aus FAZ.NET, 27. 5. 2025 Max Ackermann, ohne Titel, 1945 zu Geschmackssachen
Abstrakte Kunst nach dem Krieg:
Das Dümmste kam von jungen Leuten
Die
Reaktionen der Jugend auf abstrakte Kunst im Jahr 1945 waren
enttäuschend. Was bedeutete Gegenwartskunst in diesem Jahr? Die ersten
Ausstellungen moderner Malerei lassen tief in die Abgründe zuvor
blicken.
Immer wieder ist in Berichten über das Ende des Zweiten Weltkriegs von dem Kulturhunger der Menschen inmitten der zerstörten Städte die Rede: Bereits drei Wochen nach der Befreiung Berlins gaben die Berliner Symphoniker, unter der Leitung Leo Borchards, ihr erstes, improvisiertes Konzert im Steglitzer Titania-Palast, und schnell füllten sich Konzerthäuser, Kinos und Theater. Aber wie sah es mit der bildenden Kunst aus? Hier war ein Anknüpfen an die Zeit vor dem Nationalsozialismus weitaus schwieriger: Die Werke der einstigen Avantgarde hatten die Nationalsozialisten 1937 erfolgreich aus den öffentlichen Sammlungen verbannt, und es dauerte Jahre, um adäquate Bestände neu aufzubauen. Zahllose Museen waren zerstört, und die Hauptwerke der Alten Meister mussten mühsam, oft über Zonengrenzen, aus ihren Auslagerungsorten zurückgeholt werden. Unzerstörte Museen mussten von den Relikten der nationalsozialistischen Ideologie „gereinigt“ werden. Noch Monate nach Kriegsende berichtete die thüringische Landesmuseumspflegerin Hanna Hofmann-Stirnemann etwa, dass gerade die kleineren Museen „vielfach noch von militaristischen und nazistischen Beständen“ befreit werden müssten, bevor sie wieder eröffnet werden könnten.
Die Antwort auf den Hunger nach bildender Kunst boten in den ersten Monaten nach Kriegsende daher zumeist nicht Museen, sondern Ausstellungen, die von engagierten Akteuren bereits ab Sommer 1945 organisiert wurden. Als erste Kunstausstellungen der Nachkriegszeit gelten die von Werken des von den Nationalsozialisten verfolgten Pressezeichners Emil Stumpp im Kunstamt Berlin-Wilmersdorf im Juni 1945, die von dem Bildhauer Hans Uhlmann zusammengestellte Ausstellung „Nach 12 Jahren“ in der Berliner Kamillenstraße sowie die erste Ausstellung der Galerie Gerd Rosen am Berliner Kurfürstendamm, die am 2. August 1945 eröffnet wurde.
Doch nicht nur in Berlin wurden alsbald wieder Kunstwerke gezeigt, die in den vergangenen Jahren im Verborgenen entstanden waren oder den Naziterror in den Katakomben entschlossener Sammler überdauert hatten: Die städtische Galerie in Überlingen präsentierte – wohl als erste Institution im Nachkriegsdeutschland – im Oktober 1945 wieder Werke von Künstlern, die von den Nazis verfemt worden waren. Die von dem einstigen Direktor des Düsseldorfer Kunstakademie, Walter Kaesbach, gemeinsam mit dem Künstler Werner Gothein konzipierte Ausstellung „Deutsche Kunst unserer Zeit“ präsentierte Arbeiten von Willi Baumeister, Max Beckmann, Lyonel Feininger, Erich Heckel, Alexej Jawlensky, Ernst Ludwig Kirchner, Paul Klee, August Macke, Emil Nolde, Hans Purrmann, Oskar Schlemmer und Karl Schmidt-Rottluff, deren Werke bis 1945 als „entartet“ gegolten hatten. Erich Heckel gestaltete den Titelholzschnitt des Katalogs zur Ausstellung.

