche Gegebenheit von Vernunft in der Welt. Die Fra-ge, die zu klären war, hieß nicht: Hat sie ihre Sache bislang gut gemacht? Wo herrscht sie schon und wo hat sie noch zu tun? Sondern: Ist sie begründet und sind ihre Anmaßungen berechtigt? Beruht sie auf keinen anderen Annahmen als auf denen, die sie selbst gemacht hat?
Und wenn ja, dann ergibt sich ein Zirkel: Sie ist (in sich selbst) begründet, und ihre Ansprü-che gegen jeden aus der 'Reihe vernünftiger Wesen' stellt sie zu Recht; das eine bedeutet so viel wie das andere. Wäre es anders, hätte die Vernunft ihre Prüfung nicht bestanden. Aber wenn doch, so mag man ihr noch so viele Unvollkommenheiten vorwerfen, nur ihre Anfor-derung an jeden, tätig für sie Partei zu ergreifen, würde es erst recht bestärken. Die Ver-nunft selbst tut gar nichts, sie ist nur ein Noumenon. Die Vernünftigen müssen schon alles alleine machen.
Zum reinen Wollen gehört ein reiner Zweck.
Der letzte Grund, auf den die Wissenschaftslehre in ihrem ersten, analytischen Teil stößt, ist das Noumenon des Wollens-überhaupt. Aus dieser Triebkraft allein ist der wirkliche Gang der Intelligenz zu erklären (=der zweite, synthetische Gang der Wissenschaftsleh-re).
Das ist kein rein-logischer Gewaltakt; nicht weil es den Begriff Wollen-schlechthin geben kann, 'muss' es logischerweise den Begriff des Zwecks-schlechthin geben; und 'daher' müsse die Sache 'das Absolute' in den Vorstellungen wirklich vorkommen.
Sondern im zweiten, rekonstruierenden Gang der Wissenschaftslehre ist das Wollen-schlechthin sachliche Bedingung des Vorstellens. Das Was des Wollens ist das schlechthin Bestimmbare, das Zubestimmende. Das wirkliche Vorstellen ist immer nichts anderes als ein Fortschreiten in der Bestimmung - des Zwecks. Dieser Fortschritt geht ins Unendli-che und der Zweck-schlechthin bleibt auf ewig unbestimmt, weil bestimmbar. Ob er als solcher im Bewusstsein tatsächlich vorkommt, ist unerheblich: Er kann vorkommen, wenn man will; darauf kommt es an.
14. Juni 2016
'Reines' Wollen ist Wollen-überhaupt, nämlich das Wollen eines 'reinen' Zwecks: eines Zwecks-überhaupt, nämlich eines unbestimmten Zwecks; also ein unbestimmtes Wollen. Ein historisch-reales Wollen hat stets diesen oder jenen Zweck, es ist immer bestimmt und nie 'überhaupt'. Hier aber wird nicht Geschichte erzählt, sondern ein Modell entwor-fen. Nicht von reeller Verursachung ist die Rede, sondern von genetischer Dependenz.
4. 10. 20
Zweck-überhaupt.
Reelle Wirksamkeit ist nur möglich nach einem Zweckbegriffe, und der Zweckbegriff ist nur unter der Bedingung einer Erkenntnis, und diese unter der Bedingung einer reellen Wirksamkeit möglich; und das Bewusstsein würde durch einen Zirkel, und sonach gar nicht erklärt. Es muss daher etwas geben, das Objekt der Erkenntnis und Wirksamkeit zugleich sei.
Alle diese Merkmale sind nur in einem allem empirischen Wollen und aller empirischen Erkenntnis vorauszusetzenden reinen Willen vereinigt. Dieser reine Wille ist etwas bloß Intelligibles, wird aber, in wiefern es sich in einem Gefühl des Sollens äußert und zufolge dessen gedacht wird, aufgenommen in die Form des Denkens überhaupt als ein Bestimmtes im Gegensatze eines Bestimmbaren, dadurch werde ich das Subjekt dieses Willens, ein Individuum, und als Bestimmbares dazu wird mir ein Reich intelligibler Wesen.
Aus diesem reinen Begriffe lässt sich ableiten und muss abgeleitet werden das gesamte Bewusstsein.
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Wissenschaftslehre nova methodo, Hamburg 1982, S. 152
Nota. - Bislang hatte F. immer statt von einem reinen Willen, von einem reinen Wollen geredet wie von einer Tätigkeit. - Erinnert sei, dass es sich um eine Kollegnachschrift handelt.
JE
Das absolute Objekt der idealen Tätigkeit.
Der eigentliche Charakter der Anschauung kann nicht aufgehoben werden; wir haben aber einen Hang, ihn aufzuheben, weil im gemeinen Bewusstsein nie Anschauung, son-dern immer Begriffe vorkommen.
Das, was durch das Sein des Objekts aufgehoben wird, ist nicht Tätigkeit des Ich. In der Anschauung wird kein Ich gesetzt; das Ich verschwindet im Objekte. Die Anschauung geht auf das Objekt, das, was durch das Seiende ausgeschlossen / wird, ist auch ein Ob-jekt, es ist das Ideal als solches Objekt der Anschauung.
Das Objekt der erstbeschriebnen Anschauung ist ein Begrenzendes, Begrenztheit des Ich, aber qualis talis kann sie nicht gesetzt werden, das Ich kommt nicht in der Anschauung vor. Es ist also etwas der Anschauung Vorschwebendes, ein bloßes Objekt ohne Subjekt. Diesem soll etwas entgegengesetzt werden, welches dasselbe negiert, dies ist also Objekt in der höchsten Bedeutung; etwas, worauf die ideale Tätigkeit sich bezieht, das aber nichts ist, woraus das Streben erklärt werden soll. Dies ist das Ideal.
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J. G. Fichte, Wissenschaftslehre nova methodo, S. 84f.
Nota I. - Im gemeinen Bewusstsein kommen nur Begriffe vor, nicht aber die Anschauun-gen, die ihnen zu Grunde liegen. Das ist nun das primäre Spezifikum der Wissenschafts-lehre: dass sie auf die Anschauung geht und nicht auf die Begriffe. Das macht das grund-legend Kritische daran aus.
Doch das gemeine Denken bestimmt bis heute die Schulphilosophie. Wo über Fichte ge-schrieben wird, geschieht es - sei es zustimmend, sei es ablehnend - so, als habe er seine Philosophie aus Begriffen konstruiert und als dürfe man ihn mit einem Kant oder Hegel vergleichen. Es ist gut, dass er an dieser Stelle den Unterschied deutlich ausspricht, aber viel nützen wird es nicht.
Nota II. - Ein sachlich Neues ist in diesem Absatz die Idee eines absoluten Objekts der Anschauung, auf das die ideale Tätigkeit abzielt, das sie aber nicht begründet; nicht be-gründen muss, weil sie in der Freiheit schon immer selbstbegründet ist. Die Freiheit gibt die Kraft, die Richtung weist das Absolute - das Wahre, Unbedingte, Zweck der Zwecke.
21. 9. 16
Nota III. - Der kritische Regress der Transzendentalphilosophie hat eine einzige, erste Bedingung der Vernunft aufgefunden, ohne die sie schlechterdings nicht denkbar ist: eine an sich unbestimmte, bestimmbare und sich-selbst bestimmende prädikative Qualität.
Sie ist der absolute Anfang, von dem aus die Wissenschaftslehre den Selbstbestimmungs-gang der Vernunft rekonstuiert.* Doch ist es ein Gang ins Unendliche - das ewig unbe-stimmt Bleibende; immer weniger zwar, und doch absolut. Dieses wiederum ist der abso-lute Zweck der Vernunft.
'Das Absolute kann nicht gedacht werden, denn gedacht werden kann nur Bestimmtes; wäre es aber bestimmt, wäre es nicht absolut. Gedacht werden kann allenfalls, was es selbst bestimmt hat: die von ihm begonnene Kausalreihe. Nicht als Bestimmtes, doch auch nicht als Bestimmendes kann es gedacht werden - sondern nur als das, was vor dem Beginn der Reihe angenommen werden muss. Ein Akt der Freiheit kann, wie gesagt, nicht begriffen werden.' 17. 12. 16
Gedacht werden kann es nicht. Aber es gibt eine Weise, es anzuschauen.
JE, 10. 11. 18
*) '... im zweiten, rekonstruierenden Gang der Wissenschaftslehre ist das Wollen-schlechthin sachliche Bedingung des Vorstellens. Das Was des Wollens ist das schlechthin Bestimmbare, das Zubestimmende. Das wirkliche Vorstellen ist immer nichts anderes als ein Fortschreiten in der Bestimmung - des Zwecks. Dieser Fortschritt geht ins Unendliche und der Zweck-schlechthin bleibt auf ewig unbestimmt, weil bestimmbar. Ob er als solcher im Bewusstsein tatsächlich vorkommt, ist unerheblich: Er kann vorkommen, wenn man will; darauf kommt es an.' 14. 6. 16
Das Wirkliche schwebt zwischen zwei Unendlichkeiten.
Das Endliche ist das Übergehen zwischen zwei Unendlichkeiten. Es ist nur schwebend.
Das Endliche ist das Wirkliche; was wirklich ist, ist endlich. Nur Endliches ist anschaubar. Ein Unendliches wird überhaupt nur vorgestellt, weil die Einbildungskraft ihr Vermögen spürt (weil sie ein Wollen hat), über das Wirkliche hinauszugehen. Hinaus nach vorn und hinaus zurück. Nur im Denken schwebt das Wirkliche zwischen zwei Absoluten. In der angeschauten Wirklichkeit ist alles endlich; die Unendlichkeiten denkt sich lediglich die Reflexion als Fluchtpunkte hinzu, zwischen denen sie das mannigfaltige Endliche bestim-men kann.
[Nota für neue Leser. - Transzendentalphilosophie handelt nicht davon, was die Dinge sind, denn davon wissen wir nichts. Wir wissen nur von dem, was in unserem Bewusstsein vorkommt, aber das sind keine Dinge, sondern Bilder von Dingen. Die Bilder sind das, was die Dinge für uns bedeuten; aber sie bedeuten nichts an sich, sondern immer nur für jemanden, der sie sich vorstellt.
Mit andern Worten, wenn oben von endlich und unendlich die Rede ist, so sind selbstver-ständlich nur unsere Vorstellungen von Endlichkeit und Unendlichkeit gemeint.]
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