aus FAZ.NET, 16. 5. 2025 zuJochen Ebmeiers Realien, zu Philosophierungen
Die These von der Sonderstellung der menschlichen Intelligenz steht heute von zwei Seiten unter Druck. Von der einen drängeln Maschinen mit beeindruckender Rechenleistung, von der anderen Tiere und Mikroorganismen mit Fähigkeiten, die lange als ausschließlich menschlich galten. Philosophen und Theoretiker hat das zu allerlei Grenzauflösungen bewegt: Mal wird das Humane mit dem Techno-Ambiente verschmolzen, mal verdunstet es in einer körperlosen Infosphäre, mal wird es zum Partikel in einem wiederverzauberten Universum.
Die dritte Gefahr geht von Usern aus, die ihre Intelligenz bereitwillig der Maschine überantworten. Davon gibt es immer mehr, die amerikanischen Universitäten hat die KI schon erobert, wie das „New York Magazine“ gerade berichtet, und die deutschen liegen nicht weit zurück. Der übliche Schutzmechanismus gegen den Vormarsch der Maschinen lautet: Alles sehr beeindruckend, aber eigentlich ist die Maschine ja dumm. Das ist nicht falsch, weil es ihr an existentialhermeneutischem Verständnis fehlt. Es wirft aber die unbequeme Frage auf, warum man sich von einer dummen Maschine die geistige Arbeit abnehmen lässt und was das über deren Qualität aussagt.
Die Fähigkeit, situationsgerecht Informationen zu verarbeiten
Einen elaborierten Vorschlag, warum man Maschinen in einem bestimmten Sinn doch klug nennen kann, hat die Chemikerin und Literaturwissenschaftlerin Katherine Hayles gerade an der Universität Köln vorgestellt, wo sie in diesem Jahr die Albertus-Magnus-Professur innehat. Seit ihrem Buch „How we became posthuman“ (2008) gehört die normalerweise an der University of California in Los Angeles lehrende Hayles zur ersten Reihe der informationstechnisch versierten Literaturtheoretiker.

Auch Hayles rüttelt am Thron des Anthropozentrismus, den sie für die Umweltkrise verantwortlich macht. Ihre Antwort ist ein Kognitivismus, der sich vom Subjektbegriff der Aufklärung verabschiedet. Intelligenz, so ihre These, sei keine Domäne des Menschen, sondern ein zwischen Mensch, Tier und Technik verteiltes kognitives Phänomen. Sie werde nicht mehr am Bewusstsein gemessen, sondern an der Fähigkeit, situationsgerecht Informationen zu verarbeiten. Kognition könne, wie die meisten menschlichen Handlungen, unbewusst ablaufen, algorithmisch gesteuert sein und bis zur bakteriellen Ebene gehen. Auch nichtmenschliche Lebewesen spüren, interpretieren, ahnen voraus, lernen dazu und bauen so ihre Umwelten, wie Hayles an zahlreichen Beispielen demonstrierte. Ein Froschembryo schlüpfe etwa früher, wenn sich eine Schlange heranschleiche, und werde so zum stillen Zeugen einer breiten Intelligenz in der Natur.
Überraschend human
Den großen Sprachmodellen fehlen nach Hayles die Sinneseindrücke. Ansonsten verfügen auch sie über kognitive Qualitäten, wenn man Interpretationsfähigkeit in einem einfachen pragmatischen Sinn versteht. Ein tieferes Verständnis, das räumte Hayles ein, gehe ihnen ab. Trotzdem spielen sie eine kulturelle Rolle.
Was bedeutet es nun, wenn immer mehr Texte von Maschinen produziert werden? Hayles prognostiziert eine Glättung des Sinns, die Texte werden langweiliger, schablonenhafter mit unberechenbaren Ausschlägen. Durch Musterbildung entstehe ein implizites Wissen, das sich menschlicher Nachvollziehbarkeit entziehe. Vielleicht, meinte Hayles, werde die Maschine wie in Henry James’ Erzählung einmal die Figur im Teppich erkennen, den verborgenen Sinn. Noch gelänge ihr das nicht.
Ein Experiment mit ChatGPT zeigte ihr: Die Maschine wisse um ihre Grenzen. Aber sie habe kein Gefühl für Zwischentöne und keine moralischen Intuitionen. Das wird zum Problem, wenn Maschinen in Gerichten oder Operationssälen Entscheidungen treffen, für die Menschen zur Verantwortung gezogen werden. Die Kontrolle muss deshalb auch für Hayles weiter beim Menschen liegen, soweit er sie noch ausüben kann. Für eine Theoretikerin, die das aufklärerische Subjekt verabschieden will, klingt das überraschend human.
Nota. - Aber Bewusstsein braucht Intelligenz. Mehr oder weniger Intelligenz haben alle tierischen Spezies. Mehr oder weniger Bewusstsein haben alle menschlichen In-dividuen - das macht sie zu einer Spezies ohne ihres Gleichen (ohnegleichen).
Bewusstsein nämlich ist eine Intelligenz, die sich auf 'sich selbst' bezieht: sich als ein ihr Fremdes anschauen kann und will. Oder anders: Das Bewusstsein ist eine Intelli-genz, die sich in einer Welt wahrnimmt - und sich darum von sich selbst unterschei-den können muss: Bewusstsein ist eine Intelligenz, die sich von einer Welt unter-scheidet.
Die "Situation" verwischt diesen Unterschied: Je nachdem, von welcher Seite ich auf sie schaue, gehört sie mal mehr zu dem einen oder mehr zu der andern: Sie ist eine Synthesis apriori. Fürs wirkliche Erleben ist sie das einzig Reale: nämlich für einen, der als Dritter von außen zuschaut. Doch in der Reflexion sind sie bereits unterschieden. Und nur in der Reflexion kann man von ihnen reden.
JE
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