aus spektrum.de, 29.04.2025 Wie sieht die Raumzeit auf kleinster Skala aus? zuJochen Ebmeiers Realien
Kausale dynamische Triangulation
Mit dem Computer zum Ursprung der Quantenraumzeit
Ein
Ansatz für eine Quantentheorie der Schwerkraft kommt ohne exotische
Zutaten aus – anders als viele andere Herangehensweisen benötigt er
keine mysteriösen Teilchen oder Kräfte. Zudem liefert diese »kausale
dynamische Triangulation« erstaunliche Vorhersagen, etwa veränderliche
Raumdimensionen.
von Renate Loll
Seit
Jahrtausenden strebt die Menschheit ein ehrgeiziges Ziel an: Die
gesamte Welt zu verstehen – vom Ursprung des Universums bis hin zum Ende
der Zeit. Heute sind wir dabei schon weit gekommen. Aktuell deutet
alles darauf hin, dass das Weltall beim Urknall hervorgegangen ist und
sich seither immer weiter ausdehnt. Doch bei den Kindertagen des Kosmos
versagen unsere physikalischen Theorien von Raum, Zeit und Materie.
Demnach muss zu dieser Zeit alles so unvorstellbar dicht komprimiert
gewesen sein, dass die etablierten Modelle die Vorgänge nicht mehr
beschreiben können.
Daher
versuchen Fachleute die heutigen Theorien zu erweitern, um mehr über
das sehr junge Universum zu erfahren. Ging unsere Raumzeit aus einer
»Ursuppe« hervor, wo Konzepte wie Kausalität und zeitliche Abfolgen
nicht existierten? Liegen solche Aussagen überhaupt im Bereich der
nachprüfbaren Naturwissenschaften – oder sind sie besser der Metaphysik
zuzuordnen?
Viele Menschen sind davon überzeugt, dass nur eine
Quantentheorie der Schwerkraft solche Fragen beantworten kann. In den
vergangenen 100 Jahren widerstand die Gravitation aber allen Versuchen,
in das Korsett der Quantenphysik gezwängt zu werden. Daher wurden
Forschende kreativ und entwickelten zahlreiche Kandidaten für eine
derartige vereinheitlichte Theorie. Aber bis jetzt ließ sich keine
bestätigen. Ein Grund dafür ist, dass die Bereiche, in denen
Quanteneffekte der Gravitation zum Tragen kommen, im Labor nicht
erreichbar sind.
Daher
nähere ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen dem Problem aus
einer anderen Richtung. Anstatt auf exotische Zutaten und spekulative
Annahmen zu setzen, verwenden wir bereits etablierte Methoden aus der
Quantenphysik. Wir passen sie jedoch auf die Besonderheiten der
Schwerkraft an. Auf diese Weise können wir mit Computersimulationen in
jene Gebiete vordringen, die für Experimente bislang unerreichbar sind.
Dabei gewannen wir bereits überraschende Erkenntnisse. Diese können wir
nutzen, um uns Schritt für Schritt dem endgültigen Ziel zu nähern: einer
Theorie, die den Quantenursprung von Schwerkraft und Raumzeit
erklären kann.
Im 20. Jahrhundert erschütterten zwei verschiedene physikalische Entwicklungen unser Weltbild. Die eine ist Albert Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, die Raum und Zeit nicht mehr als unbeteiligten, starren Rahmen beschreibt. Stattdessen verschmelzen beide zu einer dynamischen Raumzeit, die sich durch die Anwesenheit von Energie und Materie verformt. Demnach entsteht die Schwerkraft und alle damit einhergehenden Phänomene durch die Krümmung der Raumzeit.
Seither
haben alle verfügbaren Experimente und Beobachtungen die Vorhersagen
der allgemeinen Relativitätstheorie bestätigt, von der Ausbreitung von
Gravitationswellen bis hin zur beschleunigten Ausdehnung unseres
Universums. Die Theorie gilt jedoch nicht auf allen Skalen. Sie stößt an
ihre Grenzen, sobald die Schwerkraft und die dazugehörige Krümmung so
groß werden, dass Quanteneffekte auftreten.
Teilchen unter Schwerkraft | Albert Einsteins allgemeine
Relativitätstheorie besagt, dass Masse und Energie die vierdimensionale
Raumzeit verformen.
Die
zweite physikalische Revolution des vergangenen Jahrhunderts kam im
Rahmen der Quantentheorie. Es stellte sich heraus, dass jede Art von
Materie aus unteilbaren Elementarteilchen besteht. Diese verhalten sich
völlig anders, als man es von der klassischen Physik gewohnt ist.
