Mittwoch, 9. Juli 2025

Dem Vertrauten vertrauen?


aus spektrum.de, 05.07.2025                                                                 zu öffentliche Angelegenheiten 
 
Ein Quantum Wahrheit:
Sieh an, sieh an!
Dinge, denen wir regelmäßig begegnen, erscheinen uns mit der Zeit attraktiver. Das besagt der Mere-Exposure-Effekt. Doch alles kann man sich nicht schöngucken, erklärt unser Psychologie-Kolumnist.
Irren tun immer die anderen. Man braucht etwas nur oft genug zu hören, um es zu glauben. Und wer sein Gegenüber imitiert, wirkt sympathisch. Der Wissenschaftsjournalist und Bestsellerautor Steve Ayan stellt in seiner Kolumne »Ein Quantum Wahrheit« die wichtigsten Effekte und Verzerrungen der menschlichen Psyche vor.
 

Zajonc! Wie gut gefällt Ihnen dieses Wort? Geben Sie ihm bitte einen Wert zwi-schen -5 (»furchtbar«) und +5 (»phänomenal«). Einen Moment Geduld, bitte, wir kommen gleich darauf zurück …

Bekanntlich kann man sich von anderen etwas abgucken oder sich in sie vergucken, man kann hin- und zu- und weggucken – aber kann man sich etwas auch schön-gucken? Und wenn ja, wie?

Das fragte sich vor etlichen Jahren der Psychologe Robert Zajonc. Dessen Nachnamen spricht man so ähnlich aus wie den der US-Sängerin Beyoncé, nur mit weichem Z statt B und ohne e am Ende. Zajonc selbst pflegte zu scherzen: »Zajonc reimt sich auf science.« Womit er seinen wissenschaftlichen Anspruch untermauern wollte.

Der Mann stammte aus dem polnischen Lodz, geboren 1923, und war nach der Nazizeit über Tübingen und Michigan an die Stanford University nach Kalifornien gelangt, wo er ein bekannter Experimentalpsychologe wurde. In einer seiner Studien präsentierte er Studierenden eine Menge Wörter, die ihnen nichts sagten – Kunststück, sie waren teils ausgedacht, teils etwa dem Türkischen entlehnt. Dennoch sollten die Probanden raten, ob die Ausdrücke eher etwas Positives oder etwas Negatives bedeuteten.

Der Clou: Die Wörter wiederholten sich im Verlauf des Tests unterschiedlich oft, manche alle naslang, andere so mittel und wieder andere erschienen nur ein einziges Mal. Und siehe da: Die Frequenz des Auftretens machte einen großen Unterschied. Oft gesehene Wörter wurden allmählich positiver bewertet.

Dasselbe Phänomen zeigte sich bei obskuren Schriftzeichen oder Passfotos unbekannter Personen. Je öfter gesehen, desto sympathischer wirkten sie. Ergo: Bekanntheit fördert die Attraktivität. Psychologen nennen das den Mere-Exposure-Effekt, übersetzt in etwa »Effekt des bloßen Kontakts«.

Zajonc erklärte sich seinen Befund so: Häufige Begegnung macht uns mit Dingen vertraut, und von Vertrautem geht keine Gefahr aus – im Gegenteil, man baut eine Bindung dazu auf. »Ach, du schon wieder! Na dann komm, lass uns Freunde sein.« Gemäß diesem Motto knüpfen wir auch soziale Beziehungen – oder glauben Sie etwa, ihre Freundschaften beruhten auf ähnlichen Interessen und Fähigkeiten oder gar jener ominösen »Chemie«, die »stimmt«? Nein, mit wem wir uns zusammentun, das entscheidet oft der Zufall, von manchen auch Schicksal genannt.

