
aus derStandard.at, 23. 2. 2025 Wolfgang Pauli 1924 zu Jochen Ebmeiers Realien
Albert Einstein ist bekannt dafür, sich wertschätzend gegenüber anderen Forscherinnen und Forschern zu verhalten. Wirkliche Bewunderung erfuhren aber nur wenige von dem vielleicht größten Physiker aller Zeiten. Als Einstein einen 237-seitigen Artikel über seine Relativitätstheorie aus der Feder eines unbekannten jungen Wiener Physikers las, kannte seine Begeisterung kaum Grenzen über das "reife", großartig konzipierte Werk. Seine wichtigsten Leistungen sollte der junge, aufstrebende Physiker aber auf dem Gebiet der Quantenphysik erbringen, für das er einer der wichtigsten Wegbereiter wurde. Im Februar 1925 leistete er seinen größten Beitrag und setzte damit eine Umwälzung in Gang, die die Welt für immer veränderte.
Wolfgang Pauli fiel also schon früh als Genie auf, in einer Zeit, die erhöhten Bedarf an Genies hatte. Geboren wurde er in Wien am 25. April 1900, also in dem Jahr, als der deutsche Physiker Max Planck zum ersten Mal die Hypothese formulierte, dass Energie in kleine Pakete – Quanten – unterteilt ist. Wie sich diese Erkenntnis in eine allgemeine Theorie des Mikrokosmos ummünzen ließ, wusste aber in den folgenden Jahrzehnten niemand. Die Wissenschaftsgeschichte zeigte keine Eile und gab dem kleinen Max Zeit, heranzuwachsen, bis er bereit war, die Bühne zu betreten.
Pauli profitierte als Heranwachsender vom legendären Wiener Geistesleben zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seine Mutter Berta war Journalistin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin und zählte allerlei interessante und heute bedeutende Personen zu ihrem Freundeskreis, mit denen Wolfgang und seine Schwester sich austauschten. Sein Patenonkel war der Physiker und Philosoph Ernst Mach, eine zentrale Figur des einflussreichen Philosophenzirkels Wiener Kreis.
Wolfgang Pauli liebte diesen Austausch. Der spätere Freund des Psychiaters C. G. Jung trieb sich oft bis spätnachts in der Stadt herum und versäumte am nächsten Tag Termine. Seine Karriere konnte das nicht beeinträchtigen. Für sein Studium zog es ihn direkt in eines der Zentren der sich anbahnenden Physikrevolution. In München scharte Professor Arnold Sommerfeld Talente um sich und machte sie mit den Neuigkeiten der Quantenwelt vertraut. Dort war er ein Kollege eines ehrgeizigen jungen deutschen Physikers namens Werner Heisenberg.
Das Institut von Sommerfeld galt als Kaderschmiede, doch wer wirklich etwas erreichen wollte, musste nach Kopenhagen gehen, wo Niels Bohr forschte. Heisenberg und Pauli bemühten sich beide um eine Stelle. Den Vorzug erhielt Pauli und bekam damit Gelegenheit, sich an den großen offenen Problemen zu beweisen.
Die wissenschaftliche Situation stellte sich damals so dar, dass aus der Welt des Mikrokosmos sonderbare Messdaten empfangen wurden und die klügsten Köpfe daran scheiterten, sich vorzustellen, was wirklich vor sich ging. Nachdem Planck 1900 die Quanten als Hilfskonstruktion eingeführt hatte, zeigte Einstein mit seiner für ihn nobelpreisträchtigen Arbeit zum Photoelektrischen Effekt, dass auch Licht als unterteilt in Pakete verstanden werden konnte. Das war verwirrend, weil man doch eindeutig wusste, dass Licht sich wie Wasserwellen um Ecken bewegen oder Wellenmuster bilden kann.
In dieser Tonart ging es weiter. Statt Widersprüche wie diesen aufzulösen, musste man, um Fortschritte zu erzielen, ihren Gültigkeitsbereich sogar erweitern. Es gab also Bewegung in der Grundlagenphysik, doch jeder Fortschritt war teuer erkauft und führte noch weiter weg von den vertrauten Bildern. Erst aus heutiger Perspektive lässt sich erkennen, wie hier die Konturen der späteren Quantentheorie mehr und mehr zum Vorschein kamen.
Pauli litt unter dem Dickicht an Hilfskonstruktionen und Ad-hoc-Hypothesen. Während seiner Zeit bei Bohr erforschte er den sogenannten anomalen Zeeman-Effekt, der sich bisher allen Erklärungen entzog. Dabei schienen sich Energieniveaus von Elektronen ganz plötzlich aufzuspalten, ohne dass jemand eine Erklärung dafür gehabt hätte. Pauli wusste noch nicht, dass er hier einen Effekt vor sich hatte, den seine eigene Arbeit später erhellen sollte.

Der Zeeman-Effekt trieb Pauli zur Verzweiflung, und er kehrte von seinem Forschungsaufenthalt bei Bohr ohne Ergebnis zurück. Ende 1924 schließlich, inzwischen Professor in Hamburg, wurde er auf eine Arbeit eines Briten namens Edmund Stoner aufmerksam, die der Schlüssel zu seiner größten Entdeckung werden sollte. Inzwischen hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Atom aus einem winzigen Kern bestand, um den Elektronen auf mehreren "Schalen" saßen, die in gewissem Sinn den Häuten einer Zwiebel ähnelten. Noch immer war dabei unklar, warum es überhaupt unterschiedliche Schalen gab und warum die Elektronen nicht in den Kern stürzten – laut Bohr eines der wesentlichsten offenen Probleme der Physik.
Pauli erkannte, dass es eine Regel geben musste, die nur zwei Elektronen pro Schale erlaubte. Die Elektronen mussten die Schalen also nach und nach auffüllen wie die Sitze eines Theaters. Vielleicht, so mutmaßte Pauli, durften zwei Elektronen niemals den gleichen physikalischen Zustand einnehmen. Damit es pro Schale zwei geben konnte, musste eine weitere, innere Eigenschaft des Elektrons her, die nur zwei Werte annehmen konnte. Pauli sprach von "Zweideutigkeit". Er publizierte seine Idee am 1. Februar 1925 im renommierten Fachjournal Zeitschrift für Physik. Heute kennen wir diese Regel als Pauli-Prinzip.
Es war zwar in gewisser Hinsicht nur eine weitere Ad-hoc-Behauptung, doch sie brachte plötzlich Ordnung in das Schalenmodell. Welche Eigenschaft dieser Zweideutigkeit zugrunde liegen konnte, war damals noch nicht klar. Später zeigte sich, dass es sich um eine Art inneren Drehimpuls der Elektronen handelt, den "Spin". Gegen die Existenz einer solchen Eigenschaft hatte er noch 1924 argumentiert. Der Spin macht Elektronen empfänglich für Magnetfelder und sorgt beispielsweise für den anomalen Zeeman-Effekt, der Pauli so viel Nerven gekostet hatte.
Das Pauli-Prinzip ist nicht zu verwechseln mit dem Pauli-Effekt, der vor allem unter zeitgenössischen Experimentalphysikern bekannt war. Als Experimentator war er so ungeschickt, dass die Legende umging, Paulis Anwesenheit genügte, um Messgeräte zum Versagen zu bringen. Pauli selbst brachte diesen Scherz gern an den Mann, wenn er Gelegenheit dazu hatte.
Vorbote der Revolution
Nach Paulis Publikation ging es Schlag auf Schlag. Bis zum Ende des Jahres stand die erste schlüssige Formulierung der Quantenphysik. Pauli spielte in den folgenden Jahren weiterhin eine wichtige Rolle in der verschworenen Gemeinschaft jener, die an der Ausgestaltung der neuen Physik beteiligt waren. Er hatte dabei vor allem den Ruf eines scharfzüngigen Kommentators. Seine direkte Art löste immer wieder Irritationen aus, etwa auch bei seinem früheren Studienkollegen Werner Heisenberg. "Es ist wirklich ein Saustall, dass Sie das Pöbeln nicht aufhören können", warf dieser Pauli einmal brieflich entgegen und bezeichnet ihn als "Esel".
