
Die Neue Zürcher brachte zum Hl. Nikolaus ein salbungsvoll gravitätisches Stück zu dem längst erschöpft geglaubten Thema Wissen und Glauben, und
es kam, Sie werden's kaum für möglich halten, zu dem überraschenden
Schluss, dass beide einander nicht nur nicht ausschlössen, sondern
"einander fordern"!
Ich habe das andernorts dokumentiert, aber nicht ohne Kommentar:
...Ob
es eine rationale Theologie geben kann, ist eine - na, sagen wir mal:
nicht so vordringliche Frage. Ihr mag man sich zuwenden, wenn man die
durchaus vor-dringliche
Frage beantwortet hat, ob es eine rationale Philosophie geben kann. Die
Frage ist freilich soweit geklärt, als es eine solche ja gibt;
ich meine eine, die nicht auf dem (einen oder andern) Glauben beruht,
sondern vom Wissen ausgehend im Wissen verbleibt. Das ist die Kritische
alias Transzendentalphilosophie. Sie handelt nicht von Gott und der
Welt
- dazu müsste sie nämlich allerhand glauben -, sondern von unseren
Vorstellungen von Gott und der Welt, denn die allein sind uns be-kannt.
Diese
Unterscheidung - zwischen den Dingen selbst und dem, was wir uns
darunter vorstellen - ist für die exakten Wissenschaften (in denen zum
Beispiel der erwähnte Urknall vorkommt) ohne Belang: Sofern und solange
sie diese ihre Vorstellung mit ihren andern Vorstellungen (immer wieder
aufs Neue) in Einklang bringen kann, hat sie ihr Geschäft besorgt.
Wieweit die Gesamtheit ihrer Vorstellungen mit der Gesamtheit der vorgefundenen - na, nennen wir's ruhig: Welt übereinstimmt,
ist keine Frage des theoretischen Glau-bens, sondern der pragmatischen,
denkpraktischen Bewährung. Solange die neuge-wonnenen Vorstellungen sich
ins vorhandene Gebäude (alias "Standardmodell") einfügen lassen, ohne
dass dadurch immer neue unprüfbare Zusatzannahmen not-wendig würden, tut
es seine Dienste und darf weiterhin als "einstweilen endgültig"
angenommen werden. Bis eines Tages ein Modell in Vorschlag gebracht
wird, das alles Bekannte und vieles Neue einfacher darstellen kann. Auch an dieses muss dann niemand glauben, es wird reichen, wenn es sich denkpraktisc bewährt.
Mit
der rationalen Philosophie ist es was Anderes. Die Prätention, die
Vorstellungs-gebäude der exakten Wissenschaften einem Wahrheitsurteil zu
unterziehen, hat sie mit Kants kritischer Wendung abgelegt. Für die
realen Wissenschaften ist sie eine kritische Instanz, die lediglich,
aber immerhin über die immanente Konsistenz der theoretischen Modelle
mitzu-reden hat, und nicht über ihre metaphysische Endgül-tigkeit.
Doch auch gegenüber den Sinnsuchern und Sinnerfindern ist sie kritische Instanz. Sie ist nicht Fleisch von ihrem Fleisch, sie reden nicht von Gleich zu Gleich; "auf Augenhöhe", wie der Flachmann sagt. Ihnen allen sagt
sie, ohne Ausnahme: Tut nicht so, als hättet ihr für eure
Sinnbehauptungen belastbare Gründe. Ihr habt Mo-tive, und die hat jeder.
Dass eure Motive besser sind als die der andern, muss sich zeigen.Wenn
ihr sie stattdessen unter vorgeschützten Gründen versteckt, von denen
man nichts wissen und die man nur glauben kann, werden sie es nötig
haben. Wir jedenfalls können vor euch nur warnen.
Ich
bin Atheist von Hause aus und in einer sprichwörtlich gottlosen Stadt
großge-worden, ich habe keine Rechnungen zu begleichen, ich bin kein
Antiklerikaler, und als studiertem Historiker ist mir die Bedeutung des Christentums
für Entstehung und Gegenwart des Abendlands ganz und gar bewusst. Ich
bin auch der Meinung, dass die Kirchen den Platz, den sie in unserer
Kultur einnehmen, gefälligst auszu-füllen haben.
Ganz entschieden bin ich aber auch der Meinung, dass der am besten dafür geeig-nete Ort die Kirchen sind.
Wenn ihnen die inzwischen zu leer sind, müssen sie sich was einfallen
lassen, um sie wieder zu füllen (und das wird ihnen, da war ich mit
Be-nedikt einer Meinung, nicht gelingen, wenn sie Hinz und Kunz nach dem
Munde reden). Was ich dagegen überhaupt nicht dulden mag, ist die ersatzweise Verpfaf-fung des öffentlichen Lebens in Deutschland, an der wohlbemerkt die Lutherischen viel kräftiger drehen als die Ultramontanen.
Lassen wir die Kirche im Dorf und die Pfaffen in ihren Tempeln.
6. 12. 14
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