Freitag, 16. Mai 2025

Die Entdeckung der Quantenwelt

Quantenmechanik 
aus scinexx.de, 21. März 2025                                                                                            zuJochen Ebmeiers Realien

Die Entdeckung der Quantenwelt
Im Jahr 1925 begann die vielleicht folgenreichste Revolution unseres Weltbilds: Physiker entwickelten die ersten Quantentheorien – und versuchten damit die verwirrenden Phänomene der Quantenwelt zu erklären. Doch wo lag das Problem? Warum gab es jahrelang Streit? Und welche Rolle spielte eine Berghütte?

Die Welt der Quanten ist allgegenwärtig und doch nicht fassbar. Denn ihre Phänomene widersprechen den Regeln der klassischen Physik, bilden aber gleichzeitig das Gefüge, das unsere Welt im Kleinsten zusammenhält. Dadurch hat die Quantenphysik einige der klügsten Köpfe unseres Planeten an den Rand der Verzweiflung gebracht. Erst im Jahr 1925 gelang es einer kleinen Gruppe genialer Physiker, darunter Niels Bohr, Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger, ein wenig Ordnung in das verwirrende Chaos zu bringen.

Zum Andenken daran hat die UN das Jahr 2025 zum Internationalen Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie erklärt.

Planck, Einstein und das Wirkungsquant
Die Vorgeschichte

Die Quantenphysik erscheint auf den ersten Blick abstrakt und alltagsfern. Denn ihr Wirken ist unsichtbar und bestimmt das Verhalten der kleinsten Teilchen. Doch diese Effekte und ihre Auswirkungen prägen Wissenschaft, Technologie und selbst unseren Alltag auf fundamentale Weise.

Quantenwelt
Die Natur von Quantenteilchen entzieht sich den Definitionen der klassischen Physik

„Ohne die Quantenmechanik gäbe es keine Weltwirtschaft und auch kein Informationszeitalter“, erklären Daniel Kleppner und Roman Jackiw vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) im Fachmagazin „Science“. Denn Elektronik, Laser, Computertechnik und andere moderne Technologien basieren auf den Prinzipien der Quantenphysik. „Auch die spektakulären Fortschritte in Chemie, Biologie und Medizin – und nahe jeder anderen Wissenschaft – wären ohne die Werkzeuge der Quantenmechanik nicht möglich gewesen“, so Kleppner und Jackiw.

Im „Maschinenraum“ der Welt

Gleichzeitig entführt uns die Quantenphysik aber in eine völlig fremde Welt: Sie enthüllt den „Maschinenraum“ unserer Wirklichkeit und seine schwer fassbaren Gesetzmäßigkeiten. Im Reich der Quanten scheint nichts gewiss und alles von bloßen Wahrscheinlichkeiten geprägt: Ein Teilchen kann an mehreren Orten und in verschiedenen Zuständen gleichzeitig vorkommen. So ist Licht eine Welle und ein Teilchen, manchmal aber auch keins von beiden – und auch Schrödingers Katze ist lebendig und tot zugleich.

Die Quantenphysik zeigt uns all diese exotischen Phänomene, liefert aber auch die theoretische Erklärung dafür. Dies macht die Vorgänge im Quantenreich beschreibbar und ermöglicht es uns, sie praktisch zu nutzen. „Vor einem Jahrhundert war unser Verständnis der physikalischen Welt rein empirisch“, erklären Kleppner und Jackiw. „Die Quantenphysik hat uns eine Theorie der Materie und Felder gegeben – und dieses Wissen hat unsere Welt verändert.“

Max Planck in seinem Arbeitszimmer
Bei der Erforschung der Schwarzkörperstrahlung stößt Max Planck auf etwas Unerwartetes – und muss eine Konstante in seine Formel einfügen – das Plancksche Wirkungsquant
Planck und das Quant

Doch die Anfänge der Quantenphysik waren alles andere als geradlinig oder erhellend. Das Ganze beginnt, als Physiker bei ihren Experimenten immer wieder auf Phänomene stoßen, die sich nicht mit den Regeln der klassischen Physik erklären lassen. Das stellt auch der deutsche Physiker Max Planck fest, als er um 1900 die sogenannte Schwarzkörper-Strahlung untersucht. Dabei handelt es sich um das Strahlungsspektrum, das ein heißes, alle Strahlung absorbierendes Objekt abgibt. Je heißer dieser Schwarzkörper wird, desto stärker „glüht“ er und gibt entsprechende Wärmestrahlung ab.

