aus Tagesspiegel, 29. 6. 2025 zu nicht ganz öffentlichen Angelegenheiten
Da sind die beiden Vorsitzenden der SPD. Klingbeil wurde abgestraft. Genau weiß man nicht, wofür eigentlich alles. Weil er die bisherige Co-Vorsitzende Saskia Esken hat fallen lassen? Dabei wurde sie von kaum jemanden in der Partei unterstützt – auch von kaum einer Frau.
Oder weil er die Partei mit frischen Leuten ins Kabinett geführt hat und relativ viel SPD in den Koalitionsvertrag mit der Union verhandelt hat für relativ wenig SPD-Wahlergebnis?
Wohl eher, weil er zu sehr taktiert hat. Zu viele haben ihm die Stimme verweigert, weil sie aus dem Bundestag geflogen sind, obwohl es mit Boris Pistorius einen besseren Kanzlerkandidaten als Olaf Scholz gegeben hätte. Doch den wollte er nicht, auch um selbst schneller und einfach an die Macht zu kommen.
Und die Co-Vorsitzende? Bärbel Bas hat sich mit einer opportunistischen Rede ein Traumergebnis von 95 Prozent gesichert. Opportunistisch deshalb, weil sie das gemacht hat, was eine Parteitags-SPD gerne hört: viel vermeintliche soziale Wärme verströmen lassen.
Einfach Narrative aus „Kein Sozialabbau“ oder „der Kampf unten gegen oben“. Doch sie selbst war es doch, die gesagt hat, dass man an die „mafiösen Strukturen beim Bürgergeld“ ran muss. Auf dem Parteitag kein Wort mehr davon.
Stattdessen
wird immer wieder betont, dass die SPD wieder Partei der Arbeiter
werden müsse, Partei der arbeitenden Mitte. Nur was heißt das
eigentlich? Für welche Arbeiterinnen und Arbeiter? Wo sind die
Politikangebote für diese Mitte?
Auch auf diesem Parteitag war davon nicht viel zu hören, zu sehen oder zu fühlen. Ja, die SPD muss die Brücken schlagen, vielleicht mehr als andere. Aber tatsächlich sendet sie meistens nur Botschaften an prekär Beschäftigte, oder an die, die gar keine Arbeit haben, vor allem auch an die, die eigentlich arbeiten könnten – es aber schlicht nicht wollen.
Es mag sein, dass man beim Bürgergeld durch schärfere Sanktionen, strengere Regeln, mehr Fokussierung darauf, Menschen wieder in Arbeit zu bringen, nicht viel Geld spart. Nur geht es gar nicht alleine ums Finanzielle. Es geht darum, Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme zurückzugewinnen. Arbeit muss sich lohnen. Richtig. Aber wer arbeitet, muss auch mehr haben, als der- oder diejenige ohne Arbeit. Das ist ebenfalls richtig. Und das ist auch ein sozialdemokratischer Grundsatz.
Viele Menschen
haben sich auch durch eine sozialdemokratische Leistung, nämlich das
Versprechen Aufstieg durch Bildung, etwas erwirtschaftet. Sie haben
etwas zu verlieren. Sie verdienen nicht am unteren Ende, sondern in der
Mitte.
Und ihre Sorgen sind vielleicht andere als der Mindestlohn. Da geht es um bezahlbaren Wohnraum, gute Schulen, funktionierende Gesundheitssysteme, Pflege. Doch diese Themen werden bei der SPD selten ins Zentrum gestellt, schon gar nicht auf Parteitagen. Da geht es um Verteilungskämpfe, Klassenkampf.
Bas und Klingbeil gehen jetzt mit einem schwereren Rucksack aus dem Parteitag in die nächsten Debatten mit der Union, als sie reingegangen sind. Schon diese Woche wird es um das Bürgergeld und die Rente gehen. Da wird keine Parteitagsromantik helfen.
Und für
Friedrich Merz ist dieser SPD-Parteitag auch ein Signal. Da ist eine
Partei, die höchst verunsichert ist, die keinen klaren Kurs hat, deren
Vorsitzender geschwächt ist und die Co-Vorsitzende sich gezwungen sehen
könnte, noch mehr das Parteitagsherz zu bedienen, statt den Wünschen der
arbeitenden Mitte wirklich mal nachzukommen.
Dabei gibt es genau dort eine echte Lücke im Parteiensystem. Alle, die nur Klassenkampf wollen, neigen ohnehin zur Linken. Alle, die den ökologischen Umbau ins Zentrum rücken, sind bei den Grünen. Die CDU könnte etwas für die arbeitende Mitte tun, macht es aber auch nicht. Es könnte eine Chance für die SPD sein. Die Sozialdemokratie müsste die Chance dafür aber ergreifen wollen. Nach diesem Parteitag muss man schwere Zweifel haben.
Nota. - Weder ist da "eine Lücke im Parteiensystem", noch ist irgendeine Sonder-gruppe der Gesellschaft vernachlässigt worden: Wer soll das sein: "die arbeitende Mitte"? Keiner wird zugeben, dass er nicht arbeitend sei. Und selbst einer, der nicht arbeitet, würde zugeben, dass er nicht "Mitte ist"; außer den sowieso üblichen Ver-dächtigen.
Ja ja, "es fehlt" eine Partei der radikalen Mitte, aber nicht, um eine wahltaktische "Lücke" zu füllen, sondern um unser ganzes Parteiensystem um eine neue Achse zu drehen.
JE
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