Samstag, 19. Juli 2025

Dhofarisch.

 
aus derStandard.at, 19. Juli 2025             Diese Inschrift, die in einer Höhle im Oman gefunden wurde, besteht aus Zeichen der Dhofar-Schrift. Eine neue Studie zeigt, dass es sich dabei um ein Alphabet handelt.                  zu Jochen Ebmeiers Realien

Durchbruch bei der Entzifferung der vergessenen "Dhofar"-Schrift des Oman
Die in Höhlen gefundenen Schriftzeichen wurden einst dem verschwundenen Volk ʿĀd aus dem Koran zugerechnet. Nach dem Fund eines Alphabets sind sie erstmals lesbar

Die Entzifferung antiker Texte durch Pioniere wie Jean-François Champollion machte einen riesigen Informationsschatz über längst untergegangene Kulturen für die Wissenschaft zugänglich. Doch trotz stetiger Fortschritte bei der Entschlüsselung ausgestorbener Schriften bleiben viele Schriftsysteme weiterhin unlesbar. In den gängigsten Listen von Schriften, die sich nach wie vor allen Entzifferungsversuchen widersetzen, fehlt eine der mysteriösesten zumeist.

Wer im Süden des Oman zu Fuß die ausgetrockneten Flussbetten des Governments Dhofar erkundet, kann dort in Höhlen seltsame Zeichen an den Wänden finden. Sie erinnern an steinzeitliche Höhlenmalereien, sind aber mit einem Alter von 2400 Jahren deutlich jünger. Auch auf verfallenen steinernen Monumenten in der Wüste finden sie sich.

Entdeckt wurden sie bereits im Jahr 1900 von britischen Archäologen, die sie in einem Buch über die Arabische Halbinsel erwähnten. Die Symbole unterschieden sich deutlich von arabischen Schriftzeichen und blieben für die Forscher unlesbar. Dreißig Jahre später erwähnt sie Bertram Thomas, ein britischer Abenteurer, der als erster Mensch aus dem Westen die Wüste Arabiens durchquerte. Danach wurde es wieder ruhig um die Zeichen.

Mythisches Volk

Bis dato ließ sich wenig über die heute als Dhofarisch bekannte Schrift herausfinden. Stattdessen bildeten sich zahlreiche Mythen. So vermuteten manche, dass es sich um Inschriften der ʿĀd handelte, eines ausgestorbenen arabischen Volkes, das im Koran erwähnt wird.

Erst in den 1990ern unternahmen omanische und britische Schriftforscher gezielte Versuche, die Inschriften umfassend zu dokumentieren. Dabei entdeckten sie, dass es sich um zwei verschiedene Schriften handelte, die fortan Schrift 1 und Schrift 2 genannt wurden. Eine Entzifferung gelang aber auch ihnen nicht.

Nun berichtet der auf präislamische Kulturen im arabischen Raum spezialisierte Schriftforscher Ahmad Al-Jallad von der US-amerikanischen Ohio State University in einer neuen Studie im Fachjournal Jaarbericht Ex Oriente Lux von einer Entdeckung, die sein Mentor Michael Macdonald von der Universität Oxford gegenüber dem Wissenschaftsportal des Journals Science als "großen Durchbruch" bezeichnet.

Verräterische Zeichenreihen

Der einfachste Weg zur Entzifferung einer unbekannten Schrift führt über mehrsprachige Inschriften, analog zum Stein von Rosette, der bei den ägyptischen Hieroglyphen den Durchbruch brachte. Ein solcher fehlte hier allerdings.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Inhalt bestimmter Texte zu erraten, wie es bei der Entzifferung der mesopotamischen Keilschriften zum Erfolg führte. Waren es bei den Keilschriften sich wiederholende Textpassagen, die einen Hinweis auf Königslisten gaben, war es bei Al-Jallad ein kürzerer Text der dhaforischen Schrift 1, der seine Aufmerksamkeit fesselte. Er fand, dass eine bestimmte Inschrift in einer Höhle in Dhofar aus 26 Symbolen bestand, die sich nicht wiederholten.

Solche Listen von Buchstaben kennen wir alle aus unserer Schulzeit. Al-Jallad vermutete, es mit einem Alphabet zu tun zu haben. Doch ließ sich der Verdacht bestätigen? Tatsächlich fand er eine zweite Inschrift mit denselben Zeichen in derselben Reihenfolge. Im März dieses Jahres tauchte dann noch eine dritte identische Inschrift auf.

Ein Strand aus erhöhter Perspektive betrachtet.
Das Gouvernmant Dhofar im Oman ist als Urlaubsregion mit ausgedehnten Stränden bekannt. In den Höhlen des Hinterlandes finden sich antike Inschriften.
Fehlender Klang

Al-Jallad erkannte, dass ihm das Alphabet eine Möglichkeit eröffnen könnte, die Sprache hinter der Dhofar-Schrift zu identifizieren. Diese war nämlich nach wie vor nicht bekannt. Er verglich das Alphabet mit Schriftsystemen aus dem Jemen und Nordarabien. Die dortigen Alphabete beginnen mit den Zeichen h, l, ḥ, m. Al-Jallad nahm an, dass die Reihenfolge der Zeichen bei der Dhofar-Schrift die gleiche sein könnte, und begann, den unbekannten Zeichen Laute zuzuordnen.

Und tatsächlich entstanden so aus den unbekannten Zeichenreihen Wörter. Allerdings handelte es sich nicht um Arabisch, sondern um eine ältere Variante der in vorislamischer Zeit im Oman üblichen Sprachen, die zum Teil heute noch gesprochen werden.

Neue Einsichten

Damit ist nun eine neue Quelle an Informationen über die Vergangenheit der Region erschlossen. Und es gibt bereits wertvolle neue Einsichten. So war etwa bekannt, dass im Namen der antiken omanischen Hafenstadt Sumhuram der Personenname Sumhu steckt. Um wen es sich bei Sumhu handelt, hatte sich aber bisher nicht feststellen lassen.

Eine der von Al-Jallad entzifferten Inschriften bringt hier erstmals Klarheit. Dort heißt es: "Möge die Hand Sumhus über ihm sein." Damit sei klar, dass Sumhu eine Gottheit sei, nach der die Stadt benannt worden sei, sagt Al-Jallad.

Michael Macdonald sieht noch weitere wichtige Impulse für die Erforschung der präislamischen Geschichte der Region. Die dhaforischen Zeichen scheinen "jenen der alten nordarabischen Schriften näher zu sein als jenen der bekannten alten südarabischen Schriften", sagt Macdonald. Er sieht darin einen wichtigen Hinweis darauf, wie sich die Schriftsysteme im arabischen Raum verbreiteten.

Warum jemand vor Jahrtausenden Alphabete an Höhlenwände schrieb, ist weiterhin unklar. "Es ist möglich, dass diese als Lernübungen geschrieben wurden", mutmaßt Al-Jallad gegenüber Science. Auffällig ist, dass die Symbole zum Teil in gleich große Gruppen zusammengefasst wurden. Der Forscher hält es für denkbar, dass es eine Art Buchstaben-Lied gab, das half, das Alphabet zu lernen. Doch das muss, wie vieles andere rund um die antike Dhofar-Schrift, Spekulation bleiben. (Reinhard Kleindl, 19.7.2025)

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Blog-Archiv