Wie schwer es die Veranstalter moderner Kunstausstellungen hatten, bei dem entwöhnten Publikum an das Verständnis für die Moderne anzuknüpfen, ist mehrfach belegt: „Wir haben bei den zahlreichen Führungen bemerkt, dass die ungewohnten Bilder den Besuchern und namentlich den Jugendlichen Apperzeptionsschwierigkeiten bereiteten, dass an letzteren auch ein gewisser innerer Widerstand zu bemerken war“, bemerkte der Oldenburger Museumsdirektor Walter Müller-Wulckow, als in den Räumen des Kunstvereins die Ausstellung „Kunst der Gegenwart – aus privatem und öffentlichem Besitz“ gezeigt wurde. Ähnliches berichtet auch Willi Baumeister, der seinem Galeristen Günther Franke noch im Januar 1946 davon abrät, seine neuesten Bilder zu präsentieren, denn „das publikum und besonders die sogenannte jugend (jünger als 35 jahre) sind jetzt völlig unvorbereitet. es fehlt jede art von anschauungsmöglichkeit seit zwölf jahren. es fehlen neben den ausstellungen auch die publikationen.“
Neben den Versuchen des Wiederanknüpfens an die Kunst der Weimarer Republik verstanden sich Ausstellungen regionaler Künstler sowohl als Möglichkeiten, sichtbar zu machen, was zum Teil im Verborgenen entstanden war, wie auch als Mittel der Künstlerförderung. So realisierte der im Juni 1945 ernannte Regierungspräsident Fritz Fries im westfälischen Arnsberg bereits im November des Jahres die „Erste Große Kunstausstellung der Künstler des Regierungsbezirks“ als „Bekenntnis für freies schöpferisches Gestalten“. Nach „einer Zeit der Wirrungen und der Not“ hoffte er auf eine Renaissance der künstlerischen Freiheit. Tatsächlich knüpfte die Ausstellung nicht nur an die Vertreter der Vorkriegsavantgarde an, sondern präsentierte auch Werke von Emil Schumacher und Wilhelm Wessel, die zehn Jahre später bereits zu den Pionieren des deutschen Informel zählen sollten. Im Hagener Karl-Ernst-Osthaus-Museum erlebte die Ausstellung im Dezember 1945 eine zweite Station, und hier gründete sich kurz darauf der Westdeutsche Künstlerbund, aus dessen Mitgliedern 1948 die Künstlergruppe „junger westen“ hervorging.

Dass es von den ersten Ausstellungen moderner Kunst im Jahr 1945 bis zum Siegeszug der Abstraktion ein weiter Weg war, belegen nicht nur die Kontroversen der folgenden Jahre um den „Verlust der Mitte“, „Das Menschenbild unserer Zeit“ oder die „Atomisierung der modernen Kunst“, sondern zeigt auch ein bitterer Kommentar Erich Kästners über die Schau „Modern Paintings/Maler der Gegenwart I“, die im Dezember 1945 im Augsburger Schäzler-Palais – weitgehend traditionelle – Gemälde zeitgenössischer süddeutscher Künstler präsentierte. Den Besuchern der Ausstellung wurde eine Karte ausgehändigt, auf der sie benennen sollten, welches sie für das beste Bild halten.
Unter dem Titel „Die Augsburger Diagnose“ stellte Kästner im Januar 1946 resigniert fest: „Die wenigst ‚modernen‘ Bilder werden erwartungsgemäß bevorzugt.“ Besonders bedrückt hatte auch ihn die Tatsache, dass „die intolerantesten, die dümmsten und niederträchtigsten Bemerkungen“ von den jüngeren Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung stammten: „Die heutigen Studenten waren 1933 kleine Kinder. (...) Nun sind diese Kinder Studenten geworden. Die Kunst ist wieder frei. Die Studenten spucken, wie sie es gelernt haben, auf alles, was sie nicht verstehen.“ Bevor im Nachkriegsdeutschland die ersten demokratischen Wahlen abgehalten wurden, hatten die Besucher der Ausstellung die Gelegenheit, auf ihren Stimmzetteln über die Kunstwerke ihrer Zeitgenossen zu richten, und Kästner, dem die Veranstalter Einblick in die Resultate gewährten, war entsetzt von der erschütternden Intoleranz.
Wie einst im Kaiserreich wurde die Debatte um die Gegenwartskunst ab 1945 erneut zu einem auf allen Seiten leidenschaftlich ausgefochtenen Kampf. Mit dem beginnenden Kalten Krieg wurde die Abstraktion in den westlichen Besatzungszonen zum dominierenden Stil und zur Bildsprache der frühen Bundesrepublik. Mit dem Wissen um das Unverständnis, auf das die zwölf Jahre lang verfemte Moderne 1945 zunächst stieß, gleicht der spätere Siegeszug der Abstraktion einem Wunder.
Nota. - Wäre die Kunst in Deutschland, wäre nicht 1933 die NS-Ästhetik auf sie gestoßen, unweigerlich wie von Natur (und wie in den USA) 'zur Abstraktion übergegangen'? En vogue war zu der Zeit die Neue Sachlichkeit, und Negerkunst musste man schon in Museen suchen. Und in den USA kamen gerade Edward Hopper und Georgia O'Keefe in Mode. Es herrschen in der Kunst keine globalen Gesetze. Jede Periode hält ihren Vorgänger für ihren Vorläufer und sich für die Fortentwicklung. Was aus der deutschen Bildkunst ohne Thorack und Arno Breker geworden wäre, weiß keiner, und dass die Maler, als ihnen wieder freie Hand gelassen war, sich an dem orientierten, was inzwischen im Ausland erblüht war, liegt ganz in der Ordnung der Dinge. Und dass das Publikum sich erst wieder von dem lösen musste, was sich ihm zwölf Jahre lang als das Normale dargeboten hatte, ebenfalls.
JE
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