Ein
einzelnes Elementarteilchen lässt sich beispielsweise nicht beschreiben
wie ein punktförmiges, exakt lokalisiertes Billardkügelchen, sondern es
ähnelt einer räumlich ausgedehnten Welle. Statt einer eindeutigen
Position ordnet man einem Quantenteilchen daher eine
Aufenthaltswahrscheinlichkeit zu. Tatsächlich folgen der
Elektromagnetismus und die beiden Kernkräfte – und damit alle
Grundkräfte außer der Schwerkraft – erwiesenermaßen den seltsamen Regeln
der Quantenphysik.
Quantenfeldtheorie
Anfang
des 20. Jahrhunderts entstand die Quantenmechanik – und revolutionierte
die Vorstellung von Materie. Plötzlich war ein Elektron nicht mehr bloß
ein punktförmiges Teilchen, sondern besaß in manchen Situationen
Eigenschaften, die eigentlich lediglich Wellen innehaben. In den
folgenden Jahren verallgemeinerten die Fachleute die
quantenphysikalischen Konzepte, indem sie den Formalismus nicht nur auf
die Mechanik, sondern auch auf den Elektromagnetismus und die Kernkräfte
übertrugen.
Und so entwickelte sich die Quantenphysik weiter. In den 1950er und 1960er Jahren setzten sich so genannte Quantenfeldtheorien immer mehr durch. In diesen ist die Raumzeit niemals leer, sondern von verschiedenen Feldern durchzogen. Schwingungen darin entsprechen Teilchen oder Antiteilchen. Doch die Quantenfelder sind niemals ruhig: Sie sind der Theorie zufolge stets von kleinen Kräuselungen durchzogen, die extrem kurzlebigen Teilchen entsprechen. Die »virtuellen« Teilchen lassen sich nicht direkt detektieren – ihre Auswirkungen konnten aber bereits nachgewiesen werden.
Neben der Quantenmechanik, die Systeme mit einer bestimmten Anzahl von Teilchen beschreibt, wurde in den 1950er Jahren die relativistische Quantenfeldtheorie entwickelt. Sie umfasst auch Phänomene, bei denen sich die Teilchenzahlen verändern, das heißt bei denen etwa neue Teilchen hervorgehen. Das Standardmodell der Teilchenphysik ist eine solche Quantenfeldtheorie. Es enthält alle bisher bekannten Elementarteilchen: die Quarks, aus denen Protonen und Neutronen bestehen, sowie Leptonen, zu denen Elektronen und Myonen gehören, und darüber hinaus deren elektromagnetische schwache und starke Wechselwirkungen, die jeweils von eigenen Teilchen übertragen werden, etwa Photonen oder Gluonen.
Das Standardmodell der Teilchenphysik
Standard model of elementary particles
Das
Standardmodell enthält alle bisher bekannten Elementarteilchen. Links
oben sind die sechs Quarks Up (u), Down (d), Charm (c), Strange (s),
Top (t) und Bottom oder auch Beauty (b) verzeichnet. Sie können jeweils
drei verschiedene Farbladungen besitzen (Rot, Grün oder Blau). Diese
Ladung bestimmt, wie sie an Gluonen (g) koppeln, die selbst zwei
Farbladungen tragen. Neben der durch die Gluonen vermittelten starken
Kernkraft unterliegen die Quarks der schwachen Kernkraft und dem
Elektromagnetismus. Ihre elektrische Ladung beträgt entweder 2/3 oder
–1/3 der Elektronenladung. Die Masse der sechs Quarks variiert stark,
vom leichtesten Up-Quark mit 2,2 MeV/c2 bis zum schweren Top-Quark mit über 170 GeV/c2.
Außerdem gibt es sechs verschiedene Leptonen: das Elektron (e), das Myon (μ), das Tauon oder Tau (τ) und für jedes dieser Teilchen ein dazugehöriges Neutrino (ν). Sie unterliegen alle der schwachen Wechselwirkung, und bis auf die drei Neutrinos haben sie eine negative Elektronenladung. Wie bei den Quarks schwankt auch ihre Masse: von 511 keV/c2 des leichten Elektrons bis zu mehr als 1,7 GeV/c2 des schweren Tauons. Die Masse der Neutrinos ist tatsächlich so klein, dass sie bisher noch nicht bestimmt werden konnte.
