aus derStandard.at, 15. September 2025 zu Geschmackssachen
Der Alltag und die Weltsicht der Menschen vergangener Zeiten erschließen sich dem Blick unserer Zeit durch eine Vielzahl von Hinterlassenschaften – von Gebrauchsgegenständen wie Werkzeugen bis hin zu Schriftzeugnissen. Zu den vielfältigsten Quellen aus der Antike zählen Objekte der griechischen Vasenmalerei. Bildliche Darstellungen auf vergänglichen Materialien wie Pergament und Holz haben in den allermeisten Fällen die Zeiten nicht überdauert. Anders verhält sich diese bei der Keramik, und so bieten die Darstellungen auf diesem Trägermaterial ein weit offenes Fenster in Jahrtausende zurückliegende Gedankenwelten.
Die Handwerker verewigten nicht nur Szenen aus der Mythologie und der Welt der Götter, sondern auch Bilder aus dem Alltag, von Liebeswerbungen und Bestattungen, von Kriegen und Athleten und sogar von der eigenen Arbeit in den Töpfereien.
Eine neue Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien (KHM) lenkt nun den Blick auf leicht zu übersehende Details der griechischen Vasen: Unter dem Titel "Zart geritzt, flott gepinselt, gut versteckt" werden die Schätze der Sammlung mit einem Fokus auf ihre Inschriften präsentiert. Es handelt sich um die siebente Auflage der Ausstellungsreihe "Vitrine Extra", bei der antike Exponate unter alternativen Gesichtspunkten neu ins Licht gerückt werden.

Ihren schöpferischen Höhepunkt erlebte die griechische Keramikkunst in Form der schwarzfigurigen Vasenmalerei ab dem siebenten Jahrhundert v. u. Z. und der ab etwa 530 folgenden rotfigurigen Vasenmalerei, bei der die bisherige Farbgebung umgekehrt wurde: Während zuvor die Figuren in Schwarz dargestellt wurden, so wurde nunmehr der Hintergrund geschwärzt, die ausgesparten Figuren erhielten mit feinen Pinselstrichen eine bisher kaum erreichte Lebendigkeit eingehaucht. Eine Besonderheit stellen einige seltene Stücke dar, die beide Stile in sich vereinen, sogenannte Bilinguen. Für die Schwärzung wurde die Malerei aus Tonschlicker vor dem Brennen aufgetragen. Diese wurde sodann in einem komplexen mehrstufigen Brennverfahren zu einer Glasur verbacken, während sich die nicht mit dem Schlicker bemalte Oberfläche des Werkstücks durch Sauerstoffzufuhr rot färbte.
Das wichtigste Zentrum der Keramikproduktion befand sich in und um Athen. Von hier wurden Vasen als begehrte Handelsware in weite Teile des Mittelmeerraums und bis ans Schwarze Meer exportiert. An manchen Orten, etwa in Süditalien, entstand in den griechischen Kolonien eine eigene Produktion mit lokalen stilistischen Eigenheiten.
Die in der Ausstellung behandelten Inschriften lassen sich thematisch in verschiedene Gruppen gliedern. Einige wurden gemeinsam mit den Motiven vor dem Brennen aufgemalt und gehören zum künstlerischen Gesamtkonzept, andere wiederum nachträglich eingeritzt und erzählen etwas von der Geschichte des Objekts. Und dann gibt es natürlich auch noch jene neuzeitlichen Beschriftungen, die manches über die Provenienz verraten: Inventarnummern und Etiketten.
Gute Augen sind für die Ausstellungsbesucher kein Nachteil. Schon die aufgemalten Inschriften sind leicht zu übersehen und schwer zu entziffern, die Ritzungen hingegen sind teilweise nur im Streiflicht zu erahnen. Um sie sichtbar zu machen, stehen bei der zentralen Vitrine Taschenlampen zur Verfügung. Hier sind vier Vasen auf einen Polster gebettet, um ihre Unterseiten zugänglich zu machen. Dort finden sich eingeritzte Vermerke über Gefäßtypen, Stückzahlen und Angaben der Preise. Solche Vasen wurden meist außerhalb Griechenlands gefunden, die Vermutung ist daher naheliegend, dass es sich um Verkaufsvermerke der Händler handelt, die die Ware damit kennzeichneten.
Die weitaus häufigeren geritzten Marken aus einzelnen Zeichen lassen sich jedoch oft nicht mehr eindeutig interpretieren, erzählt die Kuratorin Karoline Zhuber-Okrog. Es kann sich bei den Buchstaben oder auch Bildzeichen um Handelsinformationen aber auch um Markierungen der Töpfer oder Besitzer handeln. Interessanterweise deuten gewisse Merkmale der Inschriften darauf hin, dass sie in Athen angebracht wurden, entsprechende Funde aus Attika fehlen jedoch fast völlig.
Im Saal verteilte Stelen mit Informationen führen die Besucher zu Ausstellungsobjekten an sieben weiteren Stationen. Hier erfährt man zum Beispiel, dass die Inschriften nicht nur in einem griechischen Alphabet, sondern in einem ganzen Bündel an verschiedenen verwandten lokalen Zeichensätzen zu entziffern sind.
Zu den aufgemalten Inschriften gehören insbesondere die Namen der Töpfer, die oft die Werkstattbesitzer waren, und ihrer Maler. Während rund hundert verschiedene Namen von Töpfern überliefert sind, kennt die Forschung nur etwa vierzig Maler. Anhand stilistischer Betrachtungen können freilich viele weitere unterschiedlicher Künstler ausgemacht werden, die mit Notnamen bezeichnet werden.
Mit dem Namen gekennzeichnet wurden nur vereinzelt Stücke. Der Maler ergänzte seinen Namen üblicherweise mit dem Zusatz "égrapsen" ("hat gemalt"), während er den Namen des Töpfers mit der Ergänzung "epoíesen" ("hat gemacht") versah. Möglicherweise lässt sich daraus ablesen, dass die Schöpfer besonders stolz auf ein einzelnes Werk waren. Andererseits war der Herstellername in einigen Fällen sicher auch ein verkaufsförderndes Markenlogo.
Andere Inschriften beziehen sich auf die Darstellungen oder stellen wie die Gruppe der Lieblings- oder kalós-Inschriften wohl einen Bezug zu der paiderastía her, der Erziehung von Adoleszenten durch ältere Männer. Die Formel "ho pais kalós" bedeutet "der Knabe ist schön". Sehr selten ist hingegen die weibliche Form "kalé" überliefert.
Die wenigsten Vasen weisen überhaupt eine Beschriftung auf. Rätselhaft bleiben aber jene Stücke, die eine Inschrift tragen, die keinen Sinn ergibt. In manchen Fällen sind Buchstabenabfolgen aufgemalt, die keine Bedeutung haben. Auf anderen Stücken sind lediglich Punkte, wo eine Inschrift zu erwarten wäre. Interpretieren ließe sich so etwas durch lautmalerisch zu verstehende Inschriften oder ein rein dekoratives Element. Vielleicht waren manche Maler auch des Schreibens nicht kundig. So müssen manche Botschaften nach mehr als zweitausend Jahren für uns unentschlüsselt bleiben.
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