
Die Welt hat sich letzthin drastisch verändert. Jeder ist sich selbst der Nächste be-deutet Jeder gegen Jeden. Russland, China und Trumps Amerika denken an sich selbst zuerst. Wenn Europa dazwischen nicht zerrieben und aufgeteilt werden will, muss es voranschreiten und nicht auf der Stelle treten: Stillstand heißt hier Rück-schritt.
Als Schrittmacher kommt nur Deutschland in Frage. Selbst wenn Macron wollte - Frankreich kann es nicht. Nicht nur sind wir die Stärksten, sondern wir haben - eben darum - auch am meisten zu verlieren. Ist das nicht ungerecht? Zwei Welt-kriege hat Deutschland um die Vorherrschaft in Europa geführt und verloren, dann hat es sie im Frieden gewonnen, und jetzt - spielt Europa in der Welt nur noch die zweite, dritte Geige und droht, zur Einflusszone der Andern zu werden.
Aber warum denn nicht? fragt der Gutmensch. Wenn andernorts der Nationalismus blüht, müssen wir doch nicht mitmachen; klein, aber mein. Und die Laubenpieper-patrioten akklamieren: Genau!
Sie stecken mit dem Kopf noch im 19. Jahrhundert. Wenn sich in Europa zwei Dutzend Nationen überwinden und vereinen, ergäbe das einen neuen, kontinen-talen Nationalismus? Sollen wir größer und stärker sein wollen als die anderen, nur weil wir's sind und weil wir in unserm Winkel nunmal aufeinanderhocken?
Der entscheidende Punkt ist aber: Womit und wodurch werden wir die zwei Dut-zend Nationen überwunden haben? Durch das, was ihnen bleibt, wenn man das beiseite lässt, was sie unterscheidet. Und das ist nicht etwas, das sie immer schon gewesen wären, sondern etwas, das sie mit und gegen einander geworden sind.
28. Juni 2018
*
Der
Reichtum Europas und das, was die Welt von uns bekommen kann, ist die
Mannigfaltigkeit von zwei dutzend Kulturen, die auf kleinstem Raum
nicht
neben-einander, sondern schon immer miteinander bestehen,
jahrhundertelang im Krieg, seit siebzig Jahren eher im Frieden. Sie
werden durch
ihre Unterschiede mehr an-einander gebunden als getrennt, denn jeder
Unterschied zwischen zweien wird, wenn man auf ihn reflektiert und von
den andern absieht, ein Gegensatz, und diese Gegensätze teilen wir miteinander.
In Europa wurde die Vernunft geboren. Nicht aus unserer Weisheit, eher
aus der Torheit, aber eben den widerstreitenden Torheiten von so
vielen. Vor fünfhundert Jahren - wir haben eben das Jubiläum gefeiert -
zerriss das einigende Band, das die Römische Kirche um die
gegensätzlichen Kulturen gelegt hatte, und die Glaubens-spaltung trieb
Europa in einen kontinentalen Bürgerkrieg, den Dreißigjährigen. Ge-führt
wurde er von vielen Mächten, aber auf deutschem Boden. Was nachgeborene
Historiker den deutschen Sonderweg nannten, hatte dort seinen Anfang.
Doch auch die Vernunft. Sollten die politischen Mächte wieder zu einem friedlichen Ver-kehr miteinander finden, bedurfte es einer mit unstrittiger Autorität ausgestat-tenten Instanz über den Glaubensbekenntnissen, deren Urteile einem jeden Indivi-duum von gesundem Verstand einleuchten müssten.
*
Unmittelbar beteiligt am Dreißigjährigen Krieg war nicht nur der Reiteroffizier René des Cartes, sondern, als Diplomat in französischem Dienst, der Rechtsge-lehrte Hugo Grotius. Es gilt als der Vater des Völkerrechts und als Begründer der Unterscheidung zwischen positiven Rechten und 'dem Naturrecht'. Seinen histori-schen Triumph hat er nicht mehr erlebt, der Westfälische Frieden (1648) wurde erst drei Jahre nach seinem Tod geschlossen. Etsi deus non daretur - 'selbst wenn es Gott nicht gäbe' - sollte Recht sein, denn solange theologische Erwägungen im wirklichen Leben eine Rolle spielten, gab es statt Recht und Frieden nur Mord und Totschlag.