Planck sucht nach einer Formel, die dieses abgestrahlte Spektrum allgemeingültig beschreibt – und stößt auf ein Problem: Die Energie-Freisetzung des Schwarzkörpers verändert sich nicht kontinuierlich wie erwartet, sondern scheint in klar abgegrenzten Stufen von einem Wert zum nächsten zu springen. Planck muss daher eine Konstante h in seine Gleichungen einfügen, damit sie zu den Beobachtungen passt.

Eine Naturkonstante bleibt inkognito

Heute wissen wir, dass diese Konstante h für die Quantisierung der Energie steht: Die Strahlung ist in „Energiepakete“ unterteilt, die ihre kleinstmögliche Einheit darstellen. Die Planck-Konstante beschreibt das Verhältnis der Energie eines Teilchens zur Frequenz seiner Wellennatur. Sie ist damit eine fundamentale Naturkonstante und Ausdruck des im Quantenreich herrschenden Welle-Teilchen-Dualismus: Ein Photon oder Elektron kann sich je nach Situation und Messmethode wie ein festes Teilchen oder wie eine Welle verhalten. Die Entdeckung des planckschen Wirkungsquants gilt heute als der Startschuss für die Ära der Quantenphysik.

Doch das gilt nur in der Rückschau: Planck und seine Zeitgenossen sehen in der Konstante nicht mehr als einen Korrekturfaktor, eine Art mathematischen Trick. Weder der Welle-Teilchen-Dualismus noch die Bedeutung des planckschen Wirkungsquants sind bekannt oder auch nur Thema. „Planck sah in der Konstante h keinen Indikator für eine echte physikalische Diskontinuität und auch keiner seiner Kollegen griff diese Möglichkeit auf“, erklärt die Wissenschaftshistorikerin Cathryn Carson von der University of California in Berkeley.

photoelektrischer Effekt
Aufgrund seiner Beobachtungen beim photoelektrischen Effekt vermutet Einstein, dass auch Licht gequantelt sein könnte

Einstein und das portionierte Licht

Das ändert sich erst im Jahr 1905 – durch Albert Einstein. In seiner bahnbrechenden Veröffentlichung zum photoelektrischen Effekt und dem Verhalten von Licht wirft er die Frage auf, ob sich nicht auch Licht unter bestimmten Umständen wie ein Strom von Teilchen verhalten kann – also beispielsweise von angeregter Materie in diskreten Einheiten abgegeben wird. Einstein beschreibt damit als erster, dass auch Licht und elektromagnetische Strahlung insgesamt gequantelt sein muss.

„Interessant ist jedoch, dass Einstein sich dabei nicht auf Plancks Konstante h bezieht“, erklärt Wissenschaftshistorikerin Cathryn Carson von der University of California in Berkeley. „Dennoch liefert er nicht nur eine experimentell testbare Hypothese, sondern auch eine neue Methode, um die Konstante h zu messen.“

Aber auch das reicht nicht aus, um die Revolution der Physik in Gang zu bringen. Die enorme Bedeutung dessen, was Planck und Einstein hier entdeckt haben, bleibt weiter unerkannt – oder wird schlicht abgelehnt. Das bleibt auch so, als der US-Physiker Robert Millikan im Jahr 1916 Einsteins photoelektrischen Effekt samt Konstante h experimentell bestätigt. „Millikan und andere wehrten sich gegen die zugrundeliegende Quantenhypothese. Sie verstieß gegen alles, was man über das Wellenverhalten des Lichts wusste, und schien unvereinbar mit Maxwells Gleichungen“, so Carson.

Und auch in einem anderen Feld der Physik gibt es Erklärungsnöte.

Bohr, Compton und ein Dualismus
Von Wellen und Teilchen

Während sich Einstein und Planck mit der merkwürdig gequantelten Natur von elektromagnetischer Strahlung herumschlagen, kämpfen Physiker auch in einem anderen Gebiet mit schwer erklärbaren Phänomenen.

