Mittwoch, 3. September 2025

Arabischer Sklavenhandel.

2-M60-R1-1857 (2126721) J.L.Gérôme, Ägyptische Rekruten durchqueren die Wüste Gérôme, Jean Léon 'Ägyptische Rekruten durchqueren die Wüste', 1857. (Zwangsverpflichtung von sudanesischen Sklaven und Fellachen im Zuge der Reorganisation der Armee unter Muhammad Ali Pascha im 19.Jahrhundert). Öl auf Leinwand, 61,6 x 106 cm. Privatsammlung. 6867c0fd43acaa585d7ead33
aus welt.de, 10. 7. 2025       Jean Léon Gérôme Sudanesische Sklaven auf dem Weg durch die Wüste 1857      zu Realien...

Muslimische Sklavenhändler beherrschten in Afrika riesige Gebiete
Der transatlantische Sklavenexport ist zentral für die umstrittenen „Postcolonial studies“. Wie aber sah Menschenhandel aus Afrika in die andere Richtung aus: nach Osten? Bücher zum Thema werden von Anhängern der modischen Forschungsrichtung gern verrissen.
 

Nur selten sind einigermaßen junge Gebrauchtbücher derart begehrt, dass die einschlägigen Online-Anbieter dreistellige Preise dafür aufrufen. Zu diesen Ausnahmen gehört der Band „Der verschleierte Völkermord“ über die „Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika“, die deutsche Übersetzung des Essays „Le génocide voilé“, den der senegalesische Ökonom Tidiane N'Diaye 2008 vorgelegt hatte. Der Rowohlt-Verlag brachte diesen Band 2010 heraus. Das Buch ist zwar in zahlreichen deutschen Bibliotheken vorhanden, aber längst nicht mehr neu für den früheren Ladenpreis von 19,95 Euro zu kaufen; gebraucht schwanken die verlangten Preise im Juli 2025 zwischen 129,99 und 219,95 Euro.

Normalerweise würde das jeden Verlag veranlassen, eine neue Auflage herauszubringen. Nicht jedoch in diesem Fall, sodass sich Verschwörungstheorien verbreiten – etwa, der Band sei „scheichseits“ aufgekauft worden. Das ist äußerst unwahrscheinlich, denn faktisch verschwunden vom Markt ist nur die deutsche Ausgabe, nicht aber das französische Original, und die Exemplare in Bibliotheken sind ohnehin problemlos zugänglich.

Was ist also sonst der Grund? Möglicherweise das Thema. Denn der islamische Sklavenhandel ist heftig umkämpft. So lobte Ulrich Baron in WELT N'Diaye, weil er „zeigt, wie der muslimische Sklavenhandel Afrika ruinierte“. Dagegen verriss der Afrikahistoriker Andreas Eckert in der „Frankfurter Allgemeinen“ dasselbe Werk als „stereotype Schwarzweißmalerei“. Der Deutschlandfunk lobte den Band als „Jahrhundertbuch“, während die Stadtbücherei Münster in ihrem Katalog die „zwiespältige, weil grob vereinfachende Darstellung der Geschichte des arabisch-muslimischen Sklavenhandels“ kritisierte.

So diametral widersprüchliche Urteile sind beim Thema Islam und Sklaverei kein Einzelfall, wie ein anderes Beispiel zeigt: Der Althistoriker Egon Flaig schilderte 2009 in seiner „Weltgeschichte der Sklaverei“ unter anderem dasselbe Thema und rief damit ebenso wütende Reaktionen hervor wie positive Bewertungen. Der Theologe Adolf Martin Ritter nannte das Buch „obszön“ und die Historikerin Ulrike Schmieder mutmaßte, Flaig setze darauf, dass sich „Islamophobie“ wegen der „gegenwärtigen politischen Konjunkturen so gut verkauft“. Abermals Andreas Eckert nannte diesmal in der „Zeit“ Flaigs Band polemisch ein „Schwarzbuch des Islam“. Für Jürgen Zimmerer, Professor in Hamburg und vielleicht bekanntester Vorkämpfer der „Postcolonial studies“ in Deutschland, handelte sich um eine „Streitschrift über den Islam“.

Sklaven auf Sansibar, aufgenommen in den 1860er-JahrenSklaven auf Sansibar, aufgenommen in den 1860er-Jahren 

Trotzdem stand und steht der Verlag C. H. Beck zu seinem Autor: Anders als N'Diayes Buch wird Flaigs „Weltgeschichte der Sklaverei“ lieferbar gehalten und liegt inzwischen in dritter, erweiterter Auflage vor.

Offensichtlich ist das Thema Sklaverei im Islam brisant. Also lohnt es sich, abseits aller Polemik die historische Realität festzustellen – anhand einschlägiger und anerkannter Standardwerke. Zu den wichtigsten gehört Michael Zeuskes 1425 Seiten starkes „Handbuch Geschichte der Sklaverei“, das erstmals 2013 erschien – und dem nicht einmal Andreas Eckert Lob versagen konnte.

Zeuske betont, dass es eine „einheitliche islamische Sklaverei“ nicht gegeben habe. Zu widersprüchlich seien die grundlegenden Texte, ob nun der Koran oder die Hadith, Sammlungen (angeblicher) Aussprüche Mohammeds. Hinzu kommen die islamische Jurisprudenz einschließlich der Scharia sowie Regelungen der osmanischen Sultane und anderer islamischer Herrscher.

