zu öffentliche Angelegenheiten
Das ist verdienstlich, dass die Darstellung eine Ebene wählt, wo die Quellen noch ihr Veto einlegen können. Doch so groß, wie der Rezensent meint, ist die Kluft zur 'großen Perspektive' nicht. Man erkennt es an dem Schlüsselwort, das in dieser kon-kret-quellenmäßigen Arbeit auffällig fehlt: Bonapartismus.
Oder hat es der Rezensent bloß übersehen? Kaum anzunehmen, denn er weist der Bismarck-schen Hybride von vornherein einen Platz an im großen historischen Bo-gen: als eine Übergangserscheinung.
Zur Erinnerung: Als Bismarck für den Norddeutshcne Bund das allgemeine Wahl-recht aus der Tasche zog, war die politische Welt perplex. Nicht so Karl Marx, der den Achtzehnten Brumaire geschrieben hatte: Der wusste vorher, dass Bismarck das tun würde; tun musste.
Zum konkret-quellenmäßigen Teil gehört, dass in dem System, das Bismrck auf sich selbst zu-geschneidert hatte, die Stelle des Bonaparte doppelt besetzt war: Pro for-ma und zur Legitimation mit "Lehmann", wie Marx und Engels ihn nannten, und am Steuerruder der Kanzler. Dass Lehmanns Enkel ihn feuern sollte, konnte er sich nicht vorstellen. Aber hat er sich vorgestellt, dass die Konstruktion ihn und seinen König überleben würde?
Kaum anzunehmen. Das Reich war, gut bonapartistisch, durch den intrigant her-beigeführten Krieg entstanden und würde auf die Dauer wohl durch kleinere Waf-fengänge immer wiedermal auf Vordermann gebracht werden müssen. Doch eine krachende Niederlage konnte es nicht überstehen.
Karl Liebknecht* hat immer wieder den bonapartistischen Chrakter des Weltkriegs auf deutscher Seite betont und die inneren Krisenerscheinungen im Lauf des Jahres 1913 hervorgehoben, die anzeigten, dass über den allgegenwärtigen Überdruss hin-aus, der im Zauberberg und dem Mann ohne Eigenschaften bezeugt ist, die Grund-lagen der Bismarck'schen Konstruktion brüchig geworden waren. Während Frank-reich Revanche wollte (und Elsaß-Lothringen), Russland den Bosporus, und auch England, das als einziges den Krieg hatte verhindern wollen, seinen Appetit auf die Dardanellen entdeckte, als er dann doch gekommen war, hatte das, wie Bismarck sagte, "saturierte" Kaiserreich gar keine originären Kriegsziele - außer eben die Generalmobilmachung für Kaiser und Reich selbst.
Nun ist Bonapartismus keine Beschwörungsformel. Erklären kann der Begriff gar nichts, wenn man seine Voraussetzung nicht kennt. Es war die im Jahre 1848 aus-gebliebene bürgerliche Revolution. Die Folge war eine unterworfene Bourgeoisie, die politisch mächtigen, vehement antiliberalen und antidemokratischen Ostelbier, und eine unaufhaltsam anwachsende Arbeiterbewegung. Mit den Agrariern, zu de-nen er selbst gehörte, auf der einen Seite und den parlamentarisch duchmarschie-renden Sozialdemokraten auf der andern konnte er die Liberalen erpessen, wie er wollte.
Im
selben Maße aber, wie Wilhelm II. - ähnlich übrigens wie Napoleon III. -
die technisch-industrielle Entwicklung vorantrieb, stärkte er auch
Industrie- und Bank-kapital, und symmetrisch die Arbeiterbewegung. Dass
der Untergang seines Reiches in eine proletarische Revolution mündete,
hatte seine historische Logik. Dass deren Niederlage dann weit
verheerendere Folgen gezeitigt hat als das Jammerspiel von 1848
allerdings auch.
*) Gesammelte Reden und Schriften, Bd. IX, Berlin (O) 1971
Kommentar zu Bismarcks hybrides Kaiserreich. JE, 17. 6. 21
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