aus spektrum.de, 21.04.2025
zu Jochen Ebmeiers Realien
Leseprobe »Fakten statt Fakes
»Die Kunst der Manipulation«
– Was ist eigentlich Kommunikation?
Das
Buch diskutiert die Grenzen zwischen Manipulation und Kommunikation on-
wie offline und zeigt, wie man schlampige und seriöse Meinungsmacher
unterscheidet, welche Rolle Fakten spielen und wie Medien und
Unternehmen dazu beitragen können, dass Glaubwürdigkeit in der medialen
Debatte wieder einen Stellenwert bekommt.
von Julia Frohne und Alexander Güttler
Zusammenfassung
... Da es sich bei Kommunikation um ein universelles Alltagsphänomen handelt, sind die Definitionen und Strukturierungsversuche massenhaft an der Zahl. Bereits 1977 zählte der Kommunikationswissenschaftler Klaus Merten 160 unterschiedliche Definitionsversuche. Bis heute wächst die Anzahl an Definitionen stetig. Keuneke (2012) zeigt auf, dass seit der Analyse durch Merten eine große Zahl an Definitionen hinzugekommen ist, hält die Heterogenität dabei jedoch auch für systemimmanent: »Ein Psychologe muss etwas anderes unter Kommunikation verstehen als eine Informatikerin oder ein Medienwissenschaftler.« (Keuneke 2012, S. 1). Dabei werden unterschiedlichste Strukturierungsversuche angewendet, etwa nach Kommunikationsarten (verbal, nonverbal usw.), nach Merkmalen (welche Teilaspekte von Kommunikation lassen sich unterscheiden?) oder nach Funktionen. Hier wären z. B. die biologische Funktion zu nennen (Kommunikation sichert das Überleben des Individuums, etwa wenn ein Baby schreit, weil es Hunger hat), die soziale Funktion, wenn Menschen miteinander in direktem Kontakt stehen oder die technisch-mediale Funktion, bei der Menschen mittels technischer Hilfsmittel kommunizieren und bei der üblicherweise ein Sender viele Empfänger erreicht. Einig ist man sich aber dabei, dass sich Kommunikation immer als ein Prozess darstellt, in dem sich die beteiligten Parteien aufeinander beziehen bzw. zueinander verhalten (vgl. u. a. Watzlawick et al. 1967; Burkart 2021).
In der Folge wurden mehrere Klassifikationssysteme zum
Zwecke einer wissenschaftlichen Systematisierung verfasst. In all den
verschiedenen Definitionen hat sich seit den 1940er-Jahren ein kleinster
gemeinsamer Nenner entwickelt: Allen gemein sind folgende
Kernbestandteile: Absender, Nachricht und Empfänger (Shannon und Weaver
1949; zitiert nach Nießing 2007). Daraus lassen sich folgende Merkmale
ableiten (aufgeführt nach Röhner und Schütz 2020): So ist Kommunikation
zunächst interpersonal, findet also zwischen mindestens zwei Personen
statt. Dabei muss es sich heutzutage nicht notwendigerweise um reale
Personen handeln, auch Interaktionen zwischen Menschen und Computern
oder Menschen und Tieren sind möglich. Die Beteiligten treten
miteinander in Beziehung, indem sie Zeichen, Symbole, Rituale oder Worte
austauschen. Für eine gelingende Kommunikation sind deshalb gleich
verstandene Zeichen und Gesten wichtig, was etwa bei
kulturübergreifender Kommunikation häufig zu Missverständnissen führen
kann, da Sitten und Gebräuche kulturell sehr unterschiedlich sind. Die
Nachricht des Absenders muss also von der Zielperson dekodiert werden,
um verstanden zu werden. Dabei müssen sich Sendungsabsicht und
Empfangsverständnis nicht notwendigerweise gleichen. Um das Beispiel des
Babys noch einmal zu bemühen: Welche Eltern standen nicht schon einmal
verzweifelt vor dem weinenden Sprössling, weil sie einfach nicht
verstehen konnten, warum er weint: Hunger? Durst? Müde? Windel voll?
