
Ein Leben hat einen Anfang und ein Ende.
Da das Ende nicht abzusehen ist, taugt die Lebenspanne nicht als Maß. Sie hat aber von Natur ihre eigenen Maße. Der Wechsel von Tag und Nacht ist nicht für alles Leben von Bedeutung. Anders der Wechsel der Jahreszeiten; was immer im Licht lebt, kriegt ihn zu spüren.
Tiere scheinen dafür eine innere Uhr zu haben, doch zumindest an kleinen Verän-derungen im Lebensraum bemerken sie den bevorstehehenden Wandel. Die Men-schen wollen ihn, seit sie ihre natürliche Umwelt im Urwald verlassen haben, ge-nauer vorhersehen können.
Die Dauer des Tages kann man unter einfachsten Lebensbedingugen hinreichend nach dem Sonnenstand abschätzen; der gibt zwar auch auf die Jahreszeit einen un-gefähren Hinweis, doch um längerfristige Unternehmungen zu planen, braucht man exaktere Anhaltspunkte.
Das Jahr nach Tagen abzählen ist nicht möglich, indem man wie im Kerker Striche an die Wand malt. Fürs Sonnenjahr bräuchte man 365 Striche, und die kann man nicht mehr übersehen.
Man muss schon einen Grund haben, genauer zu zählen, um sich einen sicheren und weitern Rahmen zu suchen. Spätestens der Übergang zum Ackerbau lieferte ihn. Im Mondumlauf fand man eine natürlich präzis gequantelte Größe.
Die ältesten Zählstäbe, die bislang gefunden wurden, stammen von Australopithe-cinen in Südafrika. Sie weisen in 4 x 7 gruppierte Kerben auf, die nach menschli-chem Ermessen kaum etwas anderes bedeuten können als die Mondaufgänge im Lauf von 28 Tagen. Je zwölf davon - 4 x 3 - ergeben das Mondjahr. Es stimmt nicht ganz mit dem Sonnenjahr überein, aber auf Ackerbau gegründete Gesellschaften gaben ihm bis in ihre Kultordnungen hinein den Vorzug vor dem Sonnenjahr. So anscheinend z. B. in Stonehenge, wo immerhin die Sonne eine Art Höhepunkt markieren darf. Für den Islam gibt noch heute das Mondjahr den Ausschlag.
Den Tag zu messen war schon umständlicher. Mittag ist, wenn die Sonne im Zenith steht. Das kann man nicht mehr über den Daumen peilen (und würde auch den Augen schaden). Die Mönche in ihren Zellen mussten aber die Gebetszeiten einhal-ten (Muslime hören auf den Muezzin), und so erfanden sie die Sanduhr. Die gehen nur so ungefähr, aber auf Sekunden kam's dabei nicht an. Die Christen erfanden die Kirchenglocken. Die gingen zwar genauer, aber von Ort zu Ort - und wo es mehre-re gab, selbst innerhalb des Orts - anders. Darum gab es in größeren Orten eine Hauptuhr, nach der die andern Kirchtürme sich richteten.
Solange Warentransporte von Stadt zu Stadt Tage dauern konnten, waren auch ein paar Stunden Verspätung kein großes Problem. Anders wurde es erst, als durch Eisenbahn und schließlich Funkverkehr die Anschlüsse klappen mussten. Dass Uhren pünktlich gehen sollen, ist erst seither selbstverständlich.
Bei den Längen- und Gewichtsmaßen oder gar den Geldwerten war über Jahrhun-derte das Durcheinander so groß, dass erst die Französische Revolution mit der Festlegung des Meters den westlich Ländern ein gemeinsames Maßsystem aufdrän-gen und den Markt zum allgemeinen Taktgeber machen konnte.
Die Naturwissenschaft hat die Technik ermöglicht, die die große Industrie geschaf-fen hat, und die Technologie brauchte eine Naturwissenschaft, die über die Erfor-dernisse der Alltagsgeschäfte hinausblickt. Seither kam die Vorstellung auf, dass Wissenschaft Wahrheit und dass das Ungefähr des Alltag eine Unsauberkeit ist, und auch die Vermengung von Verstand und Vermunft stammt daher. Ausschlaggebend ist letzten Endes überall Mathematik. Wo die nicht hinreicht, herrscht letzten Endes das Recht des Stärkeren. Und weil inzwischen auch die Küchen Schlachtfelder der Technik geworden sind, glaubt man an eine Verwissenschaftlichung der Welt. Was sich nicht mathematisieren lässt, gilt nicht als wirklich, und mathematisieren lässt sich nur, was messbar ist.
Ist nur wirklich, was sich messen lässt?
Ja. Wirklich ist, was in Raum und Zeit vorkommt, und das kann man vermessen. Das Messen ist sogar der einzig mögliche Erweis, dass es in Raum und Zeit vor-kommt. Der bloße Augenschein kann trügen.
Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE
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