aus derStandard.at, 29. August 2025 zu öffentliche Angelegenheiten; zu Levana, oder Erziehlehre
Wien – Die Sommerferien neigen sich für fast eine halbe Million Schülerinnen und Schüler dem Ende zu. Die Zeit des Lernens beginnt also wieder, wobei diese für viele gar nie wirklich aufgehört hat, wie das Nachhilfebarometer des Ifes für die Arbeiterkammer zeigt. Über die Sommermonate haben 100.000 Schülerinnen und Schüler in Österreich Nachhilfe gebraucht. Über das Jahr gerechnet sind es zuletzt 318.000 Kinder und Jugendliche gewesen. Das ist jede und jeder dritte Schülerin bzw. Schüler in Österreich.
Damit bleiben die Zahlen der privaten Nachhilfe auf hohem Niveau. Dazu kommt, dass 45.000 Kinder, die Nachhilfe gebraucht hätten, diese nicht bekommen haben, weil sich die Eltern das nicht leisten konnten. In Summe 800 Euro wurden für Nachhilfe im vergangenen Jahr durchschnittlich pro Schüler aufgebracht – 280 Euro mehr als noch vor fünf Jahren.
Diese Zahlen deuten für die Arbeiterkammer auf einen groben Fehler im System hin, der viel tiefer greift. Denn: Die meisten Kinder benötigen eine Form von zusätzlicher Unterstützung, um schulische Aufgaben zu bewältigen. Vier von fünf Kindern und Jugendlichen (79 Prozent) werden zu Hause zumindest gelegentlich beim Aufgabenmachen und beim Lernen begleitet. Knapp einem Viertel aller Schülerinnen müssten die Eltern fast täglich helfen, was viele zeitlich unter Druck setzt.
Damit hat sich die Nachhilfe für Ilkim Erdost, die Bereichsleiterin für Bildung in der AK Wien, längst von der Ausnahme zur Regel verkehrt. "Der Unterricht sollte in der Schule stattfinden und nicht am Küchentisch", sagt Erdost. Die derzeitige Situation führe dazu, dass hunderttausende Familien im permanenten Ausnahmezustand seien. "Und wenn Eltern den Schulerfolg ihrer Kinder mit viel Geld oder Stress erkaufen müssen, läuft grundsätzlich etwas falsch."
Der Hauptgrund für klingelnde Kassen bei Nachhilfeinstituten und gestresste Schüler und Eltern ist dabei seit jeher das Fach Mathematik. Ein Fünftel aller Schülerinnen bekommt Nachhilfe in Mathematik. Blickt man gesondert auf die Nachhilfeschüler, sind es zwei von drei. Und: Je fortgeschrittener die Schullaufbahn, desto mehr kommen dazu: In der Oberstufe Gymnasium braucht jeder oder jede Dritte (35 Prozent) Nachhilfe in Mathematik.
All das lässt für Elke Larcher, Bildungsexpertin von der AK Wien, nur einen Schluss zu: "Wir brauchen eine Reform des Mathematikunterrichts. Er muss sich stärker daran orientieren, was die heutige Wissensgesellschaft braucht und welche Kompetenzen in Zukunft nötig sein werden", sagt Larcher. Ansätze wären in ihren Augen das fächerübergreifende Lernen und praktische und lebensnahe Anwendungen. "Die Kinder sollen nicht auf Prüfungen hin lernen, sondern neugierig auf Mathe, Technik und Co werden."
Was die Einbeziehung der Eltern in den Lernerfolg der Kinder anbelangt, steht Österreich im internationalen Schnitt jedenfalls schlecht da, wie es von der AK heißt. Die Eltern müssten hierzulande mehr kompensieren als anderswo. Laut Zeitverwendungsstudien müssen in Ländern wie Finnland, Norwegen oder den Niederlanden nicht nur weniger Eltern mit den Kindern lernen, sie machen das auch kürzer.
Gründe dafür sieht die AK in den strukturellen Problemen der Schulen und dem in Österreich vorherrschenden Modell der Halbtagsschule, das Bildungsungleichheiten zementiere. "Deshalb brauchen wir gratis Ganztagsschulen. Damit das Lernen dort passiert, wo es hingehört – in der Schule. Damit die Kinder mehr Chancen haben. Damit die Eltern Familie und Beruf besser unter einen Hut kriegen. Damit die Freizeit Familienzeit ist – und nicht die Zeit, um die Lücken zu schließen, die die Schule offen lässt", sagt Erdost.
Nota. - Eine ungesunde Kost wird nicht besser, indem man davon mehr auf den Teller tut. Die Umgangsformen der Heranwachsenden werden nicht dadurch besser, dass man sie den ganzen Tag in Klassenzimmern und gar Pausenhöfen zusammenballt. Fällt denn keinem auf, dass von den statistikvernarrten Empirikern bislang nicht einer eine Erhebung veröffentlicht hat, aus der ersichtlich wäre, dass in Ganztagsschulen größere Bildungserfolge erzielt würden, als in einer Halbtagsschule? Die Abschaffung des Nachmittagsunterrichts war vielmehr die erste Errungenschaft deutscher Reformpädagogik - in Preußen veranlasst vom Ministerium, das bei einer zufälligen Notmaßnahme bemerkt hatte, dass die Schüler ohne Nachmittagsstunden schneller vorankamen als zuvor!* Jeder Büroleiter weiß, dass seine Angestellten nach der sechsten Arbeitsstunde nicht mehr viel zustandebringen.
Warum überhaupt nur dieser Artikel? Weil es seit vielen Jahren das erste Mal ist, dass die Ganztagsschule wieder aus didaktischen Gründen gepriesen wird. Zwischenzeitlich mussten sozialpädagogisch argumentiert, aber weder werden Migrantenkinder nachweislich gefördert, noch sind Pausenhöfe Orte für 'soziales Lernen'.
'Dass man mehr lernt, wenn man auch nachmittags noch lernt, statt das vormittags Gelernte sich setzen zu lassen, ist nicht nur nicht erwiesen, sondern offenkundig falsch, und darum wird ja seit Jahren die Ganztagsschule nicht mehr didaktisch begründet, sondern "pädagogisch", nämlich in Wahrheit sozialpädagogisch: "Soziales Lernen" solle dem Nachwuchs der Ein-Kind-Patchwork-Familien auf den dafür bekanntlich am besten geeigneten Pausenhöfen erleichtert werden, und wenn's einer nicht glaubt, dann heißt es, na ja, aber der Gleichstellung der Frauen ist es förderlich, wenn sie auch nachmittags arbeiten gehen können...
Hat in der Ganztagshype klammheimlich schon immer Regretting Motherhood gesteckt? Es war umgekehrt. Seit die staatliche Rundumverwaltung der Kindheit als erlaubter Gedanke öffentlich sanktioniert wurde, darf auch Regretting Motherhood sich legitim vorkommen und ihr Gesicht zeigen.
Welches 'begründete Interesse' steckt dann aber im dröhnenden Marschtritt der finsteren Kolonne?
Da ist einerseits die Industrie, der schon jetzt vor kommendem Fachkräftemangel bangt, und sind zugleich die Gewerkschaften, die ganz dringend neue Mitglieder bräuchten, und für einmal wäscht eine Hand die andere.
Und da ist andererseits der wortreiche Haufen der Erwerbspädagogen, der sich seinem Vater Staat gern als Erfüllungsgehilfe andient, wenn er ihm helfen kann, sein Monopol über die Kindheit hieb- und stichfest zu machen. Denn sein Mono-pol wäre auch ihres, auch da wäscht eine Hand die andere.' 14. 4. 16
*) In Österreich wurde der Nachmittagsunterricht 1924 von einem sozialdemokratischen Staatssekretär auf Wunsch der Eltern abgeschafft.
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