Es hat seine Zeit gebraucht, doch schlicßlich ging aus der Vorstellung von einem Recht, das 'allein schon aus unserer Natur' folgt, unausweichlich die Idee der allge-meinen unveräußerlichen Menschenrechte hervor.
Hätte sie auch anderswo aufkommen können als in Europa? Sie ist es nicht. Aber hier ist sie mit Notwendigkeit aufgekommen. Mit Notwendigkeit, weil sie gerade nicht selbstverständlich war und - selbst in Europa - noch heute nicht geworden ist: Nur hier ist sie nicht beiläufig, nicht "umständehalber", nicht 'durch Nichtwis-sen', sondern ausdrücklich und grundsätzlich bestritten worden; nicht ideell, son-dern praktisch in Fleisch und Blut und Rauch und Asche. Das war in Europa, und wer sollte davon zeugen, wenn nicht wir Deutschen in Europa?
Mit andern Worten, die Zukunft Deutschlands liegt in Europa nicht, weil es uns so am besten passt; sondern weil die Zukunft der Welt im entscheidenden Punkt an Europa hängt, und weil es unsere wenn schon sonst niemand Anderes Pflicht ist, darüber zu wachen.
Bin ich stolz, Deutscher zu sein?
Man müsse sich Sysiphus glücklich vorstellen, hat mal einer geschrieben.
Doch auch die Vernunft. Sollten die politischen Mächte wieder zu einem friedlichen Ver-kehr miteinander finden, bedurfte es einer mit unstrittiger Autorität ausgestat-tenten Instanz über den Glaubensbekenntnissen, deren Urteile einem jeden Indivi-duum von gesundem Verstand einleuchten müssten.
*
Unmittelbar beteiligt am Dreißigjährigen Krieg war nicht nur der Reiteroffizier René des Cartes, sondern, als Diplomat in französischem Dienst, der Rechtsge-lehrte Hugo Grotius. Es gilt als der Vater des Völkerrechts und als Begründer der Unterscheidung zwischen positiven Rechten und 'dem Naturrecht'. Seinen histori-schen Triumph hat er nicht mehr erlebt, der Westfälische Frieden (1648) wurde erst drei Jahre nach seinem Tod geschlossen. Etsi deus non daretur - 'selbst wenn es Gott nicht gäbe' - sollte Recht sein, denn solange theologische Erwägungen im wirklichen Leben eine Rolle spielten, gab es statt Recht und Frieden nur Mord und Totschlag.
Es hat seine Zeit gebraucht, doch schlicßlich ging aus der Vorstellung von einem Recht, das 'allein schon aus unserer Natur' folgt, unausweichlich die Idee der allge-meinen unveräußerlichen Menschenrechte hervor.
Hätte sie auch anderswo aufkommen können als in Europa? Sie ist es nicht. Aber hier ist sie mit Notwendigkeit aufgekommen. Mit Notwendigkeit, weil sie gerade nicht selbstverständlich war und - selbst in Europa - noch heute nicht geworden ist: Nur hier ist sie nicht beiläufig, nicht "umständehalber", nicht 'durch Nichtwis-sen', sondern ausdrücklich und grundsätzlich bestritten worden; nicht ideell, son-dern praktisch in Fleisch und Blut und Rauch und Asche. Das war in Europa, und wer sollte davon zeugen, wenn nicht wir Deutschen in Europa?
Mit andern Worten, die Zukunft Deutschlands liegt in Europa nicht, weil es uns so am besten passt; sondern weil die Zukunft der Welt im entscheidenden Punkt an Europa hängt, und weil es unsere wenn schon sonst niemand Anderes Pflicht ist, darüber zu wachen.
Bin ich stolz, Deutscher zu sein?
Man müsse sich Sysiphus glücklich vorstellen, hat mal einer geschrieben.
11. 12. 17
*) Das ist kein Kalauer: Anders als durch Entgegensetzung lässt sich ein Bedeutungsfeld nicht bestimmen. Und anders gibt es keinen Begriff.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen