aus spektrum.de, 14.04.2025 Was geht in diesem Kopf wohl vor? zuJochen Ebmeiers Realien
von Michael Springer
Ratten kichern, Elefanten trauern, Oktopusse fühlen Schmerz, reizüberflutete Insekten verfallen in Depression: Die moderne Ethologie beschreibt tierisches Verhalten immer öfter mit menschlichen Metaphern.
Das hat nichts mit einer sentimentalen Projektion unseres Innenlebens auf nahe und ferne Artverwandte gemein – so als wären die Forscher neuerdings auf eine Vermenschlichung der Natur à la Walt Disney verfallen. Für Parallelen zwischen Mensch und Tier gibt es gute Gründe.
In
tierischen Gehirnen lassen sich Mechanismen nachweisen, wie sie auch
menschliches Verhalten prägen. Werden etwa Laborfliegen allzu lange
durch Vibrationen malträtiert, versetzt sie der Stress in totale
Passivität. Erst die Gabe kleiner Portionen des Antidepressivums
Lithiumchlorid stellt den Normalzustand wieder her.
Ethologische
Experimente müssen aber nicht immer milde Formen der Tierquälerei
annehmen. Was, wenn man die Versuchsobjekte zu Spiel und Spaß animiert?
Verspieltheit ist bei unseren tierischen Verwandten allgegenwärtig. Welpen schlagen Purzelbäume, balgen sich ausgiebig und tollen kreuz und quer über die Wiese. Das hat offensichtlich guten Sinn: Die Muskeln werden trainiert, Bewegungen koordiniert.
Inzwischen ist Spielverhalten sogar bei Insekten nachgewiesen worden. Zu diesem Zweck konstruierten die Verhaltensforscher Tilman Triphan und Wolf Huetterroth von der Universität Leipzig zusammen mit der Neurowissenschaftlerin Clara Ferreira von der Northumbria University in Newcastle einen kleinen Jahrmarkt für Taufliegen. Der abgezirkelte Bereich enthielt nebst einer Futterstelle zwei Karusselle in Gestalt gegenläufig rotierender Drehscheiben.
Wie sich herausstellte, mied zwar die Mehrheit der Testfliegen die Jahrmarktattraktionen, aber eine bemerkenswerte Minderheit konnte vom Karussellfahren gar nicht genug kriegen. Die Verspielten sprangen kühn auf die Drehscheiben, kehrten geradezu zwanghaft immer wieder dorthin zurück und vergaßen dabei öfter als die anderen, sich an der Futterstelle den Bauch vollzuschlagen.
Wenn die Fliegen sogar auf Essen zu Gunsten von Karussellzeit verzichten, müssen sie für das Herumwirbeln ein starkes Motiv haben – beziehungsweise einen Riesenspaß daran. Worin könnte der bestehen?
Das Team vermutet, den
verspielten Fliegen sei in der eintönigen Laborwelt schlicht
todlangweilig, und sie suchten das Abenteuer. Intensives Interagieren
mit einer abwechslungsreichen Umwelt fördert die Individualentwicklung –
und in deren Verlauf die Selbstwahrnehmung.
Darf man bei so personalisierten Verhaltensweisen von tierischem Bewusstsein sprechen? Das fragen sich ganz allgemein
die Philosophin Kristin Andrews von der York University in Toronto
sowie die Philosophen Jonathan Birch von der London School of Economics
und Jeff Sebo von der New York University.
Der Haken an der Frage sei, dass eine präzise Definition des Bewusstseins aussteht.* Genau genommen kann ich ja nur aus dem Verhalten meiner Mitmenschen darauf schließen, dass sie »innen drin« mehr oder weniger das Gleiche erleben wie ich selbst. Insofern sind wir bezüglich des tierischen Bewusstseins ähnlich dran: Auch da bleiben wir auf Analogieschlüsse angewiesen, unterstützt von hirnphysiologischen Gemeinsamkeiten.
Dass Tieren eine elaborierte Sprache fehlt, ist jedenfalls kein Argument gegen Bewusstsein. Umgekehrt ist Sprachfähigkeit allein keine Garantie dafür; das zeigen die mit künstlicher Intelligenz ausgestatteten Large Language Models vom Typ ChatGPT. Zumindest dürfen wir das bislang vermuten.
*Nota. - Dabei wird es wohl bleiben. Stellt man sich bewusstes Sein als einen be-stimmten, von anderen bestimmten Zuständen des Gehirns unterschiedenen Zu-stand vor, so müsste man ihn entweder als eine spezifische Verschaltung bestimm-ter und nicht auswechselbarer Zellen oder als in einem bestimmten Areal lokalisier-tes Gewebe vorstellen - die jeweils immer dann aktiviert werden, wenn ein zweck-hafter Akt erfolgt. Offenbar handelt es sich nicht um eine Dauerfunktion wie Herz-schlag oder Atmung, denn dann wäre es längst identifiziert worden. Es gibt Zeit-räume, in denen das Individuum offenbar nicht 'bewusst' ist, ohne dass dabei ande-re Lebensfunktionen beeinträchtigt würden. Zugleich beobachtet man unterschied-liche 'Grade' von Bewusstheit, die an unterschiedlich intensiver Nerventätigkeit ob-jektiviert werden können.
Bewusstheit ist kein mehr oder minder dauernder Zustand, sondern eine je momen-tane Tätigkeit des Gehirns - und zwar jeweils diese oder jene, die unterscheidbar nicht beim Subjekt ist, sondern an ihrem jeweiligen Gegenstand.
Ihre durch die Versorgtheit im Labor induzierte Untätigkeit langweilt die Fliegen, und so sucht ihnen ihr Organismus Zerstreuung. Bei uns Menschen ist es so ähn-lich.
JE
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