Dienstag, 30. September 2025

Schimpansen sprechen und tanzen.

 
aus derStandard.at, 10. 5. 2025         Schimpansen im Taï-Nationalpark bei der Vokalisation         zu Jochen Ebmeiers Realien

Wurzeln der Einzigartigkeit
Sind Sprache und Musik älter als die Menschheit?
Neue Studien an freilebenden Schimpansen liefern überraschende Erkenntnisse zu komplexer Kommunikation und Rhythmus, die nicht dem Menschen vorbehalten sind
 
Wie besonders ist der Mensch wirklich? Dieser Frage nähert sich die Verhaltensforschung auch durch die Beobachtung unseren nächsten lebenden Verwandten, den Schimpansen. Zwei neue Studien zeigen Anzeichen dafür, dass sie uns in zwei wesentlichen kommunikativen Aspekten ähnlicher sind als bisher gedacht, nämlich im Bereich der Sprache und der Musik.

Menschliche Sprachen gelten als so ausgefeilt und facettenreich, dass man sich nur schwer vorstellen kann, Affen wären zu ähnlicher Komplexität fähig – ganz abgesehen von anderen Spezies. Doch die Wissenschaft weiß noch erstaunlich wenig über Tierkommunikation, und übersetzen wird man sie womöglich nie können, auch wenn manche Forschungsteams mittels Künstlicher Intelligenz genau daran arbeiten.

Kreativ kombiniert

Ein internationales Forschungsteam um Cédric Girard-Buttoz und Catherine Crockford vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig konnte nun zeigen, dass Schimpansen ihre Rufe kreativ zu neuen Bedeutungen kombinieren können. Daraus schließen die Fachleute, dass womöglich auch unsere gemeinsamen Vorfahren vor mehr als fünf Millionen Jahren dazu fähig waren.

Das Team zeichnete für seine Analysen tausende Vokalisationen von drei Gruppen freilebender Schimpansen im Taï-Nationalpark (Côte d'Ivoire) auf. Das ist über mehrere Jahre nötig, um herauszufinden, wie breit ihre Kommunikationsfähigkeiten aufgestellt sind. Sie konzentrierten sich auf 16 verschiedene Möglichkeiten, wie Schimpansen einzelne Rufe in Paaren zusammensetzen können. Dabei verändert sich auch die Bedeutung der Aussagen.

Um einen Einblick in die Möglichkeiten ihrer Kommunikation zu geben, liefert die Aussendung zur Studie ein paar Beispiele für verschiedene Möglichkeiten der Zusammensetzungen:

  • bedeutungsergänzende Kombinationen, z. B.: A = Fressen, B = Ausruhen, AB = Fressen + Ausruhen
  • bedeutungspräzisierende Kombinationen, z. B.: A = Fressen oder Fortbewegung, B = Aggression, AB = Fortbewegung
  • Kombinationen, die völlig neue Bedeutungen haben, z. B.: A = Ausruhen, B = Zugehörigkeit, AB = Nestbau

"Unsere Ergebnisse deuten auf ein hochgradig generatives vokales Kommunikationssystem hin, das im Tierreich beispiellos ist", sagt Erstautor Girard-Buttoz. So habe das Team andere Ergebnisse über Bonobos bestätigt, die Hinweise auf komplexe Kombinationsfähigkeiten bei den Urahnen von Mensch, Schimpanse und Bonobo lieferten.

Nicht an Emotionalität gebunden

Das hat dem Forscher zufolge weitreichende Folgen: "Damit ändert sich die Sichtweise des letzten Jahrhunderts, die die Kommunikation der Menschenaffen als statisch und an emotionale Zustände gebunden betrachtete und deshalb davon ausging, dass sie uns nichts über die Evolution der Sprache sagen könne." Vielmehr könne man heute ein klareres Bild davon zeichnen, wie die meisten Ruftypen im Repertoire der Menschenaffen durch die Kombination andere Bedeutungen annehmen können.

Daraus lassen sich wiederum verschiedene Schlüsse ziehen. Die Komplexität dieses Systems kann laut dem Erstautoren darauf hindeuten, dass die Kommunikation der Menschenaffen tatsächlich einzigartig ist. Dann hätte diese besondere Art, sich etwas mitzuteilen, ihren Ursprung bei gemeinsamen Vorfahren jener Primaten, die noch heute leben. Man könne aus den Ergebnissen aber auch ableiten, "dass wir die Komplexität der Kommunikation auch bei anderen Tieren unterschätzt haben, was weitere Untersuchungen erforderlich macht", sagt Girard-Buttoz.

Taktgefühl

In einer zweiten Studie widmete sich ein Team um Verhaltensbiologin Vesta Eleuteri von der Universität Wien dem Rhythmusgefühl von Schimpansen. Sie beobachtete, dass Schimpansen mit Händen und Füßen auf brettförmige Wurzeln trommeln – dabei können sie sogar den Takt wie menschliche Schlagzeuger halten. Zudem fiel ein interessanter regionaler Unterschied auf: Im Westen Afrikas klopften die Menschenaffen relativ einfache Rhythmen mit gleichen Abständen in flottem Beat, ihre Artgenossen im Osten mögen es lieber langsamer und wechseln kurze und lange Intervalle ab.

Der Zweck der Übung besteht darin, Artgenossen darüber zu informieren, wo sie sich befinden und was sie tun, erklärt Eleuteri – "eine Art 'Check-in' im Regenwald". Das ist so laut, dass andere Schimpansen sie selbst in einer Entfernung von einem Kilometer hören (im eingebetteten Video wurde die Lautstärke des Trommelns und Schreiens aus Gehörschutzgründen abgeschwächt).

Für die Studie, die in der Fachzeitschrift Current Biology erschien, sammelte Eleuteri mit einem internationalen Forschungsteam 371 Aufnahmen von Schimpansentrommel-Gigs aus verschiedensten Regenwäldern und Savannen Afrikas und wertete sie aus. In den ersten beiden Videofragmenten sind erwachsene Männchen aus westafrikanischen Populationen zu sehen und zu hören, genauer aus Guinea und von der Côte d'Ivoire. Sie trommeln ähnlich wie Menschen oft isochron: "Bei isochronen Rhythmen treten die Töne in genau gleichen Zeitabständen nacheinander auf: wie das Ticken einer Uhr oder die Kick-Drum in der elektronischen Musik", sagt Eleuteri. Im Vergleich zu ihrem gleichförmigen Rhythmus ist das Muster der ostafrikanischen Schimpansen aus Uganda langsamer und sie wechseln kurze und lange Intervalle ab.

Zuvor wurde bereits festgestellt, dass der Stil der Schimpansen sich individuell unterscheiden kann. "Mithilfe dieses einzigartig großen Datensatzes gelang der Nachweis: Schimpansen trommeln rhythmisch", heißt es in einer Aussendung. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Fähigkeit, perkussive, musikähnliche Rhythmen zu schlagen, schon in einem gemeinsamen Vorfahren lange vor dem Entstehen der Menschen existierte", sagt Co-Autorin Cat Hobaiter von der Universität St. Andrews in Schottland. Das lässt die Folgerung zu, dass wir mit perkussiven, musikähnlichen Rhythmen einen entscheidenden Baustein für Musik mit Schimpansen gemeinsam haben.

Die Studien tragen wie Puzzlestücke dazu bei, die Ähnlichkeiten zwischen unseren Arten besser zu verstehen – und uns der Antwort auf die Frage zu nähern, wie alt Musik und Sprache sind.  (sic,)

 

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