
aus FAZ.NET, 11. 6. 2025 zu
Die meisten Menschen assoziieren mit dem Begriff Schönheit sofort etwas Positi-ves. So wird gutes Aussehen schnell mit Eigenschaften wie kompetent oder erfolg-reich in Verbindung gebracht. Eine in den „Scientific Reports“ erschienene Studie zeigt, dass das in vielen Sprachen weltweit offenkundig ähnlich positiv – aber durch-aus unterschiedlich stark – verankert ist. Doch nicht in allen Kulturen ist Schönheit gleich konnotiert.
Für ihre Untersuchung haben die Ökonomen Wladislaw Mill von der Universität Mannheim und Benjamin Kohler von der ETH Zürich Sprachmuster in 68 Spra-chen analysiert, darunter europäische, asiatische und afrikanische. Dazu nutzten sie Sprachmodelle, die mit großen Textmengen trainiert wurden und in der Lage wa-ren, Zusammenhänge zwischen Begriffen zu erkennen.[sic] Auf diese Weise haben die Forscher herausgefunden, wie eng Wörter wie „schön“ oder „hübsch“ mit Be-griffen wie „erfolgreich“, „klug“ oder „vertrauenswürdig“ in der jeweiligen Sprache verknüpft sind. „Unsere Methode erlaubt es erstmals, kulturelle Muster in der Wahr-nehmung von Schönheit automatisiert und vergleichend zu erfassen“, sagt Studien-leiter Mill.
Während ähnliche Erhebungen sich früher fast ausschließlich auf westliche Indu-striegesellschaften konzentrierten, erfasst die neue Studie dieses Phänomen erstmals weltweit. Die wichtigste Erkenntnis: Der Begriff Schönheit wird in 63 der unter-suchten 68 Sprachen, also fast überall, mit etwas Positivem verbunden. Die For-scher bezeichnen das als „Schönheitsprämie“. Im Englischen, Französischen, Ita-lienischen oder im Finnischen beispielsweise zeigte sich in den Sprachmodellen eine enge Verbindung zwischen positiven Begriffen wie Schönheit, Erfolg, Intelligenz oder Stärke. Auch in der somalischen Sprache oder bei Hindi fanden die Forscher ähnliche Muster. Doch die Stärke dieser Verbindung ist verschieden. So ist dieser Zusammenhang zum Beispiel im Französischen und in Hindi deutlich stärker als im Englischen.
Um die Schönheitsprämie verschiedener Länder vergleichen und quantifizieren zu können, entwickelten Mill und Kohler einen standardisierten Index. So war die Nei-gung, Schönheit positiv zu bewerten, in Sprachen wie Finnisch und Japanisch bis zu viermal so stark ausgeprägt wie im Englischen. Anders sieht es bei Vietnamesisch oder Rumänisch aus: In diesen Ländern tauchen im Sprachgebrauch auch negative Assoziationen mit dem Begriff Schönheit auf. Dort verbinden viele Menschen häu-fig Wörter, die Attraktivität beschreiben, nicht mit Kompetenz, sondern eher mit Misstrauen oder Misserfolg.
Warum es diese Unterschiede gibt, ist unklar. Möglicherweise spielen andere Schön-heitsideale eine Rolle, die sich auch in der Sprache niederschlagen. In manchen Län-dern wird beispielsweise Schönheit stärker als in anderen mit Gesundheit und somit mit Fortpflanzungschancen assoziiert. Das zeigt sich den Autoren zufolge auch in der Sprache dadurch, dass Begriffe wie Gesundheit tendenziell häufiger in Zusam-menhang mit Schönheit genannt werden.
Neben der Schönheitsprämie stellten die beiden Wissenschaftler fest, dass Worte, die Hässlichkeit beschreiben, in der englischen Sprache systematisch mit negativen Begriffen wie Misserfolg, Armut oder Misstrauen assoziiert werden. Diesen Effekt bezeichnen sie analog zur Schönheitsprämie als „Hässlichkeitsstrafe“. Ob und in welchem Ausmaß dieser Effekt auch in anderen Sprachen existiert, haben die Wis-senschaftler nicht im Detail untersucht, es erscheint ihnen aber naheliegend.
Dass in viele Sprachen Wörter wie „schön“ oft zusammen mit anderen positiven Begriffe verwendet werden, ist kein Zufall. Die Verknüpfungen von Attributen wachsen mit den Erzählungen, Werten und Normen, die eine Gesellschaft von Generation zu Generation weitergibt. Wenn sich diese kulturellen Rahmenbedin-gungen verändern, zum Beispiel durch gesellschaftliche Debatten, neue Schön-heitsideale oder durch politische Bewegungen, können sich auch die mit dem Begriff Schönheit verknüpften Vorstellungen wandeln. Wer erreichen will, dass Menschen nicht allein nach ihrem Aussehen beurteilt werden, muss also verstehen, welche Rolle Schönheit in einer bestimmten Kultur spielt, so ein Fazit der beiden Autoren.
Nota. - Pater Brown sagt, als er seine neue Gemeinde erreicht, "hübsch hässlich habt ihr's hier"; aber natürlich auf Englisch: Pretty ugly wird er gesagt haben. Haben die Forscher ugly als "positiv-" und pretty als "negativ-konnotiert" gezählt? Denn was anderes als Zählen scheint ihnen als 'Methode' ja nicht eingefallen zu sein. Dass in der englischen Umgangssprache Ironie und anderes uneigentliches Reden wie under- und overstatement schon unter Kindern gang und gäbe ist, lässt sich stati-stisch ja wohl nicht erfassen. Dieser Geist durchzieht aber die ganze englische Kultur, und wer davon nichts wissen will, wird zum Beispiel die very britischen Präraffaeliten und den ganzen Victorian Aestheticism als bloßen Kitsch missver-stehen. Kitsch waren sie wohl auch, aber mit scharfer Pointe gegen den saturierten Dünkel des viktorianischen Zeitalters, und können gerne auch "als Spott gelesen werden".
Ich könnte mir vorstellen, dass die zitierten Forscher selber so arglos unschuldig sind wie ihre Frankfurter Rezensentin. Der Einfall, Lebensäußerungen, die stärker als alle andern individuell und kulturell wertbehaftet sind, quantitativ erfassen zu können, hätte Margaret Mead nicht minder die Tränen in die Augen getrieben als Lévi-Strauss - wem von beiden vor Lachen, wem vor Kummer?
JE
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