Donnerstag, 18. Dezember 2025

Wurden Hirnscans systematisch missverstanden?

Die Auswertung ergab überraschend: Ein erhöhtes fMRT-Blutfluss-Signal hing in vielen Fällen mit niedrigerem Sauerstoffverbrauch und damit niedrigerer statt höherer Hirnaktivität zusammen. Umgekehrt fanden Epp und ihre Kollegen auch verminderte fMRT-Signale in Regionen mit tatsächlich erhöhter neuronaler Aktivität. Je nach gestellter Aufgabe und untersuchter Hirnregion zeigten sich unterschiedliche physiologische Messwerte.

In rund 40 Prozent der Fälle waren Blutfluss und Sauerstoffgehalt nicht gekoppelt oder gar gegenläufig. Zum Beispiel stieg der Sauerstoffverbrauch in Hirnarealen, die beim Rechnen aktiv sind. Dieser Sauerstoff wurde allerdings aus dem Blut entnommen, ohne dass der Blutfluss selbst sich veränderte, wie die quantitativen MRT-Daten enthüllten. Das bedeutet, dass diese Hirnregionen aktiv sind und ihren Energiebedarf effizient decken, ohne dass dies im fMRT anhand einer gesteigerten Durchblutung sichtbar wäre.

Zahlreiche Studien müssen überprüft werden

„Das widerspricht der bislang geltenden Annahme, dass erhöhte Hirnaktivität immer mit erhöhtem Blutfluss zur Deckung des gestiegenen Sauerstoffbedarfs einhergeht“, erklärt Epp. „Da weltweit zehntausende fMRT-Studien auf dieser Annahme beruhen, könnten unsere Ergebnisse bei vielen davon zu entgegengesetzten Interpretationen führen.“ Das bedeutet, dass die meisten Studien wahrscheinlich richtig, viele aber auch falsch interpretiert wurden und neu ausgewertet werden müssen, darunter solche zu Hirnerkrankungen.

„Viele fMRT‑Studien zu psychiatrischen oder neurologischen Erkrankungen – von Depression bis Alzheimer – interpretieren Änderungen im Blutfluss als verlässliches Signal neuronaler Unter‑ oder Überaktivierung. Dies muss nun wegen der beschränkten Aussagekraft dieser Ergebnisse neu bewertet werden“, so Seniorautor Valentin Riedl von der FAU.

Patienten könnten falsch diagnostiziert worden sein

Patienten, bei denen mittels fMRT neuronale Defizite festgestellt wurden, haben demnach möglicherweise gar keine. Stattdessen könnten Gefäßveränderungen vorliegen, die die missverstandenen fMRT-Daten hervorgerufen haben, vermutet Riedl. Für reale Diagnosen müssen die Daten solcher Patienten nun erneut betrachtet oder neu gemessen werden.

Die Ergebnisse des Teams legen nahe, dass vor allem bei Studien zum „Default mode network“ Fehlinterpretationen vorliegen. Dieses Ruhezustandsnetzwerk ist unter anderem an der Selbstreflexion, am Planen und am Erinnern beteiligt, aber auch an ADHS und Depressionen. Die genauen Zusammenhänge könnten dabei aber andere sein als bislang gedacht.

Neue Hirnkartierungen nötig

Für künftige Studien schlagen Epp und ihre Kollegen vor, die herkömmliche fMRT-Methode mit quantitativen Messungen zum Sauerstofffluss zu ergänzen. Diese Kombination aus Blut- und Sauerstofffluss würde mehr Daten liefern und gesichertere Interpretationen ermöglichen.

Langfristig könnten auf diese Weise auch neue Gehirnmodelle entwickelt und Hirnkartierungen erstellt werden: Statt des Blutflusses würden die Karten dann den Sauerstoff- und Energieverbrauch darstellen, welche tatsächlich zur Informationsverarbeitung nötig sind. Damit könnten dann Alterungsprozesse, psychiatrische oder neurodegenerative Erkrankungen neu untersucht werden. (Nature Neuroscience, 2025; doi: 10.1038/s41593-025-02132-9

Quelle: Technische Universität München, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg; 17. Dezember 2025 - von Claudia Krapp


Nota. -  Das ist ein ganz dicker Hund, dessen theoretische Tragweite noch gar nicht abzusehen ist.

Am Default Modus wird es deutlich. Einen "Ruhezustand" gibt es im organischen Bereich gar nicht, der Ausdruck ist eine irreführende Fiktion. Ein Organismus ruht nie, er betreibt mindestens Stoffwechsel, aber hier soll er außerdem "an der Selbst-reflexion, am Planen und am Erinnern beteiligt" sein. Kein Wunder, dass Blutzu-fuhr ihm dazu nicht reicht, und sie also für sich allein nichts anderes anzeigt als eben - Blutzufuhr.

Der 'Default modus' ist keine Abstraktion, denn er abstrahiert vom leben selbst, nämlich von dem, was an den Organen Funktion ist. Er kann also nicht als in Raum und Zeit vorkommend gedacht werden. In rein theoretischen Modellen ist so eine Fiktion vielleicht zweckmäßig, was weiß ich? Aber bestimmt nicht da, wo reelle Schlussfolgerungen gezogen werden. 'Reflexion, Planen und Erinnern' umfasst so gut wie alles, was wir geläufig unter Bewusstsein verstehen. 
JE 

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