
aus spektrum.de, 24. 4. 2025 zu Jochen Ebmeiers Realien
Akademische Debatten
Der Denkstil prägt, wie Forschende die Welt sehen
Psychologen, die keine Widersprüche mögen, vertreten eher biologistische Thesen. Und wer als Wissenschaftler besonders logisch denkt, hält den Menschen tendenziell für eigennützig.
von Corinna Hartmann
Obwohl wir schon vieles wissen, wird in der Wissenschaft nach wie vor kräftig gestritten. Wie diese inhaltlichen Gräben entstehen, interessierte ein Team um den Linguisten Justin Sulik von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dessen Studie, die Mitte April 2025 im Fachblatt »Nature Human Behaviour« erschien, zeigt: Akademische Meinungsverschiedenheiten gehen nicht nur auf unterschied-liche Methoden und Ergebnisse zurück – sondern auch auf Eigenschaften der Forschenden selbst.
Sulik und seine Kollegen hatten eine groß angelegte Online-Umfrage unter knapp 8000 Forschenden der Psychologie und angrenzender Disziplinen durchgeführt. Diese sollten darin zu 16 kontroversen Themen Stellung beziehen, etwa: Prägt Sprache das Denken? Handelt der Mensch vor allem egoistisch? Zusätzlich wurde der individuelle Denkstil der Wissenschaftler erhoben, zum Beispiel, ob sie die Welt eher in Worten oder in Bildern erfassen oder wie gut sie Widersprüche ertragen können.
Mit
statistischen Mitteln fahndeten die Autoren der Studie dann in den
Antworten nach Zusammenhängen. Und siehe da: Tatsächlich gingen
bestimmte Denkstile mit bestimmten fachlichen Überzeugungen einher. So
waren jene Forscherinnen und Forscher eher Anhänger biologischer
Erklärungen für Psychisches, die sich tendenziell an Widersprüchen
stören. Auch glaubten sie eher, dass bestimmte psychologische
Eigenschaften von Geburt an festgelegt sind. Wer Widersprüche hingegen
stärker duldet, war eher überzeugt, dass das soziale Umfeld und der
Kontext für das Verständnis menschlichen Verhaltens essenziell sind oder
dass sich die Funktionsweise des Gehirns nicht sinnvoll mit einem
Computer vergleichen lässt. Dass Sprache das Denken bestimmt, fand eher
bei jenen Zustimmung, die sich Konzepte mehr in Worten vorstellen als in
Bildern. Forschende, die zu analytischem Denken neigen und ein
besonderes Faible für Struktur und Planung haben, sahen den Menschen
eher als »Homo oeconomicus«: als rationalen Agenten, der stets aus
Eigeninteresse handelt.
Die
Zusammenhänge waren auch dann noch signifikant, wenn Sulik und seine
Kollegen das jeweilige Forschungsgebiet und die bevorzugten
Forschungsmethoden herausrechneten. Wenig überraschend waren nämlich
auch Psycholinguisten vermehrt der Überzeugung, dass Sprache zentral für
das Denken ist; und jene, die mit bildgebenden Verfahren das Gehirn
durchleuchten, fühlten sich zu biologischen Theorien hingezogen.
All das kratzt am Klischee des nüchternen Wissenschaftlers und wirft die Frage auf, inwieweit Menschen überhaupt in der Lage sind, eine objektive Wahrheit zu erkennen – so es sie denn gibt. Die Vielfalt im Denken könnte jedenfalls dazu führen, dass wissenschaftliche Lager selbst dann bestehen bleiben, wenn die Datenlage längst relativ klar ist.
Nota. - Es ist eben zweierlei - welche Begriffe die Forscher denken, und welche Vorstellungen ihnen dabei unter die Fittiche greifen: Bei den Vorstellungen haben die Vorlieben freies Spiel; Kritik wird erst durch Begriffe möglich.
JE
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen