Dienstag, 17. Dezember 2024

Woher kommt Bewusstsein?

Wenn Gefühle am Ursprung des Bewusstseins stehen - wie steht es dann um unsere nahen Verwandten?  
aus nzz.ch, 13. 12. 2024                                               Wenn Gefühle am Ursprung des Bewusstseins stehen - wie steht es dann um unsere nahen Verwandten?                                                             zu Jochen Ebmeiers Realien zu Philosophierungen,

Wie entstand unser Bewusstsein? Forscher haben eine neue Hypo-these. Und es geht um Gefühle.
Zwei Neurowissenschafter haben eine neue Idee über die Ursprünge des Bewusstseins vorgestellt. Sie liefern eine kontrastreiche Ergänzung zu etablierten Theorien.

von Henrik Bischoff

In der modernen Neurowissenschaft ist das Bewusstsein eines der grossen ungelö-sten Rätsel. Antonio und Hanna Damasio, beide waren renommierte Neurowissen-schafter an der University of Southern California, haben eine faszinierende Hypo-these vorgestellt: Sie verorten die Ursprünge des Bewusstseins in den körperlichen Gefühlen. Sie argumentieren, dass Gefühle – und nicht etwa Kognition oder höhere Gehirnfunktionen – die Grundlage des Bewusstseins darstellen.

Diese Perspektive könnte unser Selbstverständnis als Menschen grundlegend ver-ändern und bietet eine kontrastreiche Ergänzung zu etablierten Theorien, die Be-wusstsein bisher vor allem im Bereich der Kognition und Wahrnehmung veranker-ten.

Bewusstsein als kognitive Meisterleistung?

In der klassischen Neurowissenschaft ist Bewusstsein häufig als Produkt kognitiver und sensorischer Verarbeitung verstanden worden. Diese Sichtweise, die häufig unter dem Begriff des Kognitivismus zusammengefasst wird, betrachtet das Bewusstsein als Ergebnis der komplexen Verarbeitung von Informationen und Reizen durch das Gehirn. Bewusstsein ist demnach die Fähigkeit, sensorische Eindrücke aus der Aussenwelt zu integrieren und sie in ein kohärentes Bild zu formen, das uns als «Ich» erscheint.

In dieser Sichtweise ist Bewusstsein somit eine Art Erweiterung der kognitiven Fähigkeiten höherer Säugetiere und insbesondere des Menschen. Höhere Gehirnareale wie der präfrontale Kortex, der für komplexe Entscheidungsprozesse und Reflexion zuständig ist, spielen dabei eine zentrale Rolle. Auch die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, also die Vorstellung von einem «Selbst» als getrennter Entität, wird hier als eine Art Nebenprodukt des kognitiven Fortschritts betrachtet.

Wahrnehmung des eigenen Körpers

Eine weitere prominente Theorie, die sogenannte Global Workspace Theory (GWT), schlägt vor, dass Bewusstsein entsteht, wenn Informationen aus verschiedenen sensorischen und kognitiven Systemen im Gehirn in einem gemeinsamen «Arbeitsraum» zusammenlaufen. Dieser Mechanismus ermöglicht es, dass Informationen aus verschiedenen Gehirnbereichen miteinander interagieren und eine bewusste Wahrnehmung erzeugen. Bewusstsein ist hier also die Fähigkeit des Gehirns, verschiedene Informationen zu einem kohärenten Ganzen zu integrieren und als eine Einheit zu präsentieren.

Im Gegensatz zu diesen kognitiv orientierten Theorien verlagern Antonio und Hanna Damasio den Ursprung des Bewusstseins in den Bereich der Empfindung und des Gefühls. Sie argumentieren, dass nicht nur die Verarbeitung äusserer Reize oder die kognitive Integration von Informationen Bewusstsein erzeugen, sondern vielmehr auch die Wahrnehmung innerer Körperzustände.

Ihre Hypothese stellt das Konzept der «homöostatischen Gefühle» ins Zentrum: Diese Gefühle, die tief im Körper wurzeln und uns über unseren physischen Zustand informieren – Hunger, Durst, Schmerz, Kälte oder Wohlbefinden –, seien die Grundlage des bewussten Erlebens. Die entscheidenden Bausteine des Bewusstseins liegen in dieser Sicht in den Empfindungen, die wir über unseren Körper wahrnehmen – und weniger in den kognitiven Prozessen, die wir bislang oft als grundlegend betrachteten.

Bewusstsein als Überlebensinstrument

Die Damasios bieten darüber hinaus eine evolutionäre Erklärung für ihre Theorie: Die Entwicklung des Bewusstseins wuchs nicht mit der Fähigkeit, komplexe Gedanken zu fassen, sondern mit der Notwendigkeit, grundlegende Körperzustände zu regulieren und zu überleben. Homöostatische Gefühle – das Wahrnehmen von Hunger, Schmerz oder Temperatur – bieten demnach nicht nur eine Überlebensgrundlage, sondern bilden auch den Ausgangspunkt für das subjektive Erleben. Bewusstsein, so die Damasios, sei keine kognitive Meisterleistung, sondern ein evolutionäres Werkzeug, das es Lebewesen ermöglicht, ihr eigenes Wohlbefinden zu maximieren und Risiken aktiv zu vermeiden.

Manche Forscher mögen befürchten, dass das Modell der Damasios dazu führen könnte, kognitive Prozesse bei der Erklärung des Bewusstseins zu vernachlässigen. Das Bewusstsein des Menschen ist schliesslich nicht nur das Empfinden innerer Zustände, sondern umfasst auch das komplexe Nachdenken über sich selbst und die Welt. Die Damasios selbst argumentieren, dass kognitive Prozesse durchaus eine wichtige Rolle spielten, aber dass diese ohne das Fundament der Gefühle gar nicht entstehen könnten. Die Fähigkeit zu fühlen sei die Voraussetzung, aus der später kognitive Reflexion wachsen könne.

Für die Therapie hilfreich

Der Ansatz der Damasios könnte auch für die Therapie und Behandlung psychischer Erkrankungen eine Rolle spielen. Wenn wir das Bewusstsein und das Selbstverständnis des Menschen als tief im Körper verwurzelt betrachten, könnten Therapiemethoden, die auf Körperwahrnehmung und Empfindung abzielen, eine neue Bedeutung gewinnen. Achtsamkeitsbasierte Therapieformen oder körperorientierte Verfahren könnten einen direkten Zugang zum Bewusstsein bieten, indem sie die Patienten lehren, ihre inneren Körperempfindungen wahrzunehmen und zu interpretieren. Dies könnte bei der Behandlung von Angstzuständen oder Depressionen hilfreich sein, da Patienten durch den Fokus auf ihren Körper lernen, ihre Emotionen und Bedürfnisse besser zu verstehen und zu regulieren.

Die Theorie der Damasios rückt also den Menschen als fühlendes, empfindsames Wesen ins Zentrum und könnte dazu beitragen, die Therapie von einer rein kognitiven auf eine ganzheitlichere Ebene zu heben. In einer Zeit, in der das Selbst oft mit Denkleistung gleichgesetzt wird, erinnert uns diese Sichtweise daran, dass Bewusstsein mehr ist als nur ein komplexes Rechenmodell. Das Menschsein beginnt in den tiefsten Schichten des Körperempfindens – und genau dort könnte die Heilung ansetzen.

In einer zunehmend kognitiv orientierten Welt könnte diese Rückbesinnung auf das Fühlen nicht nur die Neurowissenschaft bereichern, sondern auch unser Verständnis für uns selbst als fühlende, lebendige Wesen vertiefen.

Henrik Bischoff ist klinischer und neurokognitiver Psychologe und forscht derzeit an der Sigmund-Freud-Privat-Universität Wien. Zuvor war er als Affiliated Researcher am Laureate Brain Institute in Tulsa, Oklahoma, tätig.

 

Nota. - Der alles entscheidende Mangel der künstlichen gegenüber der lebendigen Intelligenz ist,  dass sie keinem organischen Leib innewohnt, der in der Welt ist. Der Mangel der tierischen Intelligenz ist, dass der organische Leib, dem sie innewohnt, nicht in einer Welt ist, sondern nur in seiner (!) Umwelt.

Künstliche Intelligenz reagiert auf Daten, die ihr anonym von außen zugeführt wer-den und die sie nicht beurteilen, aber miteinander verrechnen kann. Auch tierische Intelligenz reagiert auf Daten - die sie nicht selber identifizieren muss, weil ihre Re-aktionen genetisch programmiert sind. Menschliche Intelligenz reagiert auf Daten, die sie unablässig in ihrer ungestalten Masse auf- und aussucht, absichtsvoll zuein-ander in Beziehung setzt und daraus Schlüsse folgert. Denn sie ist in einer Welt, wo sie 'Information' nicht nur aufnimmt, sondern auch eingibt.

*

Bewusstsein ist das Vermögen, die eigene Aufmerksamkeit zu richten  - man merkt auf etwas. Das setzt voraus, sich von etwas anderm unterschieden zu haben. Setzt es voraus? Nein, es ist es selbst, beides geschieht im selben Akte. Um mich selbst zu bemerken, muss ich Anderes von mir unterschieden haben - auch das geschieht im selben Akt. Bewusstsein ist von vorn das, was Selbstbewustsein von hinten ist; oder andersrum.

*

Anderes ist Fremdes. Die intelligente Maschine kennt nichs Fremdes: Was sie kennt, wurde ihr eingegeben; sie lernt es kennen als Bestandteil "ihrer selbst", aber ein Selbst hat sie nichts, weil ihr nichts Fremdes begegnet. Sie ist in keiner Welt: Eine Welt ist ein Reich von Anderm, und unter Bewusstsein versteht man die Absicht, es sich bekannt zu machen.

Ein Tier dagegen begegnet keinem Fremden. In seiner Umwelt kommt nur vor, was gattungsmäßig zu ihm schon in einem Verhältnis steht; Nahrung oder Fressfeind. Es kennt es, weil es genetisch in sein Verhaltenspotenzial eingeprägt ist. Es muss auf nicht merken, es reicht, dass es reagiert - möglichst schnell.

*

Der Schlüssel zum Bewusstsein-meiner ist die Unterscheidung, ob die Gefühle, die mein Sensorium meinem Gehirn vermeldet, mir 'ganz von allein' zukommen, oder aus meinem Handeln stammen: daraus, dass meine Tätigkeit einen Widerstand er-fährt aus einem, das ihr entgegensteht und ihr als Gegen stand vorkommt. Der Un-terschied ist nicht in ihm begründet, sondern in ihr, denn dass sie selber tätig ist, weiß sie, indem sie tut

Die Realität der Dinge ist dem Erlebenden verbürgt durch die Gefühle, die ihr Widerstand gegen seine Tätigkeit auslöst. Darauf kann er merken. Nicht nur seine Selbstgewissheit, sondern auch seine Außenwahrnehmung entsteht als Interpreta-tion, d. h. sinnhafte* Ausdeutung der Meldungen seiner Sinnesorgane an die Ner-venzellen in seinem Gehirn. Unterscheiden nach 'innen' und 'außen' kann er nicht die Gefühle selbst, sondern durch seine Tätigkeit, die diese  hervorbringt und jene nicht. Die einen schreibt er den Gegenständen zu, auf die er 'selber' wirkt, die an-dern seinem Leib, der ihm erst durch diese Unterscheidung zu seinem wird.

Diese Unterscheidung nennen wir Bewusstsein. Sie muss unentwegt erneuert wer-den, um über den Augenblick hinaus zu dauern.

*) Einen Sinn muss er eingangs selber hineinstecken, als Absicht. Die entsteht nicht aus (bewusster!) Reflexion, sondern begründet sie.
JE



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