Erstes Foto von Welle-Teilchen-Dualismus bei Licht
aus spektrum.de zu Jochen Ebmeiers Realien
von Dr. Michael Springer
Atomare
Teilchen überlagern sich manchmal wie Wellen, während
elektromagnetische Lichtwellen sich in gewissen Situationen wie
Teilchenschauer verhalten: Gemäß dem vom dänischen Physiker Niels Bohr
(1885 bis 1962; Nobelpreis 1922) formulierten Komplementaritätsprinzip
hat jedes mikrophysikalische Phänomen sowohl einen Wellen- als auch
einen Teilchenaspekt. Welcher davon sich im Experiment ausprägt, hängt
von dessen Art ab – gewissermaßen von der Formulierung der Frage an die
Natur, welche das Experiment ausdrückt.
Das klassische Beispiel
dafür ist der Doppelspalt-Versuch, bei dem Licht nach Passieren zweier
eng benachbarter Spalte auf einen Schirm trifft; normalerweise bildet es
dort ein wellentypisches Interferenzmuster. Doch das gilt nur, solange
man – wie es sich für Wellen gehört – nicht weiß, ob das Licht entweder
den oberen oder den unteren Spalt passiert hat. Tatsächlich wäre in
unserem makroskopischen Alltag (etwa bei Wasserwellen, die sich hinter
einem lückenhaften Damm überlagern) die Frage nach solcher
Welcher-Weg-Information absurd.
Anders in der Quantenwelt: Weil
man weiß, daß Licht nicht nur Wellen-, sondern auch Teilchencharakter
hat, kann man im Prinzip einen Welcher-Weg-Detektor zwischen einen der
beiden Spalte und den Schirm einfügen und damit Lichtquant für
Lichtquant feststellen, ob es just diesen oder den anderen Spalt
passiert hat. Freilich besagt die Theorie, daß diese Beobachtung das
Interferenzmuster zerstören muß; denn man hat sich, indem man den Weg
des einzelnen Photons verfolgte, nun einmal für den Teilchenaspekt des
Lichts entschieden. Darum beobachtet man (gleichsam als Preis für die
gewonnene Welcher-Weg-Information) auf dem Schirm statt
Interferenzstreifen lediglich ein strukturloses Schrotschuß-Muster
(Spektrum der Wissenschaft, Februar 1995, Seite 50).
Feynmans Faustregel
In
diesem Sinne stellte der amerikanische Physiker Richard P. Feynman
(1918 bis 1988; Nobelpreis 1965) in den fünfziger Jahren die Faustregel
auf: Lassen sich bei einem optischen Versuch die Wege einzelner Quanten
unterscheiden, so benimmt das Licht sich teilchenförmig (keine
Interferenz); sind die Wege ununterscheidbar, offenbart es dagegen
seinen Wellencharakter und interferiert mit sich.
Man könnte
versucht sein, sich das Verschwinden der Interferenzstreifen anschaulich
als Folge einer irreversiblen Störung des Quantenobjekts durch den
Welcher-Weg-Detektor zu erklären: Der Beobachtungsvorgang würde demnach
die Kohärenz der beiden Teilwellen unwiederbringlich zerstören und damit
ihre Interferenz verhindern. Wenigstens dar-in wären sich seinerzeit
wohl Bohr und Werner Heisenberg (1901 bis 1976; Nobelpreis 1932) mit
Albert Einstein (1879 bis 1955; Nobelpreis 1921) im legendären Streit um
die Interpretation der Quantentheorie einig gewesen.
Doch die
Quantenwelt ist auf vertrackte Weise viel ordentlicher als die
klassische Physik: Während im Alltag eine Störung, ist sie einmal
verursacht, nie wieder ganz gutzumachen ist, lassen sich in der
Quantenphysik die Spuren eines Beobachtungsvorgangs völlig beseitigen,
wenn man nur dafür sorgt, daß die dabei gewonnene Information noch
innerhalb des Systems – das heißt, bevor sie zu einem äußeren Beobachter
gelangt – spurlos gelöscht wird.
Quantenradierer
Daraus
folgt aber, daß das bloße Vorhandensein eines Welcher-Weg-Detektors an
sich Interferenzmuster gar nicht unbedingt verhindern muß. Entscheidend
ist allein, ob die durch ihn gewonnene Information aus dem beobachteten
System heraus und zum Beobachter gelangt. Löscht man also durch Einbau
eines sogenannten Quantenradierers die Welcher-Weg-Information noch
innerhalb des Systems wieder aus, so erscheint erneut ein
Interferenzmuster auf dem Schirm.
Diese für unseren
Alltagsverstand abenteuerliche Folgerung war freilich bis vor kurzem
umstritten, allein schon weil es so etwas wie störungsfreie
Welcher-Weg-Detektoren und Quantenradierer strenggenommen nur im
Gedankenexperiment gab. Darum beharrte eine Theoretiker-Fraktion,
insbesondere die Gruppe um Pippa Storey von der Universität Auckland
(Neuseeland), auf der Interpretation des Meßvorgangs als einer
irreversiblen Störung des Objekts und somit auf der Unmöglichkeit von
Quantenradierern ("Nature", Band 367, Seiten 626 bis 628, 17. Februar
1994).
Kürzlich gelang es nun aber einer Forschergruppe um Anton
Zeilinger von der Universität Innnsbruck (Österreich), erstmals einen
Quantenradierer in der Praxis zu demonstrieren ("Physical Review
Letters", Band 75, Heft 17, Seiten 3034 bis 3037). Allerdings ist der
Versuchsaufbau weitaus komplizierter als beim einfachen
Doppelspalt-Experiment.
Wie in dem Bild auf Seite 29 gezeigt,
verwendeten die Wissenschaftler einen doppelbrechenden Kristall, der
durch Laserbestrahlung zur Emission von vertikal polarisierten
Photonenpaaren angeregt wurde. Diese zunächst ununterscheidbaren
Lichtquanten durchmaßen nun auf getrennten Wegen (rot beziehungsweise
blau durchgezogene Linien) den Versuchsaufbau. Die beiden Strahlen
wurden dabei an den Spiegeln 1 beziehungsweise 2 reflektiert und durch
den Kristall hindurch (der aber jetzt für sie keine Rolle mehr spielte)
zu zwei separaten Detektoren geführt.
Unterwegs begegneten sie je
einem zusätzlichen Strahl mit anderem Schicksal. Diese zweite
Strahlensorte (im Bild gestrichelt) entstand durch Laserstrahlung, die
den Kristall zunächst ohne Wirkung passiert hatte und dort erst auf dem
Rückweg (nach Reflexion an Spiegel 3) vertikal polarisierte
Photonenpaare erzeugte. Demnach trafen in jedem Detektor zwei
ununterscheidbare Strahlen zusammen, die unterschiedliche Wege
zurückgelegt hatten; entsprechend baute sich – genau wie im klassischen
Doppelspalt-Versuch – im Detektor ein Interferenzmuster von
Verstärkungen und Auslöschungen auf, wenn man den dem Detektor
gegenüberliegenden Spiegel minimal verschob und dadurch den
Wegunterschied variierte.
Als Welcher-Weg-Detektor diente den
Forschern ein Polarisationsrotator, den sie nun in einen Strahlengang
(im Bild rechts unten) einbauten; er drehte die Polarisationsebene um 90
Grad und markierte dadurch alle Photonen, die diesen Weg genommen
hatten. Somit wurden die beiden zum Detektor links oben führenden Wege
(über Spiegel 2 beziehungsweise über Spiegel 3) jetzt unterscheidbar. In
Übereinstimmung mit der Feynmanschen Faustregel setzte sich der
Teilchenaspekt durch, und es gab keine Interferenz mehr.
Das
hätte ein abgebrühter Besucher der Quantenwelt sogar erwartet;
erstaunlicher war jedoch, daß auch der andere Detektor jetzt keine
Interferenzmuster mehr zeigte. Der Grund dafür ist eine andere
Merkwürdigkeit von Quantensystemen: die Nichtlokalität. In ihnen bleibt,
solange man sie nicht von außen stört, das Schicksal von Teilchenpaaren
gemeinsamer Herkunft aufs engste verbunden. Weil das eine Photon eines
im Kristall erzeugten Paars durch den Rotator unterscheidbar gemacht
wurde, bekam automatisch auch das Zwillingsphoton eine Markierung. Kam
durch Beschaffung von Welcher-Weg-Information die Interferenz im oberen
Detektor nicht mehr zustande, so galt dasselbe auch im unteren.
Im
dritten Schritt wurde nun der Quantenradierer ins Spiel gebracht: ein
Analysator vor dem oberen Detektor, der nur Licht mit einer unter 45
Grad geneigten Polarisationsebene durchließ. Weil dieser optische Filter
zwischen waagrecht und senkrecht polarisierter Strahlung keinen
Unterschied zu entdecken vermochte, löschte er die
Welcher-Weg-Information, die der Rotator bereitgestellt hatte, wieder
aus, noch bevor sie den Detektor erreichen konnte. Und tatsächlich:
Jetzt war im oberen Detektor erneut Interferenz zu beobachten – jedoch
nicht im unteren, denn in diesem Zweig bestand die
Welcher-Weg-Information ungelöscht weiter.
Allerdings wirkte sich
die Anwesenheit des Quantenradierers dennoch nichtlokal auf das gesamte
System aus: Wenn die Forscher die Daten aus beiden Detektoren
kombinierten, zeigte sich ein Interferenzmuster. Durch den Einbau des
Quantenradierers hatte das ganze System sein Verhalten in Einklang mit
der Feynman-Regel geändert.
____________________________________________
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 1996, Seite 25
Nota. - Dreißig Jahre alt?
Für einen, der wie ich immer noch mit den Grundlagen ringt, ist das nützlicher als die Laborergebnisse von gestern Nachmittag.
Der gründlichste Grund: Sie sind nicht Teilchen oder Wellen, sondern mit den sophistiziertesten Messgeräten, über die wir einstweilen verfügen, "kommen sie uns so vor".
Indes: Was sie unseren elementaren, weil angeborenen Messorgane - nämlich unsern Augen - bieten, kommt uns gar nicht vor. Kein Wunder, sie sind zwar staunenswerte Naturkonstruktionen, aber für den Zweck, um den es hier geht, wurden sie ja nicht entworfen. Für einen so spezifischen Sinn sind sie nicht sophistiziert.
JE