aus derStandard.at, Die
Raumzeitkrümmung zu Jochen Ebmeiers Realien
von Karin Krichmayr
Was ist Realität eigentlich? Sind die Dinge so, wie sie in unserer Wahrnehmung scheinen? Und wie hängt das alles mit Raumzeit, Gravitation und den Vorgängen auf unfassbar winzigen Skalen zusammen? "Was wir für Realität halten, braucht eine Korrektur", sagt Renate Loll. "Es passt nicht mit unserem Bild zusammen, das wir aus dem Verständnis der Quantenphysik entwickeln."
Renate Loll, theoretische Physikerin an der Radboud-Universität im niederländi-schen Nijmegen, hielt den Eröffnungsvortrag bei der Abschlussveranstaltung der Semesterfrage der Universität Wien zum Thema "Wie verändert Quantenforschung unsere Wirklichkeit?" – und brachte dabei nicht nur so manche Vorstellung von der Realität ins Wanken, sondern auch viele Köpfe im vollen Saal in der Aula der Wis-senschaften in Wien zum Rauchen. Anlass für die von STANDARD-Chefredakteur Gerold Riedmann moderierte Diskussionsrunde, zu der die Uni Wien in Koopera-tion mit den Science Talks des Wissenschaftsministeriums geladen hatte, war das 100-Jahr-Jubiläum der Formulierung der Quantenmechanik durch Werner Heisenberg.
Wie verändert Quantenforschung unsere Wirklichkeit?
Podiumsdiskussion zur Semesterfrage
Heute ist Quantenphysik zwar allgegenwärtig, zum Beispiel in unseren Smartpho-nes, und doch "wirft sie noch dieselben Fragen auf wie vor 100 Jahren", sagte Loll. "Sie gibt uns einen Begriff von Realität, der nicht mit dem übereinstimmt, was wir mit unseren Sinnesorganen wahrnehmen. Es ist eine Zumutung der Natur."
Eine zentrale Erkenntnis des 21. Jahrhunderts sei: "Alle Physik ist letztendlich Quantenphysik." Das bedeute auch, dass die tatsächliche Realität die Quantenre-alität sei. Das Problem dabei: Die Phänomene der Quantenwelt lassen sich nur auf mikroskopisch kleinen Skalen beschreiben, auf der Ebene von Atomen, Elektronen und Licht. Und auf dieser Skala finden sich Prinzipien, die für unsere Wahrneh-mung, die an die makroskopische Welt gewöhnt ist, absolut widersinnig wirken – wie Überlagerung, Verschränkung und Quantenfluktuationen. "Die mikroskopische Physik ist nicht einfach eine verkleinerte Version der makroskopischen. Atome verhalten sich nicht wie Billardkugeln", schilderte Loll. All das lässt sich zwar nicht direkt wahrnehmen, aber sehr wohl in Experimenten nachweisen.

Auch wenn Experimente mit immer größeren Teilchen klappen, klafft noch eine "entsetzliche Lücke" in der Quantenforschung, wie Loll erläuterte. "Wir haben bereits fertige Theorien für drei der vier fundamentalen Wechselwirkungen, nämlich den Elektromagnetismus und die schwachen und starken Kernkräfte. Es ist aber noch nicht gelungen, auch die Gravitation mit der Quantenphysik in Einklang zu bringen." Gravitation wird seit Albert Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie mit der Krümmung der Raumzeit gleichgesetzt. Und diese Kraft ist im Gegensatz zu ihrer Bezeichnung "Schwerkraft" extrem schwach, wie Loll anhand einer Büroklam-mer und eines Magneten, der die Gravitation locker aussticht, demonstrierte – und auf der "wahnwitzig kleinen" Quantenskala mit derzeitigen Technologien nicht messbar.
Es geht also um nicht weniger, als die fundamentalen Widersprüche zwischen der allgemeinen Relativitätstheorie und den Prinzipien der Quantentheorie aufzulösen, um auch die Gravitation auf Quantenphänomene zurückführen und damit den Quantenursprung von Raumzeit verstehen zu können. Der "heilige Gral" der Quantenphysik wäre, einen Weg zu finden, um "Kontakt zur realen Welt" herzustellen, indem es gelinge, beobachtbare Effekte der Quantengravitation vorherzusagen und dann tatsächlich zu verifizieren, etwa durch astrophysikalische Messungen. Inzwischen muss man sich mit Computersimulationen zufriedengeben, die immer genauere Ergebnisse liefern.
Weiter ist die Forschung schon auf den Gebieten der Quantenkommunikation und Quantenkryptografie, Bereiche, in denen österreichische Forschungsgruppen maßgebliche Fortschritte erzielt haben, allen voran Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger. Dass Österreich ein gutes Pflaster für Quantenforschung sei, liege daran, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Visionäre gehabt zu haben und gleichzeitig den Mut, sie zu finanzieren, sagte Markus Aspelmeyer, der an der Universität Wien und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zu Quantenoptik, Quantennanophysik und Quanteninformation forscht.
"Das Geld ist da", ist Christina Hirschl von den Silicon Austria Labs (SAL) überzeugt und hält fest, dass es weiterhin Mut brauche – und entsprechende Infrastruktur. Die SAL arbeiten an einer Pilot-Produktionslinie für Ionenfallen, eine der möglichen Grundlagen für Quantencomputer. Zusätzlich brauche es noch mehr "Entrepreneur-Spirit", eine entspanntere Einstellung gegenüber dem Scheitern und mehr Venture-Fonds zur Finanzierung von Start-ups. "Die Möglichkeiten der Anwendungen in unserem täglichen Leben werden riesig sein", gab sich Hirschl optimistisch.
Momentan könnte auch Europa davon profitieren, dass viele Forschende in den USA von Budgetkürzungen und Unsicherheiten durch die massiven Einschnitte der Trump-Regierung betroffen sind, betonte Thomas Jennewein, Physiker an der kanadischen Simon Fraser University in Vancouver. Man könne sich nun profilieren und versuchen, hoch qualifizierte Forschende anzuziehen. Auch Kanada würde sich nun bei Kollaborationen eher nach Europa als zum Nachbarn USA ausrichten.
Am Ende der Diskussion geht es noch einmal weg von den Banalitäten unserer wahrgenommenen Realität zurück zu dem, was eigentlich dahintersteckt. Was sagt denn nun die Quantenphysik über die Wirklichkeit aus? "Nichts – das ist genau unser Problem", sagte Markus Aspelmeyer. "Der große Wurf, der Werner Heisenberg vor 100 Jahren gelungen ist, war es, dass wir nur noch Aussagen darüber machen, was wir beobachten können, und nicht darüber, wie die Natur ist." Man habe den Versuch aufgegeben, zu hinterfragen, was denn unsere Beobachtungen letztlich erzeugt.
Aus philosophischer Perspektive stelle das ein "völlig skurriles" Problem dar, sagte Aspelmeyer und lädt die Geisteswissenschaften ein, daran mitzuarbeiten, neue Ideen zu finden, die dazu führen, die noch offenen fundamentalen Fragen der Quantenphysik – und damit unserer Wirklichkeit – zu klären. Oder, wie es Renate Loll formulierte: "Freuen wir uns auf die nächsten 100 Jahre!"
Nota. - "Alle Physik ist letztendlich Quantenphysik" - das heißt, der ganze Kosmos ist letztendlich aus Quanten zusammengesetzt. Mit derselben Berechtigung könnte man sagen, alle Physik sei letztendlich Kosmologie, denn die Quanten, die wir im Kosmos unterscheiden können, sind seine Quanten.
Ob es forschungspragmatische Gründe gibt, weshalb die Physik die eine oder die andere Auffasung bevorzugen sollte, weiß ich nicht, spielt aber auch keine Rolle: Wissenschaftslogisch ist die eine so gut wie die andere. Und das gibt, wenn wenn es um unsere Vorstellung von der Wirklichkeit geht, den Ausschlag.
Soviel mal fürs Erste.
JE
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