In einem Experiment platzierten Psychologen um Mitja Back von der Universität Münster Erstsemester in der Einführungswoche per Los in einem Saal und ließ sie sich dann reihum vorstellen. Im Jahr darauf prüften sie, ob die entstandenen Freundschaften eher vom Charakter oder von der Sitzordnung abhingen. Die Antwort ließe sich so übersetzen: Wenn der Typ schon neben mir sitzt, können wir auch Kumpels werden. »Freunde per Zufall« lautete denn auch der Titel der Arbeit.

Die Grenzen des Mere-Exposure-Effekts

Wie alles in der Psychologie hat auch der Mere-Exposure-Effekt Grenzen. Besonders zwei Bedingungen müssen erfüllt sein, damit er greift: Erstens darf man das betreffende Objekt oder die Person nicht schon von vornherein doof finden; dann droht häufige Begegnung nämlich, die Abneigung noch zu verstärken. Und zweitens darf keine Gewöhnung eintreten. Denn haben wir uns sattgesehen, ist nicht Sympathie, sondern eher Langeweile die Folge. Um dem vorzubeugen, braucht es intermittierendes Auftreten: immer mal wieder, aber nicht am laufenden Band.

Willentlich lässt sich das alles übrigens kaum beeinflussen. Es hilft also weder sich auf den Effekt zu konzentrieren noch ihn sich ausreden zu wollen. Und, wie gut gefällt Ihnen jetzt … Zajonc? Und Back? Nur schade, dass sie inzwischen zu viel wissen und nicht mehr »blind« sind; so macht die Abfrage keinen Sinn mehr. Aber das brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären!

Nota. -

Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. (Man kann es nicht bemerken, - weil man es immer vor Augen hat.) Die eigentlichen Grundlagen seiner Forschung fallen dem Menschen gar nicht auf. Es sei denn, daß ihm dies einmal aufgefallen ist. - Und das heißt: das, was, einmal gesehen, das Auffallendste und Stärkste ist, fällt uns nicht auf.
Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 129
Frankfurt am Main 2006, S. 304 

Das Selbstverständliche muss man nicht verstehen; es versteht sich von Selbst. Es ist das gestaltpsychologische Grund-Figur-Gesetz. Gesehen wird ein Bild. Es besteht wohl aus einer Figur auf einem Grund, doch wahrgenom-men wird die Figur - das, worauf sie erscheint, ist bloße Folie. 
 
Nämlich so im alltäglichen Erleben. Der Museumsbesucher sieht ein Bild. Darauf kann er, wenn er zu Kunstbetrachtung neigt, seinerseits Figur und Hintergrund unterscheiden - weil er danach sucht. Den Rahmen nimmt er allenfalls noch wahr als dessen Teil - als Akzent und womöglich als einen ästhetischen Kommentar: als Zugabe oder als Spitze.
 
Der Grund des Bildes ist aber das Museum; zuerst die Wand? Zuerst der ganze kulturelle Pomp, der nicht erst am Portal beginnt, sondern schon am begrünten Platz und der architektonisch aufwendigen Fassade.
 
Wer öfter ins Museum geht, wird das Drumherum schon gar nicht mehr bemerken, sondern eben bloß, als eines unter vielen andern, das Bild.  
 
Davon handelt die obige Untersuchung freilich nicht. Sie beschreibt nur, wie uns Unerhebliches durch regelmäßiges Wiederholen selbstverständlich werden kann - und womöglich einen Grund abgibt für ein als erheblich erlebtes Ereignis.
 
Die soziale und gar politische Pointe wäre aber, dass - und warum? - uns dieses erheblich und jenes unerheblich vorkommt.
 
Abgesehen davon besagt die Untersuchung nicht mehr als jener Satz aus Mein Kampf, die Eier des Kolumbus lägen auf der Straße; es müsse nur einer kommen und sie aufheben. Und es den andern immer wieder mal in die Ohren trommeln! So ist es dann gekommen, und es sieht so aus, als käme es mancherorts schon wieder dazu. 
 
Dagegen hilft nur, das Erhebliche von Unerheblichem zu unterscheiden, und dazu trägt die Untersuchung nichts bei. Von Wissenschaft würde man mehr erwarten.
JE 

 



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