Der Umgangston war auch sonst recht blumig, nicht nur im Streit. Sein Freund Paul Ehrenfest schrieb ihm einmal "Herr Pauli, Ihr Enzyklopädieartikel gefällt mir besser als Sie selbst!", worauf Pauli antwortete: "Das ist doch komisch, mir geht es mit Ihnen gerade umgekehrt." In der Regel war Pauli aber als Kritiker bekannt. Auch vor unverblümter Kritik an Einstein schreckte er später nicht zurück, allerdings ging es dabei um dessen gescheiterte Versuche einer umfassenden Theorie jenseits von Quantenphysik und Relativitätstheorie.
Weitere bahnbrechende Ergebnisse folgten, mit denen er Grundlagen für die moderne Teilchenphysik schuf. Das wichtigste davon ist vielleicht das Einführen eines neuen Teilchens, des Neutrinos, das Pauli selbst noch Neutron nannte. Die größeren Entdeckungen gelangen aber anderen. Das ist insofern bemerkenswert, als Pauli manchen als das größte Genie von allen in der Quantenphysik galt, ebenbürtig mit Einstein oder ihm sogar überlegen, wenn es nach seinem früheren Chef Max Born ging.
Dass er nicht der prominenteste unter den Quantenphysikern war, bekam Pauli zu spüren, als er Schutz vor den Nazis suchte. Sein Vater war ein zum Katholizismus konvertierter Jude und er musste aus Österreich fliehen. Die Schweizer Staatsbürgerschaft – er forschte an der ETH Zürich – wurde ihm aber mehrmals verwehrt, weil Pauli "dem Erfordernis der Assimilation nicht genüge".
Als er in die USA ging, hielt man die Stelle in Zürich gegen Widerstände für ihn frei, doch als er zurückkehrte, wollte man sie ihm nicht mehr geben. Das änderte sich erst, als er 1945 den Nobelpreis für Physik erhielt, nachdem viele seiner Kollegen schon zum Zug gekommen waren. Danach dauerte es bis 2022, bis mit Anton Zeilinger wieder ein Österreicher den Physiknobelpreis erhielt, wieder für Quantenphysik.
Paulis Hang zu pointierter Kritik – unter Kollegen trug er den Spitznamen "Geißel Gottes" – war wesentlich von seinem eigenen Anspruch auf Perfektion getrieben. Er konnte auch anders: Um Heisenberg auch noch eine Stelle bei Niels Bohr in Kopenhagen zu verschaffen, schrieb er diesem einst, er halte Heisenberg, "abgesehen davon, dass er persönlich auch ein sehr netter Mensch ist – für sehr bedeutend, sogar für genial", und glaube, "dass er die Wissenschaft noch einmal sehr vorwärtsbringen wird".
Pauli sollte recht behalten. Nur wenige Monate nachdem er selbst das heute nach ihm benannte Prinzip postuliert hatte, gelang Heisenberg der Durchbruch, auf den die Physik seit 25 Jahren gewartet hatte. Aus der Quantenhypothese und den um sie gescharten Hilfsmodellen wird erstmals eine richtige Theorie. Eine Theorie, die über den Umweg der Materialwissenschaften und die mit ihrer Hilfe entwickelte Elektronik die Welt bis heute stärker prägt als jede physikalische (man will sagen: wissenschaftliche) Theorie zuvor. In einem Wettstreit der Riesen in der Geschichte der Physik überragt Heisenberg seinen Freund Pauli damit ein Stück.
Als Heisenbergs komplizierte Quantenphysikformulierung anfangs auf Widerstand stieß, schien auch der kritische Pauli keine aufmunternden Worte zu haben. Doch in einer Phase größter Niedergeschlagenheit für Heisenberg war es Pauli, der mit dem neuen Ansatz das Lichtspektrum des Wasserstoffatoms berechnete und seinem Freund so zum Triumph verhalf.
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