In jedem Fall, so der Kölner Lateinamerikanist weiter, sei das Phänomen Sklaverei im Islam „quantitativ gigantisch“ gewesen: „In den Entstehungsgebieten des Korans gab es viele Sklaven, stellte Sklaverei eine traditionelle und legitime Institution dar.“

Ein anderes international anerkanntes Standardwerk ist die „Encyclopedia of Islam New Edition“. Begonnen 1954 und vollendet 2005, bieten ihre 13 mächtigen Bände das gesammelte Wissen der internationalen Islamwissenschaft. Gleich im ersten Band findet sich der Eintrag zum Stichwort „’Abd“, der im Arabischen übliche Begriff für „Sklave“, verfasst von dem französischen Orientalisten Robert Brunschvig (1901–1990).

Auf gleich 15 eng gesetzten Seiten (umgerechnet etwa 40 Normseiten in Deutsch) bündelte er das wesentliche Wissen über Sklaverei in muslimischen Gesellschaften. Die seit 2008 erscheinende Neuausgabe, nun nach englischen statt arabischen Begriffen geordnet, ist noch nicht bei „Slave“ angelangt – man darf also gespannt sein, ob sich dort etwas nennenswert verschiebt.

Mahnmal für versklavte Menschen am Ort des früheren Sklavenmarktes auf Sansibar Mahnmal für versklavte Menschen am Ort des früheren Sklavenmarktes auf Sansibar 

Zunächst stellte Brunschvig fest: „Sklaverei wurde im vorislamischen Arabien wie auch im übrigen Teil der antiken und frühmittelalterlichen Welt praktiziert.“ Der Islam habe wie seine beiden monotheistischen Vorläufer Judentum und Christentum nie versucht, Versklavung an sich zu beenden, sich aber bemüht, „ihre rechtlichen und moralischen Aspekte abzuschwächen“. Der Koran betrachte „diese Diskriminierung zwischen Menschen“ als vereinbar mit der göttlich festgelegten Ordnung der Dinge. Zugleich mache er die „Befreiung von Sklaven zu einer verdienstvollen Tat, zu einem Werk der Nächstenliebe“.

Brunschvig hielt den muslimischen Sklavenhandel noch für unumstritten – es gab Anfang der 1950er-Jahre noch keine „Postcolonial studies“, für die in Deutschland heute beispielsweise Professoren wie Eckert oder Zimmerer stehen. Daher behandelte der Franzose dieses Thema seinerzeit nur kursorisch. So ist in seinem Beitrag zum Lemma „’Abd“ einmal die Rede von dem „riesigen Gebiet, in dem die muslimischen Sklavenhändler herrschten“, nämlich vom Atlantik bis zum. Tschadsee. An anderer Stelle, als es um Äthiopien geht, den letzten von einer einheimischen christlichen Dynastie beherrschten Teil Afrikas, schrieb er: „In den Provinzen gingen die Islamisierung und die Intensivierung des Sklavenhandels oft Hand in Hand.“

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Gemessen an anerkannten Standardwerken der Sklaverei-Forschung wie der Islamwissenschaft besteht also keine Unklarheit: Sklaverei existierte im Islam und war über mehr als tausend Jahre ein wesentlicher Faktor muslimischer Gesellschaften.

Aber wie wesentlich? Da beginnt die Unklarheit. Zum Umfang des muslimischen Sklavenhandels gibt es nämlich nur vage Schätzungen. Während einigermaßen gesichert ist, dass vom 16. bis frühen 19. Jahrhundert elf bis zwölf Millionen Afrikaner mit Sklavenschiffen über den Atlantik geschafft wurden (allerdings 97 Prozent davon nach Brasilien oder in die Karibik und „nur“ drei Prozent in das Gebiet, das die USA werden sollten), schwanken die Angaben für den unfreiwilligen Menschen-„Export“ Richtung Osten: Mindestens acht und möglicherweise 17 Millionen (so beispielsweise Tidiane N'Diaye), vielleicht aber auch wesentlich mehr Afrikaner wurden zwischen dem 8. und dem 20. Jahrhundert von islamischen Herrschern und ihren Handlangern als Sklaven verschleppt.

Hinzu kommen mindestens 1,5 Millionen West- und Südeuropäer sowie mindestens vier Millionen Slawen, ferner etwa zwei Millionen Einwohner der Philippinen. Gewissheit über die Gesamtzahl der in islamischen Gesellschaften versklavten Menschen lässt sich nicht gewinnen, denn es gibt nicht nur keine fragmentarischen, sondern gar keine verlässlichen Aufzeichnungen.

Was also löst bei Verfechtern der „Postcolonial studies“ die extreme Gegenwehr von Büchern wie denen von Flaig oder N'Diaye aus? Vermutlich ist es die Zuspitzung, derer sich beide Autoren bedienen.

In seiner „Weltgeschichte der Sklaverei“ schreibt Flaig beispielsweise: „Wo sind die Denkmale für den Export in die islamische Welt? Für die neun Millionen, welche durch die Sahara verschleppt wurden und die mindestens acht Millionen, die über den Indischen Ozean und das Rote Meer gingen? Dieses Thema ist tabuisiert. Doch indem man jene 17 Millionen Versklavte leugnet, spricht man ihnen den Status ab, ebenso Opfer zu sein wie ihre zwölf Millionen Leidensgenossen. Warum? Sind Sie Menschen von minderem Wert?“

Tidiane N'Diaye wiederum urteilt, „dass der von den arabomuslimischen Räubern betriebene Sklavenhandel weitaus verheerender für Schwarzafrika war als der transatlantische“. Zugleich schont er die einheimischen Helfershelfer nicht: „Wahr ist, dass kein Volk tugendhafter oder verbrecherischer ist als ein anderes, und dass zumeist schwarze Treiber den arabischen Menschenjägern zur Hand gingen und den Sklavenhändlern schwarze Gefangene lieferten.“ Für den moralischen Hochmut der „Postcolonial studies“ ist derlei Klarheit existenziell bedrohlich.

 

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