zu öffentliche Angelegenheiten
Der ästhetische Kitsch
ist ein Kind der industriellen Massenreproduktion und ist Urtyp allen
Kitschs: In der bürgerlichen Gesellschaft zerfällt die Kunst in drei
un-gleiche Ströme - den bewährten Mainstream für den
Durchschnittsbourgeois, die Avantgarde für die Elite und den Kitsch für
alle, denen Konkurrenz zu aufreibend ist und die sich nach Harmonie und Frieden sehnen.
Die
Urform politischen Kitschs ist AgitProp. Zuerst bedienten sich die
aufstän-dischen Bauern des eben von der Reformation erfunden Mediums der
gedruckten Flugblätter, und seit in England das Wahlrecht ausgeweitet
wurde, gehörten Flie-gende Blätter zum politischen Alltag.
Ein Höhepunkt war die Französische Revolution. Flugblätter vereinfachen und spitzen zu. Marats berüchtigter Ami du Peuple war kein Lehrstück für dialektische Finesse, er war grob und hetzerisch.
Und
dann erst die Arbeiterbewegung! Eine unterdrückte Minderheit, die noch
darum kämpfen muss, überhaupt ein öffentliches Gehör zu finden, wird
nicht flüstern und säuseln, sondern schimpfen und poltern.
Zwiespältig
wurde es bei Käthe Kollwitz, die selbst keine Aktivistin war, ihr
Pub-likum aber bei der Arbeiterbewegung und ihren Sympathisanten suchte
und fand.
Mit dem Sieg der Totalitarismen war mit dem Zwiespalt Schluss. Stalinistischer Herrschaftsagitprop war genausowenig, wie Walter Benjamin beschönigte, eine "Ästhetisierung des Politischen" wie der nationalsozialistische, sondern war tota-litärer Pomp - schlicht und einfach.
Ist der woke Kitsch, den Alexanter Grau geißelt, totalitär? Eine kämpfende Partei, ja überhaupt eine besondere Meinung
zu sein, streitet er ja ab und behauptet, das-jenige zu sein, was
korrekterweise ein jeder zu meinen hätte, der nicht in böswilli-ges wrongthink verbohrt ist; aber er versteckt sich leidenschaftlich gern in wirkli-chen und gefühlten Minderheiten, um sich als Opfer darzustellen. Einerseits tota-litär im Anspruch, andererseits verfolgte Unschuld - wie das?
Es ist die gestern noch unwidersprechlich herrschende richtige Meinung, die
nicht bemerken wollte und bis heute nicht bemerken will, dass ihre
Selbstgefälligkeit ek-lig und ihre Gesinnungsschnüffelei abstoßend ist,
die nicht wahrhaben will, dass sie den freiheitliche Rechtsstaat
entwaffnet und untergraben hat, indem sie das Politi-sche sterilisiert und abtötet.
Was für das Gemeinwesen das Beste und Richtigste ist, ist dasjenige, was am Poli-tischen strittig ist, und was strittig ist, ist am Gemeinwesen das Politische. Und zwar öffentlich, denn für mehr ist das Gemeinwesen nicht zuständig. "Das Private ist po-litisch" war vor fünfzig Jahren der erste Spatenstich zur Grablegung des Politischen. Wer immer was bekennt, darf seither öffentliche Geltung in Anspruch nehmen; zu-erst, wenn er angab, dass viele sein Dafürhalten teilen, inzwischen eher, wenn er sich als Minderheit bekennt - unter der Prämisse freilich, dass irgendwo jeder Aus-länder ist und irgendeiner Minderheit ein jeder angehört; man muss es bloß... be-kennen.
Die
andern sind noch schlimmer? Das sagen die andern auch. Darum weichen
sie einander aus, und wo das nicht geht, machen sie es wie weiland die
Spartaner in ihren Volksversammlungen: Sie tragen keine Gründe vor,
sondern brüllen, so laut sie können, und gewonnen hat, wer die andern
übertönt. Das ist das Ende des Po-litischen und die Stunde der
Demagogie: des herzberührenden Kitschs im eigenen Sprengel, flankiert
von hasserfülltem Agitprop - auch im eignen Sprengel. Denn am liebsten bleiben sie unter sich.
Kommentar zu Politischer Kitsch und die Ära der Demagogen., JE, 25. 7. 20
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