Donnerstag, 4. September 2025

Die slawische Besiedlung Ostdeutschlands.

 slawische Burg in Lübbenau, rek.;     zu Jochen Ebmeiers Realien
aus Die Presse, Wien, 3. 9. 2025 

Slawische Migration im Mittelalter veränderte Mittel- und Osteuropa
Genetische Analysen weisen laut ÖAW-Historiker Walter Pohl auf umfangreiche Bevölke-rungsverschiebung im Frühmittelalter hin. Die Slawen sieht er als „Grassroots-Bewegung“.

Der deutliche Wandel der materiellen Kultur und Lebensweise in Mittel- und Ost-europa im Frühmittelalter ist auf die großflächige Migration von Einwanderern slawischer Abstammung zurückzuführen und nicht bloß auf eine Änderung des Lebensstils der Einwohnerinnen und Einwohner. Dadurch verschob sich auch der Genpool teilweise massiv, hat ein internationales Forschungsteam rund um Mittelal-terexperte Walter Pohl herausgefunden.

Keine großen Kriegszüge, materiell weitgehend anspruchslos und pragmatisch: Die im 6. Jahrhundert beginnende Wanderbewegung und erfolgreiche Ausbreitung der frühen Slawen in Zentral- und Osteuropa folgte nicht dem Muster einer systema-tischen Expansion mit durchziehenden Armeen und starren Hierarchien. Vielmehr hätten sich Familien und Gemeinschaften in Bewegung gesetzt und integriert, heißt es in der im Rahmen des Großprojekts „HistoGenes“ (die „Presse“ berichtet) im Fachmagazin Nature publizierten Studie.

Erstaunliche Bevölkerungsverschiebung

„Es hat eine umfangreiche Bevölkerungsverschiebung gegeben. Germanische Völker sind aus Regionen nördlich der Donau und der Karpaten vielfach ins Römische Reich gezogen, möglicherweise auch wegen Verschlechterungen des Klimas und Pest-Epidemien. Das war ein Pull-Faktor für die Slawen, die sich dort ungehindert ausbreiten und integrieren konnten“, erklärte der an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Uni Wien tätige Historiker.

Als „Gegenmodell zum straff durchorganisierten Römischen Reich“ habe es bei den frühen Slawen keine übergreifende Organisation gegeben, sondern kleine, weitgehend autonome Gemeinschaften und Zusammenschlüsse. „Es war nicht, wie man sich eine Völkerwanderung vorstellt, bei der man in andere Länder zieht, erobert und sich dann niederlässt. Vielmehr war das eine langsame Ausbreitung kleinerer Gruppen, die über einen längeren Zeitraum hinweg angehalten hat“, so Pohl, der von einer „Grassroots-Bewegung“ spricht.

Großteil des lokalen Genpools ersetzt

Wie die genetischen Analysen mittelalterlicher menschlicher Überreste von mehr als 550 Individuen nun zeigen, wurden durch die großflächigen Bevölkerungsbewegun-gen aus Osteuropa während des 6. bis 8. Jahrhunderts mehr als 80 Prozent des lo-kalen Genpools in Ostdeutschland und Polen ersetzt. Allerdings gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Während der genetische Wandel nördlich der Karpaten nahezu vollständig war, kam es in Regionen wie dem Balkan eher zur Vermischung von Einwanderern und lokalen Gemeinschaften.

Auch in Ostösterreich würden sich ab dem 8. Jahrhundert verbreitet Spuren der Zuwanderer finden. Allerdings seien die slawischen Gräberfelder, die es hierzulande seit dem 8. und 9. Jahrhundert gibt, nicht Teil der Studie, ihre genetische Untersuchung läuft noch. „Das heißt, was genau in Österreich passiert ist, ob da mehr oder weniger Vermischung mit der Vorbevölkerung stattgefunden hat, das können wir erst in einer weiteren Publikation klären“, sagte Pohl.

Pragmatischer Lebensstil als Erfolgsfaktor

Letztendlich sei die Ausbreitung slawischer Gruppen kein einheitlicher Prozess gewesen, sondern eine dynamische Transformation, abhängig von lokalen Kontexten und Geschichten. Als Erfolgsfaktor sieht Pohl einen „pragmatischen, egalitären Lebensstil“. An vielen Orten hätten die Slawen eine glaubwürdige Alternative zu den um sie herum zerfallenden oder entstehenden Reichen geboten, in denen die bäuerliche Bevölkerung mit Abgaben belastet war. So konnten sich Slawen über viele Länder ausbreiten, während die Königreiche der Goten, Vandalen oder Langobarden bald wieder verschwanden.

Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gelang es auch, die Herkunft slawischer Bevölkerungen zu rekonstruieren. „Überall, wo ab dem 8. Jahrhundert Slawen bezeugt sind, finden sich ähnliche genetische Spuren. Sie deuten auf eine Herkunft der Zuwanderer aus einem Raum etwa zwischen Baltikum und Westukraine hin“, wird Erstautor Joscha Gretzinger vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie zitiert.

Slawen hinterließen wenig Spuren

Erschwert wird die Forschung in diesem Bereich dadurch, dass die frühen Slawen ihre Toten verbrannt und kaum Spuren hinterlassen haben. Sie nutzten einfache handgeformte Keramik, hatten keine mit kostbaren Gegenständen protzende Elite, keine sichtbaren Symbole von ethnischer Zugehörigkeit und kannten keine Schrift, so Pohl, der das vom Europäischen Forschungsrat (ERC) geförderte Projekt „HistoGenes“ koordiniert. Ziel ist, historische Abläufe und die Lebensverhältnisse zwischen 400 und 900 unserer Zeitrechnung in Ostmitteleuropa neu zu bewerten. (APA)

 
Nota. - Von der unauffälligen und schlichten Besiedlung durch die Slawen zeugt, dass selbst ihre Festungen nur aus Sand und Holz aufgeschüttet waren und, wie der obige Vorläufer von Schloss Lübbenau, erst kürzlich rekonstruiert werden konnten. Es bleibt im übrigen unklar, wie groß die verbliebenen germanischen Siedlungsreste waren und wie bedeutend daher die ethnische Vermischung.
JE 

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