Quarks und Leptonen bilden zusammen drei Teilchenfamilien, die sich bis auf ihre Massen nicht voneinander unterscheiden. Sie wirken damit wie drei praktisch identische Kopien; diese Symmetrie lässt sich durch die Gruppentheorie beschreiben.
Neben den Gluonen befinden sich in der rechten Spalte die übrigen Teilchen, welche die drei Grundkräfte des Standardmodells übermitteln. Das W+-, das W–- und das Z-Boson sind für die schwache Kernkraft verantwortlich, die radioaktive Zerfälle bewirkt. Das Photon übermittelt die elektromagnetische Kraft. Für die vierte Grundkraft, die Gravitation, wird vermutet, dass ein Graviton existiert. Das Higgs-Boson unterscheidet sich von seinen Artgenossen. Es hängt nicht mit einer fundamentalen Kraft zusammen, sondern verleiht den Teilchen ihre Masse. Außerdem unterliegt es der schwachen Wechselwirkung.
Um das Standardmodell zu vervollständigen, kommen noch die Antiteilchen der Quarks und der Leptonen hinzu, die sich lediglich durch das Vorzeichen ihrer elektrischen Ladung von den ursprünglichen Partikeln unterscheiden.
Die Quantennatur scheint also eine grundlegende Eigenschaft von Materie zu sein. Gleiches gilt für die Schwerkraft: Die Gravitation beeinflusst alle Formen von Materie. Das legt nahe, dass auch Phänomene der Schwerkraft den Quantengesetzen unterliegen. Doch das können wir erst dann mit Zuversicht behaupten, wenn wir eine Theorie der Quantengravitation aufgestellt haben – und ihre Vorhersagen erfolgreich getestet wurden.
Häufig heißt es, die Quantentheorie und die allgemeine Relativitätstheorie seien unvereinbar. Damit sind in erster Linie die unterschiedlichen Rollen der Raumzeit in diesen zwei Konzepten gemeint: als starre, unbeteiligte Bühne einerseits und als dynamische, wechselwirkende Größe andererseits. Allerdings gibt es bislang keine Hinweise darauf, dass diese beiden Anschauungen – und damit auch die Quantentheorie und die Schwerkraft – wirklich unvereinbar sind. Tatsächlich scheint das Gegenteil der Fall zu sein.
Eine weitere Schwierigkeit sind die
unterschiedlichen Längen- und Energieskalen, bei denen die Gravitation
und die übrigen drei Grundkräfte in Erscheinung treten. Bisher kam es in
der Physik nie zu einem Widerspruch, weil entweder Schwerkraft oder
Quanteneffekte dominieren. Damit hat sich die Frage der Vereinbarkeit in
der Praxis noch nie gestellt. Möchte man beispielsweise die Bewegungen
von Galaxien oder Galaxienhaufen beschreiben, ist ihre gegenseitige
Gravitationsanziehung entscheidend. Bei Kollisionen in
Teilchenbeschleunigern spielen hingegen lediglich Kern- und
elektromagnetische Kräfte eine Rolle.
Deshalb
wird der Anwendungsbereich der Quantentheorie oft als mikroskopisch
bezeichnet, im Gegensatz zum kosmischen Wirkungsbereich der Gravitation.
Es gibt jedoch Situationen, in denen die Gravitation und damit die
Raumzeitkrümmung trotz kleinster Abstände so stark ist, dass
Quanteneffekte ins Gewicht fallen. Beispiele hierfür sind das sehr
frühe, dichte Universum und das Zentrum eines Schwarzen Lochs.
Solche Situationen in Laboren nachzustellen, ist bislang unmöglich. Denn die Gravitation ist deutlich schwächer als die Kräfte des Standardmodells. Typische Quanteneffekte der Schwerkraft sollten deshalb erst auf der so genannten Planckskala auftreten, bei Abständen von etwa 10-35 Metern. Solche ultrakurzen Distanzen können selbst die leistungsfähigsten Teilchenbeschleuniger nicht auflösen.
Es fehlen nicht nur experimentelle Hinweise. Es gibt es auch mathematische Schwierigkeiten, die einer Quantentheorie der Schwerkraft
im Weg stehen. Die störungstheoretische Methode ist eine übliche
Vorgehensweise, um eine klassische Theorie durch kleine
quantenmechanische Schwankungen (»Störungen«) in eine Quantenfeldtheorie
zu verwandeln. Wendet man dieses Prinzip auf die Schwerkraft an,
beginnt man mit einer flachen Raumzeit und fügt dann quantenmechanische
Kräuselungen ein. Dabei stößt man auf Unendlichkeiten, die sich
physikalisch nicht sinnvoll interpretieren lassen. Um zu einer Theorie
der Quantengravitation zu gelangen, braucht es also andere
unkonventionelle Methoden.
