
aus derStandard.at, 13. 9. 2025 Subjektives Empfinden von Farben ist nur schwer zu erforschen, aber Hirnaktivitäten kann man sehr wohl untersuchen. zu Jochen Ebmeiers Realien
Sehen wir eigentlich die gleiche Farbe? Woher wissen wir, dass mein Gelb nicht komplett anders ist als dein Gelb? Diese Frage stellen sich nicht nur Kinder irgendwann, sie beschäftigt auch die Philosophie und die Neurologie seit langem. Was man bereits wusste: Bestimmte Bereiche des Sehzentrums im Gehirn übernehmen gewisse Aufgaben wie das Erkennen von Gesichtern, Farben oder Bewegung. Unklar war beispielsweise, ob einzelne Farben einen eigenen neuronalen Code haben, der bei allen Menschen gleich ist. Ein Forscherduo der Uni Tübingen und des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik liefert Antworten im Magazin Journal of Neuroscience.
Die Neurowissenschafter Andreas Bartels und Michael Bannert schickten für ihre Experimente insgesamt 15 Testpersonen in die Röhre eines MRT-Geräts. Durch funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) wurde die Gehirnaktivität der Testpersonen aufgezeichnet, während sie erst schwarz-weiße Muster, dann die Farben Rot, Grün und Gelb betrachteten. Die Forscher wollten herausfinden, wie unterschiedliche Farben im Gehirn dargestellt und verarbeitet werden und ob das bei allen Teilnehmenden gleich abläuft.
Bartels und Bannert teilten die Testpersonen in zwei Gruppen auf. Aus den Hirnscans der einen Gruppe der Teilnehmenden wurde eine Art Muster für jede Farbe erstellt: Es wurde festgehalten, wie jede einzelne Farbe neurologisch im Gehirn dargestellt wird. Mit diesen fMRT-Mustern konnten die Forscher Klassifikationsalgorithmen trainieren und bei der zweiten Gruppe der Teilnehmenden allein anhand der neuronalen Signale bestimmen, welche Farbe und Helligkeit diese zu einem bestimmten Augenblick betrachteten.
Bartels und Bannert kamen zu dem Schluss: Farbwahrnehmungen werden über verschiedene Gehirne hinweg einheitlicher abgebildet als gedacht. Zudem reagierten verschiedene Gehirnzellen stärker auf bestimmte Farben. "Dass sich selbst die detaillierten Unterschiede zwischen einzelnen Farben bei der Informationsverarbeitung in bestimmten Gehirnregionen im Aktivitätsmuster über verschiedene Gehirne hinweg so stark ähneln, hat uns überrascht. Das war bisher so nicht bekannt", sagt Bartels. Bisher hatte man Farbwahrnehmungsmuster nur innerhalb eines individuellen Gehirns einer Farbe zuordnen können.
"Im Sehzentrum unseres Gehirns sind Karten unseres Blickfelds abgelegt, sogenannte Field Maps", sagt Bannert. "Sie bilden die räumliche Struktur des Gesehenen ab und koordinieren die weitere Verarbeitung mit höheren Hirnarealen." Wenn Licht auf die Netzhaut fällt, werden die Informationen also nicht zufällig weitergeleitet. Jeder Punkt hat einen genauen Positionswert, und diese räumliche Ordnung wird über die Sehnerven der Netzhaut in die höheren Verarbeitungsebenen des Gehirns übertragen.
"So entsteht im visuellen Kortex – der Sehrinde unseres Gehirns – ein geordnetes Abbild und ein entsprechendes Aktivitätsmuster, das wir mithilfe von fMRT bewerten konnten", so Bannert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass "es Gemeinsamkeiten in der Art und Weise gibt, wie verschiedene Gehirne Farben kodieren, und dass diese etwas mit der Art und Weise zu tun haben, wie unser Gehirn den visuellen Raum darstellt", sagt der Forscher. Die Aussagekraft der Studie ist aufgrund der geringen Anzahl der Testpersonen eingeschränkt, allerdings sind größere Samples bei Experimenten, die MRTs beinhalten, aus Kostengründen oft nicht möglich.
Die Forscher stellten fest, dass in der Sehrinde unseres Gehirns für jede Farbe eine eigene räumliche Karte des Sehfelds besteht. Verarbeitung von Farben ist also eng mit der räumlichen Struktur des Gesehenen verknüpft. Diese Karten unterscheiden sich zwar von Hirnareal zu Hirnareal, haben aber bei allen Menschen das gleiche Grundmuster. Die Wissenschafter vermuten, dass diese Ordnung nicht zufällig ist, sondern während der Evolution entstand und bewahrt wurde. Dieser Zusammenhang ist aber noch nicht ganz geklärt.
Ob ich mein Rot subjektiv gleich erlebe wie du dein Rot, ist eine andere Frage. Oft ist die subjektiv erlebte Farbe auch eher eine Frage der Lichtsituation und ihrer Interpretation – so etwa beim berühmten Foto des Kleids, das für manche gold-weiß und für andere blau-schwarz wirkt. "Ob das subjektive Erleben einer Farbe wirklich identisch ist, das können wir nicht sagen, und selbst die gängigen wissenschaftlichen Methoden der Wahrnehmungsforschung reichen dafür wahrscheinlich nicht aus", sagt Bannert. Aber man kann sich zumindest die Hirnaktivität anschauen: "Wir konnten feststellen, dass Farbverzerrungen, also Abweichungen in der Farbcodierung, bei allen Menschen ähnlich sind. Lichtintensität und Farbwert sind nämlich nicht in allen Bereichen unseres Sehens gleich." Die Autoren deuten das als Hinweis auf grundlegend vergleichbare Organisationsprinzipien im Sehsystem des Menschen. (red.)
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