aus welt.de, 15. 9. 2025 Keine natürliche Hügellandschaft: In East Chisenbury legen Archäologen prähistorische Indizien frei zu öffentliche Angelegenheiten
Von Sonja Kastilan
Auf den ersten Blick sind es einfach nur grüne Hügel, die da in Südengland die Landschaft prägen. Nicht sehr hoch und nicht besonders spektakulär geformt. Doch schaut man unter die Grassoden, sieht plötzlich alles ganz anders aus, denn es handelt sich um riesige prähistorische Abfallhaufen. Darin sind Millionen von Knochenfragmente und Scherben zu finden. Abfälle aus der Bronzezeit, oder besser gesagt: Zeugnisse der britischen Kultur zu prähistorischen Zeiten.
Diese Müllhalden, die heute die englische Landschaft prägen, zeigen auch, welche Entfernungen die Menschen zurücklegten, um am Ende der Bronzezeit – vor mehr als 2500 Jahren – gemeinsam zu feiern. Das ergab die bisher größte Studie dazu, in der Archäologen der Cardiff University modernste Isotopenanalysen anwendeten, um die Materialsammlung von sechs damaligen Halden, den „Middens“, in Wiltshire und im Tal der Themse genauer zu untersuchen.
Die jetzt im Fachjournal „iScience“ veröffentlichten Ergebnisse geben unter anderem Aufschluss darüber, woher die verspeisten Tiere stammten. Und daran lässt sich wiederum ablesen, welchen Einzugsbereich die Gelage einst hatten. Den Müllbergen nach zu urteilen, waren es wohl die größten Feiern, die bis zum Mittelalter in Großbritannien stattfanden und selbst die zur späten Jungsteinzeit noch übertrafen.
Die größte der untersuchten Halden namens Potterne liegt im heutigen Wiltshire; eine zeremonielle Grafschaft im Südwesten Englands, die für ihre archäologischen Stätten wie etwa Stonehenge bekannt ist. Diese Halde umfasst eine Fläche von etwa fünf Fußballfeldern und ist voller Überreste von Festessen, darunter an die 15 Millionen Knochenfragmente.
Die archäologischen Funde aus den Abfallhalden weisen auf Veränderungen in den Siedlungsmustern zum Ende der Bronzezeit hin, also der territorialen Besiedlung, und belegen zudem regionale Unterschiede des Wandels. Diese Veränderungen gehen laut den Forschern mit einem raschen Klimawandel einher, der um 1550 bis 550 v. Chr. erkennbar wird, wobei die Zeit von 1250 bis 1150 v. Chr. offenbar eine kritische Übergangsphase darstellt.
Für Großbritannien zeigen verschiedene Datensätze, allgemein betrachtet, dass auf eine feuchte Periode (1500 bis 1200 v. Chr.) eine trockenere (1200 bis 800 v. Chr.) folgte. Im Übergang von der Epoche der späten Bronzezeit zur Kultur der frühen Eisenzeit (900 bis 500 v. Chr.) ist eine signifikante, rasche Verschlechterung des Klimas nachweisbar, die durch eine Verlagerung hin zu feuchteren Bedingungen gekennzeichnet ist. Die veränderten Umweltbedingungen dürften sich auf die landwirtschaftlichen Praktiken und auch auf die Produktivität ausgewirkt haben.
Wie die Forscher in der „iScience“-Studie erläutern, nahmen während dieser Zeit die regionalen, inselweiten und kontinentalen Netzwerke der Bronzezeit, die sich auf die Metallverarbeitung konzentrierten, ab – und veränderten ihren Charakter. Währenddessen entstand im Süden der Insel ein neuer Typ von archäologischer Fundstätte, der unter dem Begriff „Midden“ bekannt ist: Müllhalden.
Aus den Abfallhaufen entstanden im Laufe der Zeit enorme Hügel, die aus erheblichen Mengen an Tierknochen, Bronzeartefakten und Keramik bestehen. Das Archäologen-Team um Richard Madgwick, Professor an der Cardiff University, liest daraus, dass „die Monumentalität von Siedlungen“ an Bedeutung gewinnt. Diese Ansammlungen von Abfällen weisen demnach auf einen gemeinschaftlichen Konsum und eine soziale Mobilisierung in sehr großem Umfang hin. In der britischen Vorgeschichte wohl beispiellos, so die Forscher.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass jede Abfallhalde eine unterschiedliche Zusammensetzung von Tierresten aufwies, wobei einige voller lokal gezüchteter Schafe waren und andere Schweine oder Rinder aus nah und fern enthielten“, erklärt Erstautorin Carmen Esposito. Während der Studie war sie an der Fakultät für Geschichte, Archäologie und Religion der Universität von Cardiff tätig, mittlerweile arbeitet sie an der Universität in Bologna.
„Wir leiten davon ab, dass jede Abfallhalde eine Art Dreh- und Angelpunkt in der Landschaft war, der für die Aufrechterhaltung spezifischer regionaler Wirtschaftszweige, die Ausdrucksweise von Identitäten und die Aufrechterhaltung der Beziehungen zwischen den Gemeinschaften von entscheidender Bedeutung war“, sagt Esposito. Sie spricht von einer „turbulenten Zeit, in der der Wert von Bronze sank und die Menschen sich stattdessen der Landwirtschaft zuwandten“.
In Potterne zum Beispiel war Schweinefleisch offensichtlich das Fleisch der Wahl, wobei die Schweine aus einem weiten Einzugsgebiet stammten, sogar aus dem Norden Englands. Die Bandbreite lässt annehmen, dass die Tiere aus mehreren Regionen stammten: Hier trafen Produzenten aus der Region und darüber hinaus zusammen. In ähnlicher Weise war Runnymede in Surrey ein wichtiger regionaler Knotenpunkt, für die dortigen Gelage wurden allerdings Rinder bevorzugt und auch aus der Ferne herbeigeschafft.
Im Gegensatz dazu dominierten in East Chisenbury, einem monumentalen Hügel rund 16 Kilometer von Stonehenge entfernt, wieder ganz andere Tiere, und zwar Schafe. Dieser enthält –mit einem Durchmesser von mehr als 150 Metern und einer Tiefe von bis zu drei Metern – schätzungsweise die Überreste von Hunderttausenden Tieren. Und wie die aktuelle Analyse der Knochenfunde zeigt, stammte die Mehrheit dieser Tiere aus der näheren Umgebung, nicht aus der Ferne. Außerdem lassen die auffällig zahlreichen Jungtiere annehmen, dass man in dieser Region vermutlich Milchwirtschaft betrieb.
„In einer Zeit klimatischer und wirtschaftlicher Instabilität wandten sich die Menschen in Südengland dem Feiern zu“, hält Madgwick fest. Vielleicht habe es zwischen der Bronze- und der Eisenzeit eine Zeit des Feierns gegeben. Solche Ereignisse seien heute nicht weniger wichtig als damals, um Beziehungen innerhalb und zwischen Gemeinschaften aufzubauen – und zu festigen.
Die Middens spiegeln den sozialen Rahmen der Festessen wider – und repräsentieren einen gesellschaftlichen Wandel hin zur landwirtschaftlichen Produktion. Zu erkennen ist zudem eine Intensivierung mit dem Wunsch, die Produktivität zu maximieren, um prunkvolle Festmähler zu ermöglichen.
Die Annahmen der Archäologen basieren auf den umfangreichen Untersuchungen von Knochen und Zähnen, um die jeweiligen Isotopen-Verhältnisse von Strontium, Stickstoff, Schwefel, Kohlen- und Sauerstoff herauszufinden. Eingeordnet wurden diese Daten durch regionale Vergleichsanalysen.
Nota. - Als nächsthöhere Stufe drängt sich Göbekli Tepe in den Sinn. Lag Stone-henge auf diesem Weg?
Eins springt ins Auge: Nicht Notdurft war offenbar Triebkraft der kulturellen Ent-wicklung, sondern der luxurierende Wunsch nach Verprassen von Überschüssen - das Neue Bedürfnis.
JE
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