In den 1980er Jahren wurde die Stringtheorie
populär, welche die Grundbausteine der Materie als winzige Fäden
beschreibt, deren Schwingungen alle bekannten physikalischen Phänomene
hervorrufen sollen. Ein anderer Ansatz ist die Schleifenquantengravitation,
bei der die Raumzeit ein Gebilde aus kleinsten Schleifen darstellt.
Solche Theorien benötigen oft zusätzliche Annahmen. Die Stringtheorie
erfordert beispielsweise besondere Symmetrien oder Extradimensionen. Die
hochgesteckten Erwartungen, aus ihnen Vorhersagen für messbare
Quantengravitationseffekte abzuleiten, haben sich bislang nicht erfüllt.
<
Störungstheoretischer Ansatz | Es gibt verschiedene Ansätze, um die
Gravitation zu quantisieren. Eine Möglichkeit besteht darin, von einer
flachen Raumzeit auszugehen und kleine Störungen hinzuzufügen.
Parallel
zu diesen Ansätzen gibt es weitere Versuche, eine Theorie der
Quantengravitation aufzustellen. Da bei herkömmlichen,
störungstheoretischen Herangehensweisen unvermeidliche Unendlichkeiten
lauern, setzen einige auf eine nicht störungstheoretische (»nicht
perturbative«) Formulierung. Dabei können die quantenphysikalischen
Schwankungen beliebig groß werden. Das bringt viele Vorteile mit sich,
weil man dann nicht mehr nur auf kleine Quanteneffekte beschränkt ist.
Allerdings sah es lange so aus, als seien effektive, nicht perturbative
Rechenmethoden mit dem dynamischen Charakter der Raumzeit in der
Gravitation unvereinbar.
Einen gangbaren, nicht perturbativen Weg
namens »kausale dynamische Triangulierung« (kurz: KDT) habe ich mit
meinen Kollegen und Kolleginnen entwickelt. Die Gravitationsfelder, die
wir dabei nutzen, sind im Wesentlichen dieselben wie in der allgemeinen
Relativitätstheorie. Ihr Zusammenspiel gehorcht auf kleinen Abständen
allerdings den Quanten- und nicht klassischen Bewegungsgesetzen. Die
Längenskalen, bei denen signifikante Quanteneffekte auftreten, sind
unvorstellbar klein. Dort sind die Wechselwirkungen so stark, dass
selbst Fachleute sich schwertun, ihre Dynamik zu verstehen, und sei es
nur qualitativ. Glücklicherweise müssen wir uns jedoch nicht auf unsere
Intuition verlassen, sondern können diese extremen Situationen mit dem
Computer simulieren.
Ein Gitter bändigt die Unendlichkeiten
Als Vorbild dient eine nicht perturbative Methode, die in der starken Kernkraft genutzt wird: die Gitter-Quantenchromodynamik (kurz: Gitter-QCD). Dabei bändigt man die Unendlichkeiten der Quantenfelder, indem man die kontinuierliche Raumzeit durch ein diskretes Gitter ersetzt. Dadurch liefern alle Berechnungen endliche Ergebnisse. Diese »Regularisierung« ist nur ein technischer Zwischenschritt. Die vollständige Quantenfeldtheorie ergibt sich erst, wenn man die Gitterabstände gleichmäßig verkleinert. Dadurch wird es immer feiner, bis es die ganze Raumzeit ausfüllt.
Das quantendynamische Prinzip
hinter der Gitterformulierung ist das so genannte Feynman-Pfadintegral,
das in Quantentheorien oft verwendet wird. Dabei summiert man alle
möglichen Quantenphänomene auf, je nachdem, wie wahrscheinlich sie sind,
zum Beispiel die unendlich vielen Wege, die ein Teilchen von Ort A nach
B beschreiten kann. Im Fall der Schwerkraft enthält das Pfadintegral
alle möglichen Formen der Raumzeit.
Pfadintegral-Quantisierung | Um die Theorie der Schwerkraft in eine
Quantentheorie zu verwandeln, kann man alle möglichen Geometrien der
Raumzeit durch ein so genanntes Pfadintegral summieren.
Leider
lässt sich diese in der QCD so erfolgreiche Methode nicht direkt auf
die Schwerkraft anwenden, weil man sofort auf ein altbekanntes Problem
stößt: Raum und Zeit spielen in der Gravitation eine völlig andere
Rolle, als bei den anderen drei Grundkräften. Bei Letzteren ist die
Raumzeit ein unveränderlicher Rahmen, in dem Quantenfelder existieren
und miteinander wechselwirken. Der Einfluss, den diese Prozesse auf die
Raumzeit selbst haben, ist komplett vernachlässigbar. Deshalb wird die
Raumzeit als statisch angenommen. Dementsprechend setzt man auch In der
Gitter-QCD auf ein festes Gitter, das unveränderlich ist und nicht an
der Dynamik der auf ihm befindlichen Quantenfelder teilnimmt.
Im
Gegensatz dazu besagt die allgemeine Relativitätstheorie, dass die
Raumzeit dynamisch ist und durch Materie und Energie verformt wird. Ihre
Krümmung variiert von Ort zu Ort und mit der Zeit. Um mit den gleichen
Methoden eine nicht perturbative Quantentheorie der Schwerkraft zu
erhalten, muss das Raumzeitgitter daher veränderlich und verformbar
sein. Unsere Schlüsselidee besteht darin, die Schwerkraft auf
dynamischen Gittern zu formulieren. Das webt die veränderliche Natur der
Raumzeit in die Quantengravitationstheorie ein. Die KDT verknüpft somit
die wirkungsvolle Technik der nicht perturbativen Gitter-QCD mit
Einsteins Vorstellung einer verformbaren Raumzeit.
Dynamisch trianguliertes Gitter | Indem man ein dreiecksförmiges Gitter
erzeugt, das seine Form verändern kann, lässt sich die Quantennatur der
Raumzeit untersuchen.
Die
Gittermethodik hat eine große Stärke: Damit lässt sich ein nicht
perturbatives Pfadintegral berechnen, bei dem die Formen der Raumzeit
beliebig stark von denen der allgemeinen Relativitätstheorie abweichen
dürfen. Ein störungstheoretischer Ansatz würde nur kleine Veränderungen
zulassen. Spannt man dann das zu Grunde liegende Raumzeitgitter immer
feiner, liefert das Pfadintegral eine so genannte Quantenraumzeit. Das
ist der Grundzustand der Quantengravitation, analog einem Zustand
niedrigster Energie.
Die dynamischen Gitter der KDT bestehen aus
identischen dreieckigen Elementarbausteinen, die kausal miteinander
verknüpft werden. Jeder dieser Bausteine entspricht einem winzigen Stück
Raumzeit. Genau genommen hat er die Form eines »Viersimplex«, auch
Pentachoron genannt. Das ist die vierdimensionale Verallgemeinerung
eines gleichseitigen Tetraeders. Das menschliche Vorstellungsvermögen
stößt bei Objekten mit mehr als drei Dimensionen an seine Grenzen, aber
aus mathematischer Sicht hat ein Viersimplex eine einfache Struktur.
Pentachoron | Dreidimensionale Projektion eines 5-Zellers, auch Pentachoron oder Pentatop genannt.
wesentliche Unterschied zu den Gittern, die in der Quantenfeldtheorie
genutzt werden, ist aber nicht die spezifische Form der mikroskopischen
Bausteine. Viel ausschlaggebender ist die Tatsache, dass sie in der KDT
auf unregelmäßige Weise angeordnet sind. Im Gegensatz hierzu sind
typische quantenfeldtheoretische Gitter, die eine statische Raumzeit
darstellen, symmetrische Aneinanderreihungen meist viereckförmiger
Bausteine.
Um das Pfadintegral zu berechnen, muss man in der KDT beliebig gekrümmte, unregelmäßige Gitter untersuchen. Aus verschiedenen Verklebungen der dreiecksförmigen Grundbausteine ergeben sich unterschiedliche Gitter. Wenn man alle von ihnen zusammenrechnet, lässt sich ihr Ensemble als Sammlung von Zufallsgittern verstehen.
Obwohl
die Größe jedes einzelnen Bausteins im Grenzfall unendlich dichter
Gitter gegen null schrumpft, spielt die Ordnung des zu Grunde liegenden
Gitters eine wichtige Rolle. Die regelmäßigen kubischen Gitter in
Quantenfeldtheorien (ohne Gravitation) eignen sich praktischerweise auch
als Koordinatensysteme. Das erleichtert die Konstruktion von
Messgrößen, so genannten Observablen. Sie ähneln den zweidimensionalen
Koordinatensystemen, die man aus der Schule kennt, nur dass es in diesem
Fall vier zueinander senkrechte Achsen gibt, eine Zeitrichtung und drei
Raumrichtungen.
Bei
der Quantengravitation ist das anders. Die ungeordneten Zufallsgitter
der KDT lassen keine Strukturen zu, die als Koordinatensysteme dienen
könnten. Das ist keine technische Unzulänglichkeit der Formulierung,
sondern liegt in der Natur der Raumzeit auf der Planckskala begründet:
Sie zwingt uns zu einer völlig neuen Sichtweise auf die Beschreibung der
Quantenphysik.
Durch
das Fehlen von Koordinatensystemen, mit denen sich Ereignisse eindeutig
in der Raumzeit lokalisieren lassen, laufen sowohl die mathematischen
Konstruktionen der allgemeinen Relativitätstheorie als auch unsere
geometrische Anschauung ins Leere. Beide stützen sich darauf, dass man
der gekrümmten Raumzeit an jedem Punkt ein virtuelles Koordinatensystem
überstülpen kann, um zumindest ihre geometrischen Eigenschaften in der
Umgebung dieses Punkts zu beschreiben.
Wie aber lässt sich die
Quantenraumzeit untersuchen, in der das nicht funktioniert?
Glücklicherweise stehen wir nicht völlig mittellos da, denn Längen- und
Volumenmessungen sind noch möglich. Mit diesen elementaren Operationen
ist es theoretischen Physikerinnen und Physikern gelungen, neuartige
Messgrößen zu konstruieren. Doch diese unterscheiden sich stark von
jenen Größen, die man aus der allgemeinen Relativitätstheorie kennt. Und
wie sich herausstellt, hält ihr Verhalten einige Überraschungen bereit.
Dynamische Dimensionen
Da
ein Koordinatensystem fehlt, ist das Konzept eines bestimmten Punkts in
der Quantenraumzeit, den man mit Hilfe seiner Koordinaten lokalisieren
müsste, bedeutungslos. Deshalb sind typische Messgrößen in der
Quantengravitation »global«: Sie hängen von dem ab, was in der
Quantenraumzeit als Ganzes passiert – und nicht allein von Eigenschaften
in einem kleinen Gebiet.
Das erscheint auf den ersten Blick
ungewöhnlich, spiegelt aber wiederum die Natur der Quantenraumzeit
wider. Der Grundzustand der Quantengravitation allerdings ist starken
quantenphysikalischen Schwankungen ausgesetzt und sieht überall ähnlich
aus. Seine globale Dynamik geht aus dem komplexen Zusammenspiel seiner
Grundbausteine hervor, das sich durch kollektive Eigenschaften und
»kritische Koeffizienten« auszeichnet.
Diffusion | Die Verteilung von Tinte in einer Flüssigkeit ist im
Gleichgewichtszustand (ganz rechts) am einfachsten mathematisch
abzubilden.
Ein
wichtiges Beispiel für solche Koeffizienten sind die Dimensionen der
Quantenraumzeit. In Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie ist der
dreidimensionale Raum untrennbar mit der Zeitrichtung verbunden. Diese
Vierdimensionalität ist ein fester Bestandteil der Theorie. Doch wie
verhält sich das in einer Quantengravitationstheorie? Wie viele
Dimensionen hat die Quantenraumzeit? Um das zu untersuchen, haben wir
computergestützte Experimente entwickelt. Sie bilden das Gegenstück zu
den Laborversuchen und kosmologischen Beobachtungen, welche die reale
Raumzeit auf sehr viel größeren Längenskalen untersuchen.
In
der KDT lässt sich die Dimension der Quantenraumzeit über einen
Diffusionsprozess ermitteln. Dabei betrachtet man, wie sich eine Störung
innerhalb der Quantenraumzeit ausbreitet, ähnlich wie ein
Tintentropfen, den man in ein Wasserbecken fallen lässt: Es entsteht
eine Tintenwolke, die sich immer weiter ausbreitet. Aus deren Volumen
als Funktion der Zeit kann man auf die Dimension des Wassers
rückschließen.
Als wir solche Diffusionsexperimente in der Quantenraumzeit durchführten, stießen wir auf zwei Überraschungen. Erstens ist die Dimension auf der Planckskala nicht vier, wie man erwarten würde, sondern eher (im Rahmen der Messgenauigkeit) zwei! Und zweitens hängt die Dimension von der betrachteten Längenskala ab: Zu größeren Skalen hin nähert sie sich stetig dem Wert vier.
