
aus Die Presse, Wien, 26.04.2025 Der Vagusnerv verbindet das Gehirn mit den Organen. zu Jochen Ebmeiers Realien
Der Vagusnerv ist ein langer und verästelter Teil des Nervensystems und verbindet das Gehirn über elektrische Impulse mit den Organen. Bei chronischen Krankheiten können sich die Impulse auf dem Weg zum Gehirn verlieren, sodass es die lebenswichtigen Körperfunktionen nicht mehr im Gleichgewicht halten kann. Hier setzt die elektrische Vagusnerv-Stimulation an, die körperliche und psychische Erkrankungen lindern kann.
Das Besondere an dieser „elektrischen Pille“ ist, dass sie da hilft, wo nur noch Schmerztabletten wirken – oder nicht mehr. Anwendungsfelder sind chronische Schmerzen, Durchblutungsstörungen und Depressionen. In Deutschland sei etwa Migräne ein großes Thema und in den USA chronischer Schmerz in Zusammenhang mit Opioidabhängigkeit, erklärt Eugenijus Kaniusas vom Institut für Biomedizinische Elektronik an der TU Wien. Er begann schon vor 17 Jahren an der verblüffenden Therapiemethode zu forschen und konnte seither einen wichtigen Beitrag zur Begründung der biophysikalischen Wirkung leisten.
Es gibt verschiedene Methoden der Vagusnerv-Stimulation – invasive und nicht invasive. Am Anfang standen implantierte Geräte, die jedoch u. a. den Nachteil haben, dass sie nicht nur sensorische, sondern auch motorische Nerven reizen. Der Reiz der motorischen Nerven kann zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Daher konzentriert sich die Forschung auf die Stimulation über die Haut, die es ermöglicht, exklusiv sensorische Nerven zu adressieren – vor allem am Ohr. Das sei insofern wichtig, als sensorische Nerven zum Gehirn hinführen und die therapeutische Wirkung über das Gehirn als natürliche Schaltstelle erzielt werden könne, so der Professor – und weiter: „Es wird also nicht das betreffende Organ oder die angegriffene Funktion stimuliert, wie dies bei Reizung der motorischen Nerven der Fall ist, sondern das Gehirn, das somit selbst entscheiden kann, was zu tun ist.“
Kaniusas forscht in der aurikulären Stimulation, bei der Stimulationsnadeln im Bereich der Ohrmuschel gesetzt werden – von wo ein Strang des Vagusnervs direkt ins Gehirn führt. Die Wirkung der Methode ist erwiesen, aber die Qualität der Ergebnisse nicht bei allen Patientinnen und Patienten gleich. Weshalb das Team um Kaniusas seit 2019 die Möglichkeit einer Personalisierung testete, indem die Reizintensität individuell auf den betroffenen Menschen und dessen Krankheitsverlauf abgestimmt wurde. Schon damals vermuteten sie, dass auch die physiologischen Rhythmen wie Herzschlag und Atem eine wesentliche Rolle spielen.
Eine Annahme, die Kaniusas 2025 in einer Studie mit dem Chirurgen József Constantin Széles (Privatklinik Wien) bestätigen konnte (Frontiers in Physiology). Gemeinsam zeigten sie erstmals, dass die Tore ins Gehirn mit jedem Herzschlag sozusagen auf- und zugehen. Erfolgt der Impuls dann, wenn die Tore offen sind, werde dieser im Gehirn wahrgenommen.
Ähnliches ist es beim Atemrhythmus, bei dem man Ein- und Ausatmung unterscheide und die Wirkung in einer Phase viel stärker ausgeprägt sei als in der anderen Phase. Mit diesem Wissen könne der Stimulus so gesetzt werden, dass er möglichst effizient vom Gehirn aufgenommen und entsprechend umgesetzt wird, so Kaniusas.
Die Wirkung des „Wundernervs“ beschreibt auch das im Jänner erschienene Buch „Die heilende Kraft des Vagus“ (Eco Wing) von Maximilian Moser (Med-Uni Graz).
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