Alles versucht und das Kind weint noch immer – vielleicht Bauchweh? Die
Umgebung? Ein gutes Beispiel, wie selbst bei besten Absichten die
Dekodierung einer Botschaft schwierig ist, wenn Sender und Empfänger
nicht auf Augenhöhe kommunizieren können.
Nun
setzen sowohl das Senden als auch der Empfang von Nachrichten
angemessene Mittel bzw. Modalitäten voraus, zum Beispiel in der
zwischenmenschlichen Kommunikation der mimische Ausdruck und die Sprache
oder bei medienvermittelter Kommunikation die entsprechende Technik und
Funkverbindung. Dabei findet Kommunikation stets in einem bestimmten
Kontext statt. Das jeweilige Kommunikationsklima kann neben anderen
Faktoren, wie den vorherrschenden Kommunikationsregeln, den gesamten
Kommunikationsprozess und dessen Resultate mitbestimmen. Es ist ein
Unterschied, ob ich Geschäftliches im Chefbüro bespreche oder abends in
der Kneipe bei einem Bier. Stets gehört dazu, dass Kommunikation immer
interaktiv ist und ein ständiges Agieren und Reagieren der
Kommunikationsparteien miteinander bedingt. Sie ist entsprechend durch
wechselseitige Beeinflussung gekennzeichnet. Wie stark diese ausgeprägt
ist, hängt unter anderem mit der spezifischen Kommunikationsform
zusammen, etwa ob es im direkten Dialog ist, in der Gruppe oder medial
vermittelt. Nicht jede Reaktion ist dabei direkt beobachtbar. So gibt es
sichtbare (z. B. eine Geste) und nicht sichtbare Aktivitäten (z. B.
Eindrucksbildung vom Gegenüber) während des Kommunikationsprozesses.
Zusammenfassend lässt sich also festhalten: Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung. Sie ist stets zielgerichtet, möchte informieren, unterhalten oder überzeugen, erfolgt aber nicht immer bewusst. Als relativ neues Phänomen ist hier die Filterblase zu nennen, in die sich viele Menschen oft ohne ihr Wissen begeben, weil sie im Internet vor allem mit Websites und Menschen interagieren, die ohnehin ihrer eigenen Überzeugung anhängen oder weil ihnen der Suchalgorithmus Websites vorschlägt, die zu ihrer Suchhistorie und ihrem Klickverhalten passen (Pariser 2011). Auf die Gefahr, die solche Meinungsisolation beinhalten kann, gehen wir im Verlauf des Buches noch ein. Lassen Sie uns vorher noch einen Blick auf die Kommunikation aus unterschiedlichen Blickwinkeln werfen.
Die wissenschaftliche Befassung geschieht aus vielen Blickwinkeln. So wird Kommunikation beispielsweise in den Geisteswissenschaften untersucht mit dem Schwerpunkt der sprachlichen Kommunikation, etwa in der Linguistik oder Germanistik, und hat so auch Berührungspunkte zu Philosophie und Semiotik. Auch in technische Studiengänge und in die Computerwissenschaften hat sie längst Einzug gehalten, etwa in Bezug auf technische Kommunikationssysteme oder in der Verbindung zur Informationstechnik und zum Data Management. Aktuell entstehen viele Forschungsrichtungen, die sich mit der Kommunikation in der künstlichen Intelligenz auseinandersetzen, wie beispielsweise beim maschinellen Lernen oder der humanoiden Robotik.
Die Kommunikationswissenschaft als solche ist eine wissenschaftliche Forschungsdisziplin, die zumeist im Bereich der Sozialwissenschaften angesiedelt ist und die sich dabei insbesondere mit medialer und Massenkommunikation befasst. Häufig wird sie auch Publizistikwissenschaft genannt, früher an vielen Lehrstühlen auch als Zeitungswissenschaft bekannt. Sie hat viele Berührungspunkte zu weiteren Disziplinen, neben den oben genannten insbesondere zur Psychologie und zu den Wirtschaftswissenschaften.
Im Folgenden
beleuchten wir zwei dieser vielfältigen Zugänge näher: Zum einen schauen
wir auf die Medien- und Kommunikationswissenschaft, die sich mit dem
Inhalt und Umgang medialer Kommunikation befasst, zum anderen auf die
Psychologie der Kommunikation.
1.2 Medien- und Kommunikationswissenschaft
Grundlage
der Kommunikationsforschung ist bis heute die Lasswell-Formel, die 1948
von dem US-amerikanischen Politik- und Kommunikationswissenschaftler
Harold Dwight Lasswell formuliert wurde und als »Lasswells model of
communication« bekannt wurde (Lasswell 1948). Sie beschreibt kurz und
knapp das grundlegende Modell der Massenkommunikation: »Who says what in
which channel to whom with what effect?« Zerlegt man diese Formel in
ihre einzelnen Bestandteile, so lassen sich danach die einzelnen
Forschungsfelder der Kommunikationswissenschaft gliedern (einen guten
Überblick dazu bietet z. B. Pürer 2014):
Wer
ist der Absender einer Kommunikation? Hierunter fällt insbesondere auch
die Journalismusforschung, etwa die Eingliederung des Journalismus in
das politische System, Ethik im Journalismus, das Verhältnis zur Public
Relations u. v. m. Journalistinnen und Journalisten wurden im Dritten
Reich, wenn sie nicht den Anforderungen der Nazis entsprachen, seien es
arische Voraussetzungen oder aber auch Art und Tonalität der
Berichterstattung, systematisch aus dem System gedrängt und zum
Schweigen gebracht. Eine derartige Staatsnähe des Journalismus wird
deshalb seitdem strikt abgelehnt. Der Journalismus galt und gilt als
»vierte Gewalt« im Staate, die unabhängig von Legislative, Exekutive und
Judikative in der Lage sein muss, auch unbequeme Wahrheiten aufzudecken
und auf Missstände hinzuweisen, ohne dass die Absender in persönliche
Gefahr für Leib und Leben geraten. Dieses Thema vertiefen wir in unserem
Kap. 3 noch weiter.
Was – Medieninhaltsforschung
Diese
befasst mit der Frage der Auswahl von Inhalten für die
Berichterstattung und der verschiedenen medialen Formate und Strukturen,
wie etwa Nachrichten, Kommentare, Reportagen oder auch in
unterschiedlichen Themenfeldern, wie Politik- oder
Wirtschaftsberichterstattung oder Krisenberichterstattung. Durch
Medienanalysen kann zum Beispiel festgestellt werden, wie häufig
bestimmte Inhalte oder Absender von Inhalten in Berichten genannt werden
oder wie etwa eine selbstreferenzielle Berichterstattung entsteht, die
vor allem einigen wenigen Themen eine besondere Aufmerksamkeit gibt,
andere dagegen sehr stark verdrängt. Natürlich stehen Themen im Fokus,
die viele Menschen unmittelbar betreffen, da jedes Medium darauf
angewiesen ist, die Interessen seiner Zielgruppen zu bedienen.
Spannend
ist jedoch auch, welche Themen dadurch vielleicht an den Rand gedrängt
werden oder wo sich systemische Brüche erkennen lassen. So zeigt sich
seit langem, dass Frauen als Expertinnen in den Medien häufig sehr viel
weniger zu Gehör kommen, als Männer – obwohl es diese Expertinnen
durchaus gibt (vgl. Heilemann et al. 2012; Fröhlich und Holtz-Bacha
1995). Eine aktuelle Forschungsreihe des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung, an dem sich auch die Westfälische Hochschule
Gelsenkirchen beteiligt, geht diesem Phänomen auf die Spur und versucht
Lösungswege aufzuzeigen, damit es zu einer gleichberechtigteren
Sichtbarmachung von Frauen in den Medien kommt (Ettl et al. 2021).
Auf welchem Weg – Medienforschung/Medienanalyse
Diese
meint durch welches Medium (Print, Funk, Fernsehen, Internet) die
Kommunikation erfolgt. Sie nimmt neben der Begriffsschärfung, also was
eigentlich Medien sind, die Spezifika des Presse- und Rundfunkwesens in
Deutschland und auch die Organisationsformen von Massenmedien in den
Blick, etwa im Hinblick auf öffentlich-rechtliche Medien (ARD, ZDF, Arte
u. a.) und Privatmedien (z. B. RTL, Sat1, Pro7, Netflix, Amazon Prime
u. v. m.) und beschäftigt sich auch mit der Finanzierung der Medien.
Vielen Menschen ist zum Beispiel gar nicht bewusst, dass die meisten
Medien in Deutschland sich ausschließlich durch Werbeeinnahmen und
Abonnements finanzieren.
Dies birgt Risiken, da sie dazu neigen können, diejenigen Inhalte zu liefern, die die meisten Werbekunden anlocken. Gut zu beobachten ist dies bei häufig sehr trashigen Sendungen oder reißerisch aufgemachten »News« im Privat- oder Bezahlfernsehen, sofern Nachrichten überhaupt noch ein Thema sind und das Medium nicht zum reinen Unterhaltungs- oder Spartenmedium wird, wie die Filmbibliotheken von Amazon Prime oder Disney Channel oder Sportsender wie Sky Sport. Gebührenfinanzierte Sender liefern dagegen auch Inhalte für kleinere Zielgruppen, etwa Kultur- oder Auslandsberichterstattungen, die sonst keine Überlebenschancen hätten. Das heißt nicht, dass privat finanzierte Medien in erster Linie Trash liefern müssen. Gerade die sogenannten »Qualitätsmedien«, wie etwa die überregionalen Zeitungen, legen großen Wert darauf, sich durch ihre Inhalte zu profilieren, die viele tiefergehenden und sorgfältigen Recherchen beinhalten. Bei Neueinstellungen in diesen Medien wird nach wie vor sehr sorgfältig geprüft, ob sich bei den Bewerbenden das professionelle Berufsethos des Journalismus finden lässt. Aber auch diese Medien kämpfen damit, dass die meisten Menschen nicht bereit sind, gerade für digitale Inhalte zu zahlen. Die Abonnementzahlen der Printausgaben der Zeitungen sind seit Jahren rückläufig, was sich auch durch geänderte Mediennutzungsgewohnheiten erklären lässt. Womit wir beim vierten Punkt wären.
Hier werden zum einen die verschiedenen Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern der Massenmedien untersucht, etwa das Lese-, Hör- und Sehpublikum von Zeitungen, Hörfunk, Fernsehen und Internet. Inwiefern unterschieden sich diese Gruppen und welche Art von Inhalten werden von ihnen in welchen Medien bevorzugt? Deutlich wird, dass es ganz veränderte Nutzungsgewohnheiten gibt, dabei ist seit einigen Jahren eine vermehrte Altersschere zu erkennen. Während das Lesepublikum von Zeitungen und Zeitschriften immer älter wird, insbesondere bei den klassischen Printausgaben und, sich auch eine starke Überalterung des TV-Publikums feststellen lässt, zieht es die Jugend in internetbasierte Medien.
So zeigt die aktuelle »Langzeitstudie Massenkommunikation«, dass nur noch 23 % der Mediennutzung der 14- bis 29-jährigen ohne Internet, also in den klassischen Medien, stattfand, während es 2015 noch 66 % waren (Breunig et al. 2020). Im Durchschnitt wendet diese Altersgruppe 276 min am Tag, also satte viereinhalb Stunden, auf Internetinhalte auf, während es bei den über 50-jährigen lediglich 55 min sind. Die Frage, ob die Medienklassiker Fernsehen und Zeitung zu aussterbenden Dinosauriern werden oder wie sie den Shift zu den Nutzungsgewohnheiten der »Generation Y« und jünger schaffen, beschäftigt aktuell viele Menschen in der Branche. Jüngere Menschen (als Generation Y gelten die seit 1980 Geborenen und jünger, vgl. Frohne et al. 2015), suchen die mediale Information vor allem über Hörfunk und Internet.
Dabei ist festzustellen, dass Inhalte kurz, knapp und prägnant bevorzugt werden. Lange Artikel oder Berichte werden dagegen nur wenig angenommen. Eine Ausnahme ist es, wenn die Informationen von Personen aus etwa der gleichen Altersgruppe stammen, wie z. B. Gamingberichte auf Youtube. Dass gerade bei komplexen Sachverhalten (nehmen wir nur die durch den Krieg Russlands mit der Ukraine im Frühjahr 2022 ausgebrochene weltweite Gas- und Stromkrise, die insbesondere Deutschland als einen der Hauptabnehmer russischen Gases besonders betreffen), viel Information und Hintergrundwissen auf der Strecke bleibt, ist ein Problem, das gelöst werden muss.
Viele Internet-User neigen zudem dazu, sich vor
allem in ihrer Filterblase zu informieren, sodass anderslautenden
Meinungen nur wenig Zugang bekommen und dadurch wenig Effekt erzielen
können. Um die Selektionsforschung und das Bubblephänomen sowie die
Frage, wie man bei Krisen mit verschiedenen Zielgruppen umgeht, geht es
auch in diesem Buch.
Mit welchem Effekt? – Medienwirkungsforschung
Sie beschäftigt sich mit den Wirkungen auf die Einstellungen und das Verhalten der medialen Zielgruppen. Während die Lasswellformel dabei noch ausschließlich die unidirektionalen Wirkungen in den Blick nahm – hier der Absender von Informationen, da die Wirkung auf die Empfänger – nimmt seit einigen Jahren die Untersuchung von bi- und multidirektionalen Wirkungen von Massenkommunikation immer mehr zu.
Dazu zählt insbesondere die Userforschung für Internetinhalte, da hierbei eine schnelle Reaktion der User zu beobachten und häufig auch gewünscht ist: wie verbreiten sich Nachrichten eigentlich im Netz? Wann liken, sharen oder kommentieren User die Inhalte von Medien und Unternehmen? Welche Rolle spielen die Meinungen und Berichte von Influencern und wie relevant sind diese für ihre Nutzerinnen und Nutzer?
Auch die Frage, wie Inhalte auf das Wissen von Personen wirken, wird hier untersucht, genauso wie die Wirkung auf Wertvorstellungen und Weltbilder. Können etwa Gewaltdarstellungen in den Medien zu einer erhöhten Gewaltbereitschaft bei Zuschauerinnen und Zuschauern führen? Unter welchen Voraussetzungen kann das geschehen? Dies schauen wir uns im nächsten Abschnitt mit der Kommunikationspsychologie näher an, die genau hier ansetzt und die Wirkung auf Einstellung und Verhalten durch Kommunikation untersucht.
Wie man sieht, sind die Forschungsfelder der Medien- und Kommunikationswissenschaft mannigfaltig und ihr Instrumentarium dafür ist die empirische Sozialforschung. Dabei bedient sie sich verschiedener quantitativer und qualitativer Methoden, um die soziale Wirklichkeit zu beschreiben, Erkenntnisse zu gewinnen und Lösungsansätze herauszuarbeiten, denn fundierte empirische Informationen über gesellschaftliche Entwicklungen sind unerlässlich für die eigene Entscheidungsfindung »im vielstimmigen Konzert der Meinungen« (Diekmann 2020, S. 12).
Ihre Kenntnis ist deshalb ein Muss für jeden angehenden Sozialforscher und jede Sozialforscherin, aber auch für interessierte und kritische Konsumentinnen und Konsumenten. Wesentlich dafür ist die Datenerhebung, -auswahl und -analyse, die bestimmten Kriterien genügen muss, damit von einer wissenschaftlich fundierten Grundlage für die Gewinnung von Erkenntnissen gesprochen werden kann. Die Kenntnis der Statistik und ihrer Anwendung gehören deshalb zum Grundrepertoire jeder Person, die sich mit Forschung in der Kommunikation befasst und ihr Erlernen gehört zum meistgefürchteten Pflichtcurriculum vieler Studierender. Doch ohne geht es nicht, denn nur solide Kenntnisse schützen davor, zentrale Forschungsfehler zu vermeiden.
Ein Beispiel: Bereits die Art, wie man etwas fragt, hat Auswirkungen auf die Antwort. Beginnt man eine Frage beispielsweise mit der Feststellung: »Derzeit sind ja viele Menschen verunsichert wegen der aktuellen kritischen Situation in der Ukraine. Hat Ihrer persönliche Einschätzung, ob die Weltlage insgesamt bedrohlicher geworden ist, eher zugenommen, ist sie gleichgeblieben oder hat sie abgenommen?«. Durch das »Priming« im ersten Satz, also die Herleitung durch ein Bedrohlichkeitsgefühl in der Masse, wird der oder die Befragte schon zu der gewünschten Antwort (»die Weltlage ist bedrohlicher geworden«) gelenkt.
Es finden sich unzählige fragwürdige Umfragen derartiger
Machart im Netz, die häufig ohne jedes Verständnis dessen, was seriöse
Umfrageforschung ausmacht, erstellt und lanciert werden. Eine
ausführliche Auflistung des empirischen Instrumentariums würde hier zu
weit führen. Wer sich dafür in einer unterhaltsamen, sehr erhellenden
Form interessiert, dem seien die Bücher von Walter Krömer (»So lügt man
mit Statistik«, 2015) oder Thomas Bauer et al. (»Grüne fahren SUV und
Joggen macht unsterblich«, 2022) ans Herz gelegt.
Wichtig
ist festzuhalten, dass sich die empirischen Wissenschaften immer mit
dem Erkenntnisgewinn durch die Analyse des Menschen, seines Erlebens
oder Verhaltens befassen, etwa durch Beobachtung, Befragung oder
Experiment, um nur die gängigsten Verfahren zu nennen. Die Untersuchung
medialer Stimuli erfolgt häufig über die Inhaltsanalyse von Texten oder
Videos, die Zusammenhänge in massenmedialen Phänomenen zu erkennen
versucht, wie die oben genannte Benachteiligung von Expertinnen in der
öffentlichen Diskussion.
Damit bedient sich die Kommunikationswissenschaft in weiten Teilen der gleichen Methodik wie die Psychologie, sodass Erkenntnisse und die Ableitung von Theorien und ihrer Überprüfung häufig große Überschneidungen aufweisen. Im Folgenden möchten wir uns deshalb ein Teilgebiet der Psychologie ansehen, die Psychologie der Kommunikation.
Die Psychologie ist die Lehre vom Erleben und Verhalten von Individuen. Entsprechend untersuchen psychologische Kommunikationsmodelle, wie Menschen Kommunikation erleben, sie verstehen und im Umgang miteinander nutzen. Dabei untersucht die Psychologie zum einen, wie Kommunikationsprozesse gestört werden, etwa indem es bei der Dekodierung von Botschaften aufgrund unterschiedlicher Vorerfahrungen zu Missverständnissen oder Fehlinterpretationen von Botschaften kommt. Neben dem oben zitierten Sender-Empfänger-Modell von Shannon Weaver fällt zum Beispiel das sehr bekannte Kommunikationsquadrat von Schulz von Thun (2000) in diese Kategorie.
Auf der anderen Seite untersucht die Kommunikationspsychologie die Bedingungen und Möglichkeiten, damit Kommunikation gelingen kann. Wann wissen wir, ob Gesagtes, Gemeintes und Gelerntes zwischen Sender und Empfänger übereinstimmen? Wann ist ein Dialog erfolgreich? Neben dem Inhalt einer Botschaft rückt dabei immer auch die Beziehung zwischen den Kommunikationsparteien ins Blickfeld: Nach Watzlawick kann eine Nachricht nie nur sachlichen Inhalt transportieren. Egal, wie neutral sie auch formuliert sein mag, die Nachricht beinhaltet immer auch Informationen über die Beziehungen zwischen deren Beteiligten an der Kommunikation und deren Verhältnis zueinander. Neben dem Inhalt spielen hier auch nonverbale Komponenten eine Rolle.
Insgesamt hat Watzlawick fünf Axiome in der Kommunikation identifiziert, die für den Dialog zwischen den Beteiligten eine Rolle spielen (Watzlawick 2017). Neben der Unmöglichkeit, nicht zu kommunizieren, weil bereits das Verhalten eine Form der Kommunikation ist, gehört der eben genannte Inhalts- und Beziehungsaspekt ebenso dazu wie die Annahme, dass der Kontext, in dem Kommunikation stattfindet, eine wesentliche Rolle spielt sowie das Verhältnis von Absender und Zielperson untereinander: Findet es auf Augenhöhe statt oder gibt es ein hierarchisches Verhältnis, etwas von Vater und Kind oder von Chefin und Angestelltem?
Wichtig in diesem
Kontext ist letztlich, dass Kommunikation nicht zwingend sprachlich
erfolgen muss, sondern auch nonverbal erfolgen kann. Das Spannende am
Ansatz von Watzlawick ist, dass er auf einem radikalen Konstruktivismus
beruht. Dieser geht davon aus, dass jedes Individuum seine eigene
Wirklichkeit konstruiert, die sich zusammensetzt aus der Summe seiner
jeweiligen Erfahrungen. Der radikale Konstruktivismus besagt also, dass
Wahrnehmung immer subjektiv ist und auf der Konstruktion der eigenen
Sinnesreize sowie deren individueller Interpretation beruht. Folglich
besitzt jeder Mensch eine eigene Wirklichkeit, die ein subjektiv
konstruiertes Abbild der Realität ist.
Ohne
auf die tieferen Details oder Kritik an diesem Ansatz eingehen zu
wollen, kann eine Untersuchung dieser Annahme letztlich dabei helfen zu
verstehen, warum Menschen manchmal über einen eigentlich sachlich
manifesten Gegenstand in unversöhnlich gegensätzliche Meinungen und
Streit geraten können. So hat seit der Erfindung der Pockenimpfung 1796
die Möglichkeit, sich vor lebensgefährlichen Erkrankungen durch Impfung
zu schützen, Millionen Menschen Leben und Gesundheit gerettet.
Trotz dieser unbestreitbaren Erfolgsgeschichte hat sich ein veritabler Widerstand gegen die neuen Corona Schutzimpfstoffe etabliert. Gut ein Fünftel der Deutschen ist bis zum heutigen Tage nicht ein einziges Mal gegen die gefährliche Viruserkrankung geimpft (22 %, Stand September 2022), mehr als ein Drittel hat lediglich die Grundimmunisierung vornehmen lassen, verzichtet aber bereits auf die Auffrischimpfung (38 %). Schaut man sich die Beweggründe für eine Impfverweigerung genauer an, so zeigt sich, dass neben medizinisch erklärbaren Gründen (etwa Vorerkrankungen oder schwacher allgemeiner Gesundheitszustand) den Argumenten vielfach mit einer rationalen Botschaft nicht beizukommen ist.
Negative Erfahrungen mit anderen Impfungen, seien es eigene oder im Familien- oder Freundeskreis, können eine Rolle spielen ebenso wie ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber staatlich empfohlenem Handeln oder Verhalten sowie – und das ist ein Hauptgrund – die zu große Komplexität und Vielzahl an Informationen und Meinungen, mit denen die Menschen sich konfrontiert sehen. Ein Zurückziehen auf eine eigene, beharrende Position lässt dann auch alle neuen Informationen in diesem Kontext einordnen und führt dazu, dass selbst erwiesene Unwahrheiten (»es gibt kein Corona«) die eigene Antihaltung nicht mehr aufzuweichen vermögen. Eine Impfkommunikation muss darauf Rücksicht nehmen und andere rhetorische Wege nehmen, um Überzeugungsarbeit leisten zu können. Wie dies aussehen kann, zeigen wir in unserem Kapitel über Verschwörungstheorien.
