aus Marxiana
Den Hintergrund für den stalinistischen "naturalistischen" Wertbegriff*
bildet der Mythos von der "Politischen Ökonomie" als einer ubiquitären,
'nomothetischen' Universalwissenschaft mit einem bestimmten,
identischen, 'an sich selber' zeitlosen (d. h. nur in der 'Erscheinung'
sich entwickelnden) Gegenstand. Und als Beleg dafür kommt in ihren
Lehrbüchern sicher wie das Amen in der Kirche stets dieselbe eine und
einzige "Stelle" bei... Engels im Anti-Dühring: "Die politische
Ökonomie, im weitesten Sinne, ist die Wissenschaft von den Gesetzen,
welche die Produktion und den Austausch des materiellen Lebensunterhalts
in der menschlichen Gesellschaft beherrschen." Herrn Eugen Dührings Umwälzung..., MEW 20, S. 136.
Das wird mit viel Krakeel von den Autoren der Lehrbücher als regelrechter wissen-schaftlicher Begriff ausposaunt: "In seiner Definition der politischen Ökonomie als Wissenschaft im weiteren Sinn..." Lehrbuch der Politischen Ökonomie I,
Moskau 1970: "Die politische Ökonomie, mit der wir uns heute
befassen, ist, um mit Fried-rich Engels' Worten zu reden, die politische
Ökonomie im weiteren Sinne des Wor-tes..." (S. 39).
Bei Engels folgt
allerdings stehenden Fußes: "Die Bedingungen, unter denen die Menschen
produzieren und austauschen, wechseln von Land zu Land, und in jedem
Land von Generation zu Generation. Die politische Ökonomie kann also
nicht die-selbe sein für alle Länder und für alle geschichtlichen
Epochen." a.a.O., S. 136
Das Lehrbuch beeilt sich zu krähen: "Friedrich Engels bezeichnete diese Wissen-schaft als politische Ökonomie im engeren Sinne..." a.a.O., S. 38
Engels weiter: "Die
politische Ökonomie ist also wesentlich eine historische Wis-senschaft.
Sie behandelt einen geschichtlichen, d. h. ein stets wechselnden Stoff.
Sie untersucht zunächst die einzelnen Gesetze jeder einzelnen
Entwicklungsstufe der Produktion und des Austausches und wird erst am
Schluss dieser Untersuchung die wenigen für Produktion und Austausch
überhaupt geltenden, ganz allgemeinen Ge-setze aufstellen." a.a.O., S. 137
Aber
prompt setzt das Lehrbuch nach und verbessert noch seinen
Kronzeugen Engels: "Die politische Ökonomie im weiteren Sinne des
Wortes ist nicht die Sum-me der politischen Ökonomien im engeren Sinne.
Sie ist eine einheitliche Wissen-schaft mit einem einheitliche Gegenstand
und einheitlicher Methode." a.a.O. S. 39. (Natürlich erfahren wir nicht, welcher "Gegenstand" und welche "Methode"; etwa die "wenigen... überhaupt geltenden, ganz allgemeinen Gesetze"?!)
Engels: "Die
Feuerländer bringen es nicht zu Massenproduktion und zum Welt-handel,
ebensowenig wie zur Wechselreiterei oder einem Börsenkrach. Wer die
po-litische Ökonomie Feuerlands unter dieselben Gesetze bringen wollte
mit der des heutigen Englands, würde damit augenscheinlich nichts zutage
fördern als den al-lerbanalsten Gemeinplatz." a.a.O., S. 136f.
Also die "einheitliche
Methode" am "einheitlichen Gegenstand" ist... "der allerba-nalste
Gemeinsplatz"?! - I wo: "Das musst du dialektisch sehn!"
Aber was Engels mit
seiner unglücklichen Gelegenheitsformulierung von der "poli-tischen
Ökonomie im weitesten Sinne" sagen wollte, macht er ein paar
Sätze weiter unten ganz deutlich: "Die politische Ökonomie als die
Wissenschaft von den Bedin-gungen und Formen, unter denen die
verschiednen menschlichen Gesellschaften produziert und ausgetauscht [!], und unter denen sich demgemäß jedesmal die Pro-dukte ausgetauscht [!]
haben - die politische Ökonomie in dieser Ausdehnung soll jedoch erst
geschaffen werden. Was wir von ökonomischer Wissenschaft bis jetzt
besitzen, beschränkt sich fast ausschließlich auf die Genesis und
Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise: sie beginnt mit der
Kritik der Reste der feudalen Produktions- und Austauschformen...,
entwickelt dann die Gesetze der kapitalisti-schen Produktionsweise und
ihrer entsprechenden Austauschformen nach der po-sitiven Seite hin, d. h.
nach der Seite, wonach sie die allgemeinen Gesellschafts-zwecke fördern (A. Smith),
und schließt ab mit der sozialistischen Kritik der kapi-talistischen
Produktionsweise, d. h. mit der Darstellung ihrer Gesetze nach der
ne-gativen Seite hin (Sismondi vs. Ricardo), mit dem Nachweis,
dass diese Produkti-onsweise durch ihre eigne Entwicklung dem Punkt
zutreibt, wo sie sich selbst un-möglich macht. Diese Kritik (K. Marx) weist nach..." a.a.O., S. 138f.
"Um diese Kritik der
bürgerlichen Ökonomie vollständig durchzuführen, genügte nicht die
Bekanntschaft mit der kapitalistischen Produktion, dem Austausch und der
Verteilung. Die ihr vorangegangenen oder noch neben ihr, in weniger
entwik-kelten Ländern bestehenden Formen mussten ebenfalls, wenigstens in
den Haupt-zügen, untersucht und zur Vergleichung gezogen werden. Eine
solche Untersu-chung und Vergleichung ist bis jetzt im ganzen und großen nur von Marx angestellt worden." a.a.O., S. 139
Was man also schonmal
festhalten kann: Engels jedenfalls war der Meinung, daß Marx eine solche
"politische Ökonomie im weitesten Sinne" nicht "geschaffen" ha-be; sondern vielmehr die Kritik der bürgerlichen Ökonomie als deren Abschluss - und insoweit hat er 'Das Kapital' völlig richtig verstanden; denn er fügt ja ausdrück-lich hinzu, dass K. M. da, wo er auf vorkapitalistische Formen eingeht, diese nicht als solche (oder "immanent") darstelle, sondern lediglich zwecks Vergleichung mit der bürgerlichen 'Form': nämlich um jene "deutlich" darzustellen.
Was hingegen Engels als
"politische Ökonomie im weitesten Sinne" vorschwebt, ist offenbar eine
'allgemeine Wirtschaftsgeschichte vom meterialistischen Standpunkt aus' -
von der Marx in den Grundrissen beiläufig bemerkt, dass 'wir' sie 'auch noch' bewerkstelligen werden, dass sie aber an sich für seinen Zweck überflüssig
sei (MEW 42, wo?). - Man fragt sich freilich, welches
Erkenntnisinteresse eine solche Arbeit haben würde; eine bloße
historische Faktensammlung, eine Art verbesserter Gülich? Abgesehen
davon, dass man nicht erkennt, wozu eine solche Fleißarbeit gut sein
soll, ist es nicht gerechtfertigt, eine bloße historische Faktensammlung
eine "Wissenschaft" zu nennen: eben darum, weil sie nicht imstande ist, ihren Gegen-stand zu identifizieren. Eine Wissenschaft ist stets entweder pragmatisch - und läuft dann doch wieder 'nur' auf kommunistische Kritik der historischen Resultate hin-aus;
oder sie ist "theoretisch" - und kommt dann über die von Engels
treffend so genannten "allerbanalsten Gemeinplätze" nicht hinaus - die
zudem gar nicht 'fakti-scher', sondern methodologischer Natur sind, wie
die völlig zu Recht "unterdrück-te" Einleitung von 1857 beweist...
