Sonntag, 15. Juni 2025

Paul Klees Engelfiguren.

Paul Klee, Angelus Novus, 1920, Ölpause und Aquarell auf Papier, 31,8 x 24,2 cm, Jerusalem, Israel Museum. Schenkung von Fania und Gershom Scholem,Jerusalem; John Herring, Marlene und Paul Herring, Jo Carole und RonaldLauder, New York © The Israel Museum, Jerusalem, Elie Posner
aus Tagesspiegel, 15. 6. 2925                                                                               zu Geschmackssachen
 
Boten der Zwischenwelt:  
Über die Bedeutung von Engelsfiguren im Werk Paul Klees
Der „Angelus Novus“ ist eines seiner bekanntesten Werke. Doch Paul Klee hat im Laufe seines Künstlerlebens noch viel mehr dieser Figuren geschaffen. Eine Betrachtung
 
Von  Bernhard Schulz

Engel gehören nicht eben zum Inventar der modernen Kunst. Der Jetztzeit fehlt das theologische Fundament, auf dem Engel ihren Platz einnehmen könnten. Und doch spielen Engel im Œuvre eines der bedeutendsten, vor allem aber beliebtesten Künstler der Moderne eine gewichtige Rolle. Es ist dies Paul Klee. Er hat in seiner künstlerischen Laufbahn um die 70 Darstellungen von Engeln geschaffen, bis zu seinen überhaupt letzten Werken von 1940, dem „Todesengel“ sowie dem „Stillleben“, in dem er ein eigenes Blatt zitiert – mit einem Engel. 

Der „Todesengel“, entstanden unmittelbar vor seinem eigenen, seit Jahren durch schwere Krankheit sich ankündigenden Tod, lässt ahnen, dass die Engel in Klees Werk ganz persönliche Engel sind, Boten nicht so sehr des Himmels als einer Zwischenwelt. Klee war Eindeutigkeit fremd, er wollte, wie er einmal sagte, „das Dazwischenliegende als das Richtige treffen“.

Anschmiegsam oder überheblich

So können die Engel bei Klee alle möglichen Zustände spiegeln, sie können gut sein oder vielleicht auch ein wenig verschlagen, anschmiegsam oder überheblich. Sie können vor allem die unterschiedlichsten Formen annehmen und darunter solche, mit denen der Betrachter durchaus nichts Engelhaftes assoziiert. Das gilt vor allem für die Werke des Jahres 1939, das erstaunlicherweise das produktivste in Klees, von ihm minuziös verzeichneten Schaffen ausmacht, mit nicht weniger als 1253 Arbeiten.

Da sind die Flügel zumeist nur angedeutet, als Dreiecke gerade noch erkennbar; und wenn ein Blatt betitelt ist mit „ein alter Musiker tut engelhaft“, dann ist klar, dass da keine Engelsdarstellung ist, sondern die Reflexion über das Engelhafte, etwas, das zu Klees Zeiten noch im allgemeinen Sprachgebrauch verankert war.

Paul Klees „Engel bringt das Gewünschte“

Anfangs waren die Engel bei Klee durchaus Wesen aus einer anderen Welt. „Engel bringt das Gewünschte“ heißt die wohl früheste Darstellung aus dem Jahr 1913, wo der Engel tatsächlich von oben herabfährt und dem knienden Erdenmenschen etwas gibt; nur was, das wird nicht erkennbar. Deutlich ist das „Gewünschte“ dann sieben Jahre später in der ganz und gar irdischen Darstellung, „Ein Genius serviert ein kleines Frühstück“. Noch zwei Mal farbig gefasst, hat dann besagter Genius – der wohl als weiblich zu denken ist – ein rotes Herz, buchstäblich „auf dem rechten Fleck“.

„Ein Genius serviert ein kleines Frühstück“ von 1920

Es ist dasselbe Jahr, in dem Klee auch eines seiner bekanntesten Werke ersinnt, den „Angelus novus“, zunächst in dem von ihm erprobten Ölumdruckverfahren und später nochmals als Bleistiftzeichnung. Zur Zeit ist er – eine seltene Gelegenheit – als Leihgabe des Israel Museums im Bode-Museum zu besichtigen. Dort bildet er den Kern der Kabinettausstellung „Der Engel der Geschichte“.

Was den „Angelus novus“ von allen späteren Engeln Klees unterscheidet, ist das sorgfältig ausgeführte Gesicht. Ob er allerdings Flügel besitzt, darüber kann man geteilter Meinung sein, denn was der Engel erhebt, im Gestus des Erschreckens oder auch des Segnens, sind seine Arme, die übergangslos in jeweils fünf Finger ausmünden.

„Angelus Novus“ ist derzeit als Leihgabe aus Jerusalem im Bode-Museum zu sehen.

Diese Figur ist zu Klees bekanntestem Engel geworden, das heißt, er ist über den Umstand der so tiefsinnigen Interpretation durch Walter Benjamin in dessen Thesen „Über den Begriff der Geschichte“ (1940) zu einem Benjaminschen Engel geworden, losgelöst von Klee und dessen Werk. Doch nichts von dem, was Benjamin dem Engel zuschreibt, ist ihm unmissverständlich zu eigen.

Benjamins Denkfigur

Vollends der „Engel der Geschichte“ ist allein Benjamins Denkfigur: „Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“

Nie hat sich Klee in eine solche Richtung geäußert. Eine eindeutige Lesart war ihm fremd, der das Uneindeutige liebte; der sich der prekären Lage der menschlichen Existenz bewusst war, umso mehr nach dem Ausbruch seiner eigenen, unbezwingbaren Krankheit. Dass allerdings Benjamin den „Angelus“ bereits im Entstehungsjahr erwarb und dann zeitlebens als kostbares Sinnbild und als Denkanreger bewahrte – und lange bevor er die späte geschichtsphilosophische Interpretation formulierte –, spricht für eine, wenn man so will, Seelenverwandtschaft von Denker und Künstler. 

Nota. - Banal? Enschuljense bitte. Das passiert fast immer, wenn irgendwo Benjamin berührt wird. Da ist er selber schuld. 
JE 

 

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