Freitag, 27. Juni 2025

Aufstieg und hopefully Niedergang der Angestelltenzivilisation.

Kafka                                                  zu öffentliche Angelegenheiten

Die letzte Verteidigungslinie der Arbeitsgesellschaft war die Angestelltenzivilisation. Die war Mitte-schlechthin; rechts die Reaktion, links die Lunatic fringe. Wer in den Adenauerjahren von Revolution redete, wurde ausgelacht; höchstens. "Die Unter-scheidung von Links und Rechts ist überholt." Sollte heißen, die Angestelltenzivi-lisation hat die Klassengesellschaft obsolet gemacht, keine Revolution droht, nicht Orwells Farm der Tiere und auch nicht 1984. - Aber Huxleys Brave New World, Gleichmacherei und allgemeine Infantilisierung, brummelte das konservative Feu-illeton.

Wie konnte links dann doch zum herrschenden Zeitgeist werden - ausgerechnet bei der nachwachsenden Generation der Gebildeten? Das war doch nicht das Aufbe-gehren eines deklassierten Kleinbürgertums, das verzweifelt Anlehnung bei einer neu aufstrebenden Arbeiterbewegng gesucht hätte! Das war im Gegenteil der Kö-nigsweg zur Ausbildung eines ganz neuen Typus von Massenintelligenz, den der technische Fortschritt erforderte, den die überkommenen Hochschulen nicht aus-bilden konnten, aber die massenhaft in die eilig gegründeten Reformuniversitäten in den Provinzen strömte, wo sie sich gegen den verbleibenden "Muff von tausend Jahren" eine eigene Identität schaffen musste. Eine der wenigen verbliebenen Er-rungenschaften des Pariser Mai war die Faculté de Vincennes

Und in ihrer Masse ergossen sich ihre Ströme natürlich nicht in die Fertigung, son-dern in die allüberall sich in die Breite blähenden Verwaltungen. In dem Maße, wie sich ihr langer Marsch den obersten Rängen näherte, wurden die prätendierten Sie-ger im Volkskrieg umgänglicher und ließen sich auf manche einstweilige Zwischen-lösung ein.

Das war vor gut einem halben Jahrhundert. Inzwischen ist die Weltrevolution end-gültig abgesagt. Soweit sie politisch gemeint ist. Tatsächlich ist mit der stetigen Er-setzung menschlicher Arbeitskraft durch Künstliche Intelligenz & Co. das kapitali-stische Wertgesetz im Begriff, sich selbst aufzuheben. Was an seine Stelle treten wird, ist einstweilen nicht abzuse-hen, aber es wird über kurz oder lang abgesehen werden müssen. Denn eins ist klar: Man wird nicht zusehen können, wie er sich na-turwüchsig, wie Marx sagen würde, von selbst ergibt. Das hätte schon beim Über-gang von der Ackerbau- zur Industriezivilisation in eine Katastrpohe führen kön-nen, als die Destruktivkräfte der Menschen nicht ein Zehntel so weit entwickelt waren wie heute. 

Eine schreckliche, aber ebenso grandiose Perspektive, nicht wahr? Denn mit besag-ten Kräften muss man nicht nur, sondern kann man Pläne machen. Es wird, wie immer, darum gehen, die Kräfte und Mittel der Reproduktion so zu verteilen, dass einerseits die Produktivität weiter und übrigens ausgeglichener wachsen kann, und gleichzeitig die Gesellschaft im Gleichgewicht bleibt. Das stellt die frühere Gegen-überstellung von Links und Rechts und von konservativ und progressiv auf den Kopf. 

Die Arbeit, die immer weniger von Menschen, sondern von Maschinen besorgt wird, kann nicht weiter der Maßstab dafür sein, wie viel ein Mensch zu seinem Le-bensunterhalt bekommt - zwischen beiden besteht auf die Dauer kein sachliches Verhältnis mehr, das in irgendeiner Weise für irgendetwas bestimmend wirken könnte. Es wird zugleich einen stetigen dynamischen Überschuss an maschineller Arbeitskraft geben, der es gar nicht nötig macht, die Verteilung der Güter in ir-gendeiner Weise von verausgabter Arbeitkraft abhängen zu lassen. Wenn alle einen auskömmlichen Sockelbetrag zum Leben erhalten, können die, die noch immer ar-beiten wollen, sich ihre Arbeit nach ihrer Mühseligkeit entgelten lassen, aber das werden wenige sein. Die, die auch arbeiten, aber dabei ihre eigene Produktivität entfalten wollen, werden in Kauf nehmen, dass dafür weniger bekommen. Denn für ihr Grundeinkommen ist gesorgt.

Keiner kann einem solchen Modell im Ernst das gegenwärtige krisengeschüttelte, "naturwüchsige" kapitalistische System vorziehen. Das sagt ja auch keiner; alle sa-gen "schön wärs!" Es geht aber nicht! Es geht nicht, wenn die Verantwortlichen all ihren Scharfsinn darauf verwenden, dass und warum "es nicht geht", sondern dar-auf, Wege zu finden, wie es geht.

Und hab ichs nicht gesagt? Bei links und rechts sind auf einmal die Seiten verkehrt. Die Gewerkschaften, die außer den Interessen ihrer Mitglieder auch ihre Oganisa-tionen verteidigen, sind dagegen. Und wer sonst vor allen andern? Die Angestellten der wuchernden Verwaltungen - der öffentlichen zumal - lassen sich ganz mühelos erübrigen,* und die verbliebene Linke säße auf dem Trocknen.

Was bleibt von "der Linken"? Arbeiten an der Substanz? Da schnitten sie sich ins eigne Fleisch. Links ist, wo der Krakeel am größten ist. Es bleibt der Aufruhr als theatralische Inszenierung. Mehr ist in der mediatischen Gesellschaft dieser Tage anscheinend gar nicht mehr nötig. 'Rechts' sieht es ja nicht besser aus: Deren Ge-walttätigkeit ist zwar plumper, aber darum nicht weniger theatralisch, der NSU hat vor Morden nicht zurückgeschreckt. Aber was taugt ein Terror, der verborgen bleibt? Die waren nicht weniger narzisstisch als die Händekleber dieser Tage. Die Realität der Einen wie der Andern ist virtuell, nämlich rein medial. Wirk lich sind sie nur negativ, nämlich indem sie von den ernsten Dingen ablenken.

*) Da gehören auch die Beschäftigten der Bildungsindustrie zu. Erübrigt werden können sie nicht; doch unter den so veränderten Bedingungen vorteilhaft ersetzt. 
31. 10. 2023

 

 

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