In jedem Fall war es
aber eine terminologische Schluderei, die sich gerade noch aus dem Eifer
der Polemik entschuldigen lässt, eine solche historische Wissenschaft vom 'Wirtschaften' als
"politische" Ökonomie zu bezeichnen. Das hätte dem alt-philologisch
nicht ganz ungebildeten Freddy ins Auge springen müssen, dass jedem
Athener Bürgr jene terminologische Verbindung von πολις und οιϰος
als Gipfel der Paradoxie hätte erscheinen müssen! Sowas ähnliches wie
"das Öffentlich-Private"! Es ist ihm in der Hitze des Gefechts auch gar
nich aufgefallen, dass er ausdrücklich auf allen historischen Stufen
"Austausch" als Bedingung der Verteilung voraussetzt!
Denn das bedeutet ja, dass er überall und allezeit sowohl gesellschaftliche Produkti-on als auch Privateigentum unterstellt! Nun hat er es aber in der wirklich stattge-habten Geschichte entweder mit dem einen oder mit dem andern zu tun - und die singuläre Eigenart der kapitalistischen Gesellschaft ist doch gerade, dass allein hier beides zusammenkommt, indem auf dem Boden des privaten Eigentums die Pro-duktion - technisch und ökonomisch - einen gesellschaftlichen Charakter angenom-men hat.
Denn wo gemeinschaftlich organisierte Prodution stattfindet, werden die Produkte eben nicht getauscht
- im "self-sustaining" indischen Dorf. Es ist auch nicht wahr, dass
hier unmittelbar "die Arbeiten getauscht" würden: das ist eine
idealistische Augenwischerei; hier werden "die Arbeiten" verteilt, und ebenso werden die Pro-dukte verteilt.
Wo indessen nicht gemeinschaftlich, sondern privat-isoliert produziert und hernach ausgetauscht wird - nämlich der Überschuss, das, was man entbehren kann, und eben nicht das "Nötige" -, da ist es Unfug, von politischer Ökonomie
zu reden. Po-litisch, nämlich "das Gemeinwesen betreffend", ist die
οιϰονομια, wo der Reichtum der einzelnen eo ipso Reichtum des
Gemeinwesens darstellt, der Reichtum der Pri-vaten zugleich allgemeiner
Reichtum ist; und das kann nur sein, wo es zu Reichtum im Allgemeinen, "Reichtum überhaupt", "Reichtum schlechthin" gekommen ist. Und das ist eben das Geld. Das Geld ist "das reale Gemeinwesen" - in der bürger-lichen Gesellschaft.
Wo es in den vorbürgerlichen Gesellschaften auftritt, da als "reales (bürgerliches) Gemeinwesen in processu" - was empirisch immer zugleich die Zerstörung des vorhandenen Gemeinwesens bedeutet, sofern es eben noch nicht auf dem Aus-tausch beruht.
Also Gegenstand einer solchen historischen
"Politischen Ökonomie" kann nur die wirkliche Geschichte sein, wie sich
das Geld in den gewesenen Gesellschaftsforma-tionen an Stelle der
traditionellen - gentilizischen, feudalen, "asiatischen" - politi-schen
Gemeinschaften zum "realen Gemeinwesen" der... bürgerlichen Gesellschaft konstituiert hat. Also Gegenstand einer historischen Politischen Ökonomie könnte nur sein: die Bildung des Kapitalverhältnisses auf dem Boden der traditionellen Ge-sellschaften, aus den vorkapitalistischen Verhältnissen heraus.
Aber genau das gehörte zur Arbeit der Kritik der Politischen Ökonomie, und ganau diese Arbeit hat Marx auch besorgt; cf. "Formen"-Kapitel. Nur so nämlich konnte er ja auf die Bruch-Stelle
in der Entwicklungsgeschichte "des Kapitals" stoßen: den Punkt, wo eben
nicht "das Geld" als automatisches Subjekt 'zu Kapital wird'; son-dern
durch den (Gewalt)-Akt der Trennung des Arbeitsvermögens von den Ar-beitsmitteln zu Kapital gemacht worden ist - die "sogenannte ursprüngliche Akku-mulation".
*
Und nach allem kann es uns nun auch nicht mehr wundern, dass in besagtem Lehr-buch der politischen Ökonomie die "sogenannte ursprüngliche Akkumulation" gar nicht vorkommt...
*) Den Begriff hat Preobraschenki gegen Bucharin geprägt.
13. 12. 89
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