Gut untersucht ist mittlerweile auch die nicht-sprachliche Kommunikation. Es werden mindestens zwei Arten unterschieden: Die nonverbale und die paraverbale Kommunikation. Während die nonverbale Kommunikation die Äußerung durch Mimik und Gestik und Haltung meint, fokussiert die Untersuchung auf paraverbale Phänomene alle Elemente der Stimme, also Stimmlage, Tempo oder Lautstärke. Seit der Pantomime Samy Molcho (1983) die Bedeutung der Körpersprache im Alltag aufgezeigt hat, ist diese Form der zwischenmenschlichen Kommunikation auch wissenschaftlich sehr gut untersucht worden, insbesondere die Frage von Dominanz- und Demutsgesten, von selbstsicherer und unsicherer Haltung sowie von unterschiedlicher Körpersprache von Mann und Frau. Viele Erkenntnisse sind in unser Alltagsverständnis übergegangen und werden heute in Rhetorik- und Präsentationsschulungen eingesetzt, etwa, dass Blickkontakt uns vertrauenswürdiger und sympathischer erscheinen lässt.
Studien im paraverbalen Bereich zeigen, dass es auch hier zum einen kulturelle, zum anderen geschlechterbezogene Unterschiede in der Interpretation von Männern und Frauen gibt. Geschlechterübergreifend gelten dunkle Stimmen als vertrauenswürdiger und kompetenter, was Männern im Berufsleben häufig einen nicht zu unterschätzenden Argumentationsvorteil verschafft. Tiefe Stimmen gelten insbesondere bei Männern als ein akustischer Beweis für emotionale Reife, Seriosität, Kompetenz, Autorität, Wichtigkeit, Glaubwürdigkeit, Vertrauen, Sympathie (z. B. Evans et al. 2008), aber auch für Gesundheit, Kraft, Männlichkeit, Aggressivität und Dominanz – alles Eigenschaften von evolutionärem Vorteil.
Die erste
Premierministerin im United Kingdom, Margaret Thatcher, soll ein
extensives vokales Coaching erhalten haben, damit ihre Stimme tiefer
wird, und sie eine mächtige und autoritative Person verkörpert (vgl.
Kiese-Himmel 2016). Tiefe Stimmen werden auch in den Medien bevorzugt
(vgl. Slembek 1995). Nachrichtensprecherinnen verfügen in der Regel über
ein dunkles Stimmtimbre oder erhalten ein entsprechendes Stimmtraining,
um die Tonhöhe nach unten zu drücken, was die Glaubwürdigkeit der
Botschaft erhöhen soll. Da Frauen naturgemäß gerade in jungen Jahren oft
über eine höhere Stimmlage verfügen, werden sie häufiger als unsicherer
oder inkompetenter wahrgenommen als ihre männlichen Kollegen. Auch das
Redetempo beeinflusst die Wahrnehmung einer Botschaft: Wird schnell und
flüssig vorgetragen, so wird der Sprecher oder die Sprecherin für
kompetenter und intelligenter gehalten als jemand, der die gleiche
Information in langsamerer Geschwindigkeit kommuniziert (Burgoon et al.
1990).
Die
größte Schnittmenge findet sich für Psychologen und
Kommunikationswissenschaftlerinnen wie oben bereits erwähnt in der
empirischen Sozialforschung. Gemeinsame Untersuchungsfelder sind hier
insbesondere die Aufnahme, Speicherung und Verarbeitung medialer
Informationen, also die kognitiven Wirkungen. Zweitens der Einfluss auf
die Beurteilung eines Untersuchungsgegenstandes, d. h. die Wirkung zum
Beispiel auf die Einschätzung einer Person oder das Image eines
Unternehmens sowie drittens die konativen Wirkungen, d. h. der Einfluss
auf eine intendierte Handlung, wie etwa eine Reaktion durch ein Like
oder Share bis hin zum Kauf eines Produktes.
Diese als Marktpsychologie (vgl. u. a. Raab et al. 2016) oder als Werbe- und Konsumentenpsychologie bekannte Forschungsrichtung (z. B. Felser 2015; Bak 2019) findet ihre Anwendungsfelder auch in den Wirtschaftswissenschaften oder der Wirtschaftspsychologie. Im Folgenden wollen wir uns der praktischen Seite der Kommunikation als Profession zuwenden, der Ausübung durch Professionals in den verschiedenen Kommunikationsberufen.
Leider endet die Leseprobe an dieser Stelle. Das Buch »Fakten statt Fakes« bietet den Rest des Kapitels und vieles mehr.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen