Dienstag, 23. September 2025

Selbst unsere Täuschungen machen wir selber.

Scheinkonturen               
aus scinexx.de, 17. September 2025      In diesem Bild erkennen wir zwischen den weißen "Pacmans" ein schwarzes Dreieck und ein schwarzes Quadrat. Denn unser Gehirn ergänzt die fehlenden Kanten automatisch.          zu Jochen Ebmeiers Realien
Neurobiologie
Ursache optischer Täuschungen aufgedeckt
Wie spezielle Hirnzellen und eine Rückkopplung optische Illusionen erzeugen
 
Reine Illusion: Bei dieser optischen Täuschung sehen wir Formen, die in Wirklichkeit nicht existieren – ein schwarzes Dreieck und Viereck. Aber warum? Schuld daran ist offenbar eine spezielle Zellgruppe in unserem Gehirn, wie nun eine Studie enthüllt. Diese IC-Encoder-Neuronen sorgen dafür, dass unser primäres Sehzentrum die falschen Reize erzeugt. Der Befehl kommt jedoch von oben – von den übergeordneten Zentren unserer Wahrnehmung. Demnach kehrt sich die normale Abfolge der Reizverarbeitung bei einer optischen Täuschung um.
 
Unsere visuelle Wahrnehmung ist keine Kamera – sie zeigt uns kein getreues Abbild der Realität. Stattdessen entscheidet ein komplexes Zusammenspiel von Sinnesreizen, Filtern und nachträglichen Verarbeitungsschritten, was wir sehen. Dies hilft uns dabei, halbverdeckte Objekte zu erkennen oder Lücken in unserem Sehfeld zu ergänzen. Gleichzeitig erzeugt unser Gehirn dadurch auch optische Täuschungen und Halluzinationen: Wir sehen Dinge, die nicht da sind. 

Ein klassisches Beispiel für eine optische Täuschung sind Scheinkonturen wie beim Kanizsa-Dreieck: Abgebildet sind nur drei Pacman-ähnliche weiße Formen auf schwarzem Grund. Doch wir sehen zwischen ihnen ein schwarzes Dreieck. Unser Gehirn ergänzt diese geometrische Form von sich aus. Aber warum?

optische Illusionen
Im Experiment sahen die Mäuse diese Bilder: Oben entsteht ein zentraler schwarzer Balken als Scheinkontur, unten ist der Balken real, weil von einer weißen Linie eingerahmt.

Spezielle Neuronen als „Täter“

Eine Antwort darauf haben nun Hyeyoung Shin von der University of California in Berkeley und sein Team gefunden. Für ihre Studie haben sie live mitverfolgt, welche Prozesse im Gehirn von Mäusen bei einer optischen Täuschung ablaufen. Dafür haben die Forschenden die Hirnzellen der Tiere mithilfe der sogenannten Optogenetik so manipuliert, dass sie beim aktiven Feuern aufleuchten. Dann zeigten sie den Mäusen Abbildungen mit oder ohne Scheinkonturen – diese Illusionen funktionieren auch bei den Nagern.

Die Experimente enthüllten: Immer dann, wenn die Mäuse eine optische Täuschung sahen, leuchtete in ihrer Sehrinde eine spezielle Gruppe von Hirnzellen auf. Diese „IC-Encoder“ getauften Neuronen blieben hingegen inaktiv, wenn die Maus echte Konturen sah. „Dies legt nahe, dass diese IC-Encoder die Illusion der Scheinkontur hervorrufen“, erklären Shin und seine Kollegen. Diese Hirnzellen im primären Sehzentrum sorgen demnach dafür, dass unser Gehirn wahrgenommene Muster von selbst ergänzt – und so die Scheinkonturen erzeugt.
 
Urheber auch von Halluzinationen

„Diese Musterergänzung im primären Sehzentrum stellt offenbar sicher, dass nur die visuellen Signale selektiv verstärkt und weitergeleitet werden, die bestimmten Erwartungen entsprechen“, erklären die Forschenden. Ein weiteres Experiment enthüllte, dass die neu entdeckten IC-Encoder-Neuronen sogar echte Halluzinationen erzeugen können – Seheindrücke, die ganz ohne visuelle Reize entstehen.

Dies zeigte sich, als Shin und sein Team die IC-Encoder-Zellen ihrer Mäuse künstlich stimulierten: Die angeregten IC-Encoder lösten daraufhin eine Reaktion auch in anderen Neuronen des primären Sehzentrums aus. Dieses Aktivitätsmuster entsprach dem, was beim normalen Anblick der optischen Täuschungen im Mäusegehirn passierte. Die IC-Encoder-Neuronen reagieren demnach nicht nur auf optische Illusionen – sie bringen auch ihre Nachbarn dazu, der Täuschung zu erliegen.

Der Befehl kommt von oben

Doch das ist noch nicht alles: Wie Shin und sein Team herausfanden, werden die IC-Encoder-Neuronen „von oben“ gesteuert – entgegen der sonst üblichen Richtung der Reizverarbeitung. Denn diese speziellen Hirnzellen reagieren auf Signale aus den übergeordneten Hirnzentren. „Sie erhalten Top-Down-Inputs von diesen höheren Ebenen“, erklärt Shin. „Die Illusion entsteht zuerst in diesen höheren Verarbeitungszentren und wird dann zurück in den primäre Sehrinde geschickt.“

Die Wissenschaftler vergleichen dies mit einem Angestellten, der Anweisungen von seinem Chef bekommt und diese dann an seine Kollegen weitergibt: Unser Gehirn interpretiert die weiße Fläche im Kanizsa-Dreieck als Dreieck und gibt dies an die IC-Encoder-Zellen in der unteren Ebenen des Sehzentrums weiter. Diese sorgen dann dafür, dass die eintreffenden Sehreize entsprechend verarbeitet werden.

Grundlegender Mechanismus unserer Wahrnehmung

Diese Erkenntnisse bestätigen damit gängige Theorien, nach denen optische Illusionen und Halluzinationen von oben nach unten funktionieren: Unsere Vorerfahrungen und Erwartungen prägen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen – und können reale Seheindrücke grundlegend beeinflussen und verändern. Dies gilt nicht nur für Scheinkonturen und andere optische Täuschungen:

„Wir gehen davon aus, dass der Mechanismus hinter der Scheinkontur-Illusion auch allgemein bei unserer aktiven Wahrnehmung der äußeren Welt zum Tragen kommt“, schreiben Shin und seine Kollegen. „Denn die Systeme unserer Sinneswahrnehmung sind ständig mit unvollständiger oder uneindeutiger Information konfrontiert. In diesen Situationen hängt die erfolgreiche Wahrnehmung von der Interpretation ab.“ (Nature Neuroscience, 2025; doi: 10.1038/s41593-025-02055-5)

Quelle: Allen Institut - 17. September 2025 - von Nadja Podbregar

 

Nota. - Nein, es ist nicht die Tücke des Objekts, die uns Dinge wahrnehmen lässt, die wir gar nicht sehen konnten, sondern wiedermal eine trickreiche Beschaffenheit des eignen Gehirns. Sich ihm eingeprägt haben unter Bedingungen, bei denen es einen Überlebensvorteil war, sich etwas Unvollständiges sinnvoll zu ergänzen. Sinn-voll, das ist der springende Punkt: so, dass man mit ihm "umgehen" kann, wie man es eingeübt hat; als ein Ganzes erkennt, wo die optische Erfassung mangelhaft war. Schaden wird es selten, denn Feinheiten kann man nachträglich korrigieren, ohne dass etwas verloren geht. 

Das ist kein Geniestreich der Evolution, sondern quasi selbstverständlich, wenn man den Organismus apriori als tätig auffasst.

Man kanns aber auch schlichter ausdrücken: Kleinigkeiten darf man übersehehn. Aber das geht nicht, indem man etwas wegnimmt, sondern indem man etwas hinzufügt.
JE 

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