Damit scheint einerseits die gemessene
Dimension auf makroskopischen Skalen zu Einsteins Relativitätstheorie zu
passen – ein Muss für jede Quantengravitationstheorie. Andererseits
verdeutlicht das, dass sich die mikroskopische Quantenraumzeit nicht
durch eine klassische, glatte Geometrie beschreiben lässt, die immer
eine ganzzahlige Dimension hat.
Damit
lieferte diese Beobachtungsgröße auf der Planckskala einen ersten
Einblick in die kontraintuitiven geometrischen Eigenschaften der
Quantenraumzeit. Und das war erst der Anfang.
Die Kunst im Bereich der KDT besteht darin, möglichst viele aussagekräftige Größen mit den dazugehörigen Computerexperimenten zu entwickeln – und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in die Konstruktion einer Quantengravitationstheorie zurückfließen zu lassen. Dabei dienen klassische geometrische Konzepte als Inspiration, aber sie lassen sich nur selten eins zu eins auf die Planckskala übertragen.
Eine
Ausnahme ist das Volumen der Quantenraumzeit. In der KDT verhält sich
die Größe im Mittel wie das Volumen eines so genannten De-Sitter-Raums –
eine bestimmte geometrische Form. Das ist extrem erstaunlich, da
Kosmologen das frühe Universum ebenfalls als De-Sitter-Raum beschreiben.
In diesem Fall ist das jedoch lediglich eine zweckmäßige Annahme,
wohingegen die De-Sitter-Aspekte in der KDT aus der
Quantengravitationstheorie folgen. Sie entstehen auf dynamische Weise
aus dem komplexen Zusammenspiel der mikroskopischen Bestandteile der
Quantenursuppe, ohne dass sie als bevorzugte Struktur hineingesteckt
wurden.
Eine
Größe, die sich nicht unmittelbar auf die nicht perturbative
Quantentheorie übertragen lässt, ist die in Einsteins Theorie
allgegenwärtige Krümmung der Raumzeit. Versucht man, die gewöhnliche
Krümmung in der KDT zu berechnen, entstehen unendlich große Werte,
sobald man die Gitterabstände schrumpfen lässt. Das liegt an der nicht
glatten Struktur und den starken Quantenfluktuationen.
Doch im Jahr 2020 konnten wir eine Quantenkrümmung finden, die endliche Ergebnisse auf der Plancklänge liefert und auf großen Skalen mit der gewöhnlichen Krümmung glatter Räume übereinstimmt. In Computerexperimenten verhält sich die gemittelte Quantenkrümmung ähnlich wie die Krümmung eines De-Sitter-Raums. Somit haben wir einen weiteren Hinweis darauf, dass die Beobachtungsgrößen der nicht perturbativen Quantentheorie zumindest Teile der allgemeinen Relativitätstheorie reproduzieren können.
Es stellt sich also die Frage, welche
Zutaten grundsätzlich nötig sind, damit aus einem Quantensubstrat eine
vierdimensionale Raumzeit entsteht, die sich durch Einstein Theorie
beschreiben lässt. Verhält sich vielleicht jedes System mikroskopischer
geometrischer Bausteine auf der Makroebene automatisch wie unser
Universum? Doch das scheint nicht der Fall zu sein.
Jahrzehntelang
wurden in Studien verschiedene Zufallsgeometrien untersucht. Wie sich
herausstellt, führen 99,9 Prozent dieser Modelle nicht zu einer
brauchbaren Raumzeit. Diese Formulierungen können aus mathematischer
Sicht interessant sein, sind aber keine Kandidaten für eine Theorie der
Quantengravitation. Umso erstaunlicher ist daher der in der KDT geführte
Nachweis, dass unter geeigneten Voraussetzungen eine makroskopisch
vierdimensionale Raumzeit entstehen kann, die darüber hinaus konkrete
Eigenschaften eines De-Sitter-Universums besitzt. Das ist ein wichtiger
Hinweis darauf, dass unsere Methodik physikalisch sinnvolle Ergebnisse
liefert.