Das Rätsel der Spektrallinien

Im Mittelpunkt des Rätsels stehen die um 1850 von Joseph von Fraunhofer entdeckten Spektrallinien und ihre Interpretation durch die Chemiker Robert Bunsen und Gustav Kirchhoff im Jahr 1860. Seither ist bekannt, dass der „Strichcode“ des Lichtspektrums elementspezifisch ist und irgendwie mit der Beschaffenheit der verschiedenen Atome zusammenhängen muss. So erzeugt beispielsweise Wasserstoff bei Energiezufuhr Spektrallinien nur bei bestimmten Wellenlängen. Je nach Energiezugabe bilden diese Linien Serien – die Balmer-Serie, die Lyman-Serie und die Paschen-Serie. Doch warum, bleibt unklar.

Balmer-Serie des Wasserstoffspektrums
Das Phänomen der Spektrallinien, hier die Balmer-Serie des Wasserstoffs, ist vor 1913 schwer erklärbar. 

An diesem Punkt kommt ein weiterer Pionier des Quantenzeitalters ins Spiel: Niels Bohr. Der junge dänische Physiker arbeitet zu diesem Zeitpunkt im Labor von Ernest Rutherford, der als erster die Trennung von Atomkern und Elektronenhülle bewiesen hat. Doch Rutherfords Atommodell kann nicht erklären, warum die Atome bei Anregung immer nur Licht bestimmter Wellenlängen abgeben. Bohr hat sich jedoch mit dem von Planck und Einstein entdeckten Phänomen der gequantelten Strahlung beschäftigt. Er versucht daher, das Atommodell so weiterzuentwickeln, dass es dieses Phänomen erklären kann.

Niels Bohr und sein Atommodell
Das Atommodell von Niels Bohr erklärt die Spektrallinien durch die Sprünge von Elektronen zwischen verschiedenen energetisch bedingten Bahnen.
Bohr und die „gequantelten“ Elektronenbahnen

Und es funktioniert: 1913 veröffentlicht Niels Bohr sein bahnbrechendes Atommodell. „Bohrs entscheidende Erkenntnis war, dass Elektronen nur spezifische, stationäre Bahnen um den Kern einnehmen können“, erklärt der Physiker Oliver Passon von der Universität Wuppertal. „In gewisser Weise sind auch sie damit gequantelt.“ Wird dem Atom Energie zugeführt, springen die Elektronen vorübergehend auf eine nächsthöhere Bahn, geben diese Energie aber wenig später wieder als Licht ab.

Der Clou dabei: Weil das Elektron seine Energie nur in bestimmten Paketen – den Quanten – abgeben kann, hat das freigesetzte Licht eine spezifische Wellenlänge, entsprechend der abgegebenen Energiemenge. „Bohrs Theorie war voller Widersprüche, aber es lieferte eine erste quantitative Beschreibung des Wasserstoff-Spektrums“, erklären Daniel Kleppner und Roman Jackiw vom MIT. Allerdings: Auch Bohr geht noch von Licht als einer reinen Welle aus. Die bloße Vorstellung, dass Licht auch aus Teilchen bestehen könnte, lehnt er ab. Damit ist er nicht allein.

Die Entdeckung des Photons

Das ändert sich nur wenig, als es einen weiteren bahnbrechenden Durchbruch gibt: die Entdeckung des Welle-Teilchen-Dualismus. 1922 schließt der US-Physiker Arthur Compton aus seinen Experimenten mit der Röntgenstreuung, dass Licht nicht nur eine Welle ist, sondern auch aus Teilchen bestehen muss – Photonen. „Damit haben wir nun zwei Theorien des Lichts – beide unverzichtbar, aber, wie man zugeben muss, ohne jede logische Verbindung zwischen ihnen, trotz 20 Jahren kolossaler Anstrengungen der theoretischen Physiker“, schreibt Einstein im Jahr 1924.

Ebenfalls 1924 veröffentlicht der französische Physiker Louis de Broglie in seiner Doktorarbeit eine weitere, ebenso bahnbrechende Erkenntnis: Aus Einsteins berühmter Formel E=mc2 leitet er ab, dass auch Materie einen Welle-Teilchen-Dualismus zeigen muss. Elektronen und andere Teilchen können demnach als eine Art stehender Wellen verstanden werden, die je nach Impuls des Teilchens eine spezifische Wellenlänge haben. Je höher die Energie, desto kürzer die Wellenlänge der Strahlung.

Interferenz im Elektronenstrahl
Der hier sichtbare Interferenz-Effekt in einer Elektronenbeugungs-röhre belegt, dass auch Elektronen wie Wellen reagieren können. 

Welle und Teilchen zugleich!?

Diese Idee ist so revolutionär, dass sich die Dissertations-Gutachter an der Pariser Sorbonne zunächst nicht imstande sehen, de Broglies Doktorarbeit zu benoten. „Die Idee war faszinierend, aber keiner wusste, was die Wellennatur eines Teilchens konkret bedeutet und wie sie mit der Struktur der Atome zusammenpasste“, erklären Kleppner und Jackiw. Einer der Gutachter, der Physiker Paul Langevin, schickt daraufhin ein Exemplar von de Broglies Arbeit an Einstein mit der Bitte um seine Einschätzung. Dieser ist beeindruckt und de Broglie erhält seinen Doktortitel.

Doch bewiesen ist de Broglies revolutionäre Idee noch nicht – entsprechend groß ist bei vielen etablierten Physikern die Skepsis. Das ändert sich erst im Jahr 1927 und 1928, als britische und US-amerikanische Forscher unabhängig voneinander den Welle-Teilchen-Dualismus für Elektronen erstmals experimentell bestätigen: Sie zeigen, dass auch ein Elektronenstrahl ein Interferenzmuster hervorrufen kann – etwas, das nur bei Wellen vorkommen kann. Nachvollziehen lässt sich dies beispielsweise im bekannten Doppelspaltexperiment, das Physiker mittlerweile sogar schon mit Antimaterieteilchen umgesetzt haben.

Physikalisches Durcheinander

Aber was bedeutet dies für die Physik insgesamt? Die Entdeckung des Welle-Teilchen-Dualismus kann zwar einige zuvor rätselhafte Phänomen erklären, stellt aber auch viele etablierte Vorstellungen in Frage. „Im Moment ist die Physik wieder sehr verwirrend und in jedem Fall zu schwierig für mich. Ich wünschte, ich wäre ein Filmkomiker oder so etwas in der Art und hätte nie etwas von der Physik gehört“, zitiert die Wissenschaftshistorikern Cathryn Carson eine Bemerkung des österreichischen Physikers Wolfgang Pauli aus dem Frühjahr 1925.

Doch diese Situation sollte sich schon bald radikal verändern.

Heisenberg, Schrödinger und die Geburt der Quantentheorie(n)
Das Jahr 1925

Anfang 1925 herrscht in der Welt der Physik ein Durcheinander von alten klassischen Lehrsätzen, ersten quantenphysikalischen Erweiterungen und vielen ungeklärten Fragen. Es fehlt eine übergeordnete Theorie, die die Welt der Quanten und ihr exotisches Verhalten schlüssig erklärt.

Oder, wie es der deutsche Physiker Max Born schon 1923 formuliert: „Das gesamte System der physikalischen Konzepte muss von Grund auf neu aufgebaut werden.“ Aber wie? Noch im gleichen Jahr liefern zwei Physiker darauf eine Antwort – allerdings scheinen diese Antworten auf den ersten Blick völlig unterschiedlich.

Werner Heisenberg
Der junge deutsche Physiker Werner Heisenberg entwickelt mit seiner Matrizenmechanik die erste Quantentheorie.

Ein folgenreicher Heuschnupfen

Den Anfang macht der deutsche Physiker Werner Heisenberg. Der 24-Jährige hat gerade seine Doktorarbeit abgeschlossen und ist als Assistent an die Universität Göttingen gewechselt – einem weltweit führenden Zentrum der aufkommenden Quantenphysik. Hier trifft Heisenberg auf Max Born, Wolfgang Pauli, Paul Dirac, aber auch Enrico Fermi und Robert Oppenheimer, der zu dieser Zeit gerade seine Doktorarbeit in Göttingen begonnen hat.

Die „jungen Wilden“ der Göttinger Physik versuchen, Ordnung in das Chaos der Quantenwelt zu bringen. Im Frühsommer muss Heisenberg jedoch flüchten: Sein Heuschnupfen wird so stark, dass er Zuflucht auf einer maximal entlegenen deutschen Insel sucht: auf Helgoland. Doch auch dort lässt ihm das Quantenproblem keine Ruhe. Er überlegt, wie man das Verhalten der Atome und Elektronen beschreiben könnte, ohne die etablierten Begriffe der klassischen Physik wie Geschwindigkeit oder Bahn zu verwenden.

„Denn es lässt sich der schwerwiegende Einwand erheben, dass jene Rechenregeln als wesentlichen Bestandteil Beziehungen zwischen Größen enthalten, die scheinbar prinzipiell nicht beobachtet werden können, wie zum Beispiel den Ort oder die Umlaufzeit des Elektrons“, schreibt Heisenberg. Er sucht daher nach mathematisch-physikalischen Gleichungen, die nur tatsächlich messbare Größen enthalten und die die „Mechanik“ der Quantenwelt widerspiegeln.

Heisenbergs Matrizenmechanik

Heisenberg findet tatsächlich eine Lösung. Noch auf Helgoland entwickelt er eine „quantenmechanische Umdeutung“, die erstmals eine in sich schlüssige mathematische Beschreibung des Quantenverhaltens ermöglicht. Dies gelingt, weil der Physiker in seinen Formeln alle unter einer bestimmten Bedingung möglichen Werte für Ort, Impuls und Energie eines Teilchens in Form mathematischer Matrizen repräsentiert. Mit diesen Gleichungen war es beispielsweise möglich, die Wahrscheinlichkeit der Elektronensprünge im Atom von einem
Energie-Niveau zum anderen zu berechnen.

Ende Juli 1925 veröffentlicht Heisenberg einen ersten Fachartikel zu seiner „Matrizenmechanik“, bis November 1925 folgen zwei weitere, in denen er seine Quantenmechanik gemeinsam mit seine Göttinger Kollegen Max Born und Pascual Jordan weiterentwickelt. Zum ersten Mal gibt es damit eine Theorie, die die Quantenwelt ohne Stückwerk aus der klassischen Physik beschreibbar macht.

Allerdings ist Heisenbergs Matrizenmechanik alles andere als leicht verständlich oder einfach anwendbar. Der US-Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg schreibt einzige Jahrzehnte später: „Ich habe den Aufsatz mehrmals zu lesen versucht, und obwohl ich die Quantenmechanik zu verstehen glaube, habe ich nie verstanden, wie Heisenberg die mathematischen Schritte in seinem Aufsatz begründete.“

Erwin Schrödinger
Erwin Schrödinger stellt mit seiner Wellengleichung eine konkurrierende Theorie auf – so zumindest scheint es.

Schrödinger, eine Berghütte und die Wellenmechanik

An diesem Punkt kommt der österreichische Physiker Erwin Schrödinger ins Spiel – und auch er findet seine bahnbrechende Antwort auf das Quantenproblem nicht am Arbeitsplatz: Er entwickelt seine Gleichungen in einer Berghütte in den Schweizer Alpen. Anders als Heisenberg geht Schrödinger dabei von der 1924 durch Louis de Broglie gemachten Erkenntnis aus, dass sich auch Materieteilchen wie eine Welle verhalten. Die Bewegungen und Positionen der Elektronen um den Atomkern können daher als stehende Wellen betrachtet werden.

Für Schrödinger folgt daraus, dass das Verhalten der Elektronen mit einer Wellenfunktion beschreibbar sein muss. „Das Elektron ist nicht länger eine Art kleine Kugel, die sich durch das Universum bewegt. Stattdessen gibt die Wellenfunktion die Wahrscheinlichkeit an, dass es sich gerade an einem bestimmten Ort im Universum aufhält“, erklärt der Physiker Ulrich Schollwöck von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Schrödinger sieht seine Wellenfunktion anfangs allerdings noch als Aussage über die Ladungs- und Massendichte. Erst Max Born präzisiert dies wenige Monate später als Angabe über die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Quantenteilchens.

Anfang 1926 veröffentlicht Schrödinger seine heute nach ihm benannte Gleichung. Gegenüber Heisenbergs Matrizenmechanik hat sie einen großen Vorteil: Weil Schrödingers Wellenmechanik auf einer Differentialgleichung mit partiellen Ableitungen beruht, ist sie mathematisch zugänglicher – sie nutzt altbekannte mathematische Werkzeuge.

Damit gibt es nun zwei konkurrierende Theorien, die das Verhalten der kleinsten Teilchen beschreibbar machen. Und nun?

Theorienstreit, Unschärfe und eine entscheidende Konferenz
Die Kopenhagener Deutung

Mit Ende des Jahres 1925 gibt es in der Physik zwei Theorien, die die Welt der Quanten beschreibbar machen. Allerdings scheinen Heisenbergs Matrizenmechanik und Schrödingers Wellenmechanik kaum miteinander vereinbar. Wer hat Recht?

Welche Sicht auf die Quantenwelt stimmt?
Anfang 1926 herrscht Unklarheit darüber, welche Theorie das Wesen der Quantenwelt zutreffender beschreibt: die Matrizenmechanik von Werner Heisenberg oder die Wellenmechanik von Erwin Schrödinger. 

„Lokal-Aberglauben“ und „Unsinn“

„Es ist wenig überraschend, dass die Koexistenz dieser alternativen Theorien Diskussionen auslöste“, schreibt die Wissenschaftshistorikerin Cathryn Carson von der University of California in Berkeley. Bei ihren heftigen Debatten scheuen die Physiker auch vor markigen Worten nicht zurück: Wolfgang Pauli, der der Heisenbergschen Sicht anhängt, bezeichnet Schrödingers Wellenmechanik abfällig als „Züricher Lokal-Aberglauben“.

Heisenberg wiederum wird bei einem Vortrag Schrödingers in München wegen seiner kritischen Kommentare fast aus dem Hörsaal geworfen. In einem Brief an eine Physikerkollegen schreibt Heisenberg: “ Je mehr ich über den physikalischen Teil der Schrödinger-Theorie nachdenke, desto abstoßender finde ich sie. Was Schrödinger über die Visualisierbarkeit seiner Theorie schreibt, ist ‚wahrscheinlich nicht ganz richtig‘, mit anderen Worten, es ist Unsinn.“

Drei Sichtweisen der Quantenwelt

„Selbst die schon bald demonstrierte Tatsache, dass beide Gleichungen mathematisch äquivalent sind, beendete den Disput über die korrekte Interpretation nicht“, schreibt Carson. Tatsächlich scheinen beide Theorien auf den ersten Blick gegensätzlich, denn sie sehen die Quantenwelt aus völlig anderen Perspektiven: Heisenbergs Matrizenmechanik beruht auf der Vorstellung von nicht kontinuierlichen, gequantelten Einheiten. Demnach existieren Teilchen zwar als reale Objekte, ihr Verhalten entzieht sich aber der direkten Beobachtung.

Die Schrödingergleichung beschreibt die Quantenwelt dagegen als Kontinuum, in der Teilchen nur ein Ausdruck der zugrundeliegenden Welle sind. Die Bahn des Elektrons um den Atomkern entspricht demnach einer kreisförmigen stehenden Welle. Der dänische Physiker Niels Bohr wiederum sieht Wellen- und Teilchennatur als komplementär an: Je nach Experiment ist immer nur eines von beiden messbar, weil bereits die Messmethode das Quantenobjekt beeinflusst und definiert.

Jeder der drei Hauptprotagonisten des Streits – Heisenberg, Schrödinger und Bohr – vertritt damit zu diesem Zeitpunkt seine ganz eigene Version der Quantenphysik. Die Uneinigkeit über die korrekte Interpretation der Quantenwelt hält auch an, als Heisenberg 1926 zu Niels Bohr nach Kopenhagen wechselt.

Heisenbergs Publikation
Werner Heisenbergs Veröffentlichung zur Unschärferelation im Jahr 1927

Die Unschärferelation

Bei einem Nachtspaziergang – so die Überlieferung – denkt Heisenberg über ein Experiment nach, in dem geladene Teilchen Spuren in einer mit Wasserdampf übersättigten Kammer hinterlassen. Diese Spuren in der Wolkenkammer belegen, dass sich bestimmte Merkmale von einzelnen Teilchen sehr wohl direkt beobachten lassen – entgegen seiner ursprünglichen Annahme. Aber warum gelingt dies nicht für alle?

Nachdem Heisenberg dies in weiteren Experimenten untersucht, kommt er zu einer weiteren bahnbrechenden Erkenntnis: Bei einem Quantenteilchen können zwei komplementäre Merkmale – beispielsweise Position und Impuls – nicht gleichzeitig präzise gemessen werden. Denn die genaue Messung des einen Merkmals verändert automatisch das zweite Merkmal und verhindert so die gleichzeitige präzise Messung. 1927 veröffentlicht Heisenberg diese Erkenntnis unter dem Begriff „Unbestimmtheitsprinzip“, heute ist sie als Heisenbergsche Unschärferelation bekannt.

Die „Kopenhagener Deutung“ setzt sich durch

Damit haben sich Heisenberg und Bohr in ihrer Sicht der Quantenwelt angenähert. Beide gehen nun davon aus, dass quantenphysikalische Vorgänge in der Natur nur über Wahrscheinlichkeiten zu beschreiben sind und dass die Messung diese Wahrscheinlichkeiten beeinflusst. Aber auch Schrödingers Sicht hat in dieser „Kopenhagener Deutung“ einen Platz: Wenn ein Quantenobjekt sich i Experiment wie eine Welle verhält, muss seine Wellenfunktion der Schrödingergleichung folgen.

Teilnehmer der 5. Solvay- Konferenz
Die Quantentheorien sind auch das beherrschende Thema bei der 5. Solvay-Konferenz im Jahr 1927. Namentlich gekennzeichnet sind einige der Pioniere der Quantenphysik. 

Im Oktober 1927 ist die „Kopenhagener Deutung“ das Hauptthema auf der fünften Solvay-Konferenz in Brüssel, bei der sich die weltweite Physiker-Elite trifft. Unter den 29 Teilnehmern sind neben Heisenberg, Schrödinger und Bohr auch Max Born, Louis de Broglie, Paul Dirac, Wolfgang Pauli und Einstein. Letzterer lehnt die Vorstellung einer von bloßen Wahrscheinlichkeiten und Zufall geprägten Quantenwelt vehement ab – „Gott würfelt nicht“, so Einsteins berühmt gewordener Ausspruch dazu.

Dennoch setzt sich die „Kopenhagener Deutung“ durch und damit die von Bohr und Heisenberg vertretene Sicht der Quantenwelt. Heisenberg schreibt später dazu: „Die Diskussionen zwischen Bohr und Einstein beherrschten die Konferenz, und wenn es auch nicht gelang, Einstein davon zu überzeugen, dass die neue Deutung der Quantentheorie in jeder Weise befriedigend sei, so musste Einstein doch schließlich zugeben, dass sie in sich geschlossen und widerspruchsfrei war.“

Die Ära der Quantenphysik beginnt

Damit ist der Grundstein für eine übergeordnete und gleichzeitig praktisch nutzbare Quantentheorie gelegt. „Unabhängig davon, welche Lehren man aus der Quantenmechanik zieht, scheint sie zu funktionieren. Sie integriert nicht nur elegant die bisherigen Quantenphänomene, sondern öffnet auch die Tür zu neuen Anwendungen“, erklärt die Wissenschaftshistorikerin Cathryn Carson.

Die Physik hat nun die wesentlichen Werkzeuge, um Phänomene wie die Spektrallinien, das Verhalten der Elektronen oder die scheinbar widersprüchlichen Effekte des Welle-Teilchen-Dualismus zu erklären. Zwar sind Ende 1927 noch immer nicht alle Detailfragen der Quantenmechanik geklärt, aber die Basis steht. Die Ära der Quantenphysik hat damit endgültig begonnen.

 

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