Eine notwendige Zutat für eine erfolgreiche Beschreibung unseres Universums scheint eine kausale Ordnung auf den allerkleinsten Abständen zu sein, wie sie in der KDT implementiert wird. Eine solche Ordnung ist die Grundvoraussetzung für Konzepte wie Ursache und Wirkung sowie vorher und nachher. Andere nicht perturbative Ansätze der Quantengravitation vertrauen darauf, dass eine kausale Ordnung spontan aus einer Quantenursuppe ohne Zeit und Kausalität entsteht. Allerdings ließ sich ein solches Phänomen bisher noch nicht in Computerexperimenten beobachten oder anderweitig zeigen.
Auch
wenn die Quantengravitation selbst experimentell noch nicht zugänglich
ist, heißt das nicht, dass man der Fantasie bei der Entwicklung einer
entsprechenden Theorie freien Lauf lassen kann. Forschende müssen mit
Computerexperimenten nachweisen, dass sich geeignete Größen wie in der
klassischen Theorie verhalten, sobald man Quanteneffekte vernachlässigen
kann. Zudem ist die Wahl der verschiedenen Geometrien im Pfadintegral
faktisch beschränkt: Fällt der »Raum der Möglichkeiten« zu groß aus,
lassen sich die Unendlichkeiten in den Berechnungen nicht beseitigen;
man erhält also keine sinnvolle Theorie.
Ohne
solche Realitätschecks in der Form konkreter, nicht perturbativer
Berechnungen ist es auf diesem Gebiet praktisch unmöglich, Sinnvolles
von Unsinn zu unterscheiden. Genau das ist jedoch sehr wichtig, um
präzise Vorhersagen zu Quantengravitationseffekten zu machen – für
anschließende Beobachtungen oder Experimente.
Die
KDT ist in ihrer Methodik sehr einfach gehalten und kommt ohne
exotische Zutaten aus. Im Gegensatz zu wesentlich komplexeren Ansätzen,
die etwa auf elementaren Strings oder Schleifen aufbauen, hängt die KDT
von nur zwei frei wählbaren Parametern ab: der Gravitationskonstante und
einem nicht perturbativen Asymmetrieparameter. Dieser spielt in der
klassischen Theorie keine Rolle, wird aber bei hohen Energien zu einer
wichtigen Kopplungskonstante. Das Zusammenspiel der Quantenfelder und
Wechselwirkungen ist jedoch hochkomplex und erinnert an Systeme aus der
Festkörperphysik und der nicht perturbativen QCD. Speziell angepasste
computergestützte Methoden sind daher unabdingbar, um die Theorie zu
verstehen.
Die KDT hat uns erstmals einen Blick auf die Planckskala eröffnet. Damit liefert sie bereits jetzt konkrete Anhaltspunkte dafür, wie eine Quantenraumzeit aussehen könnte. Im Fokus steht aktuell die Frage, wie Quantenfluktuationen an verschiedenen Punkten des Quanten-De-Sitter-Universums miteinander zusammenhängen und welche Spuren sie in der kosmischen Hintergrundstrahlung hinterlassen könnten. Solche Fingerabdrücke ließen sich dann eventuell in den kommenden Jahren bei Himmelsdurchmusterungen nachweisen. Ähnlich spektakulär wäre der Beleg, dass Quanteneffekte im jungen Kosmos sich auf die Krümmung des heutigen Universums ausgewirkt haben oder sogar Strukturen hervorgerufen haben, wie wir sie anhand der heutigen Materie beobachten. Solche Forschungsansätze bieten eine hoffnungsvolle Perspektive auf die Quantengravitation – dem letzten Puzzlestück in unserem Verständnis der Grundkräfte.
Nota. - Ich bin kein Physiker und werde mich hüten, mich in fachliche Sachfragen einzumischen. Ich beschränke mich gebührend auf logische und... nun ja: auf 'vor-stellungslogische' Gesichtspunkte - wenn also etwa in einem theoretischen Modell zwei Vorstellungen verwendet werden, die miteinander nicht veträglich sind. Ganz ohne sachliches Verständnis geht auch das nicht, und man gerät oft in die Lage, Unfug zu reden, ohne es zu merken.
Aber dies hier ist kein Fachjournal, sondern ein ganz privates Blog. Natürlich schreibe ich gelegentlich Sachen, von denen ich die Leser überzeugen will, und argumentiere sachlich. Aber bei Gegenständen, zu denen ich keinen eigenen wissenschaftliche Zugang habe, denke ich gewissermaßen nur öffentlich nach. Kritik wäre mir willkommen, aber bedenken sie stets, dass ich all meine Sachaus-sagen stets unter Vorbehalt mache. Hier enthalte ich mich heute ihrer ganz.
JE
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