Montag, 8. September 2025

Natur-Philosophen: Quanteninterpretationen.

Quanten-Interpreten: Niels Bohr, Anton Zeilinger, Hugh Everett III, David Deutsch, Tim Maudlin, Christopher Fuchs Niels Bohr, Anton Zeilinger,                                                                                                      Hugh Everett III,  David Deutsch, Tim Maudlin, Christopher Fuchs
aus FAZ.NET, 5. 9. 2025                              
Naturphilosophie                                                                                              zu Jochen Ebmeiers Realien
Quanten-Interpreten
Bei der Frage, was Quantenphysik mit der Wirklichkeit zu tun hat, sind sich Physiker noto-risch uneins. Hier eine Auswahl der populärsten Positionen.

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Am 22. Mai verschickte das britische Wissenschaftsmagazin Nature eine Email an 15.000 Wissenschaftler, deren neuere Veröffentlichungen sich mit quantenphysika-lischen Fragen beschäftigen oder die sich für eine Konferenz angemeldet hatten, welche im Juni auf der Insel Helgoland stattfand - aus Anlass des 100. Jahres seit der Formulierung der Quantenmechanik. Das Schreiben war eine Umfrage, die ein Bild davon geben sollte, wie die heute aktiven Experten den Quantenformalismus interpretieren, was sie also darüber denken, wie er mit der Wirklichkeit zusammen-hängt.

Die Meinungen darüber gingen schon in der Frühzeit der Quantenforschung aus-einander und heute ist das Spektrum so breit wie vielleicht noch nie zuvor. Im Folgenden sind die fünf gängigsten Interpretationen - oder Interpretationstypen - in der Reihenfolge ihrer Popularität laut der aktuellen Nature-Umfrage vorgestellt, zudem eine sechste, die in der Umfrage nicht separat aufgelistet war, was auf Kritik stieß. Auch in anderer Hinsicht äußerten sich auf Helgoland einige Forscher unzufrieden darüber, wie die Nature-Redaktion manche Fragen gestellt oder die Interpretationen aufgeteilt hatte. Offenbar ist nicht nur die Quantenmechanik eine komplizierte Sache, sondern bereits die Typologie ihrer Interpretationen.

Die Kopenhagener Interpretation

„Es ist falsch, zu denken, es wäre Aufgabe der Physik, herauszufinden, wie die Natur beschaffen ist. Ihre Aufgabe ist vielmehr, herauszufinden, was wir über die Natur sagen können.“ Dieser Satz wird dem dänischen Physiker Niels Bohr zugeschrieben. Tatsächlich bringt er die Grundhaltung dessen auf den Punkt, was nach Bohrs Wirkungsstätte die Kopenhagener Interpretation der Quantentheorie genannt wird.

Ursprünglich stand „Kopenhagen“ für die Position Bohrs und einiger jüngerer Kollegen, insbesondere Werner Heisenbergs. Diese sahen eine strikte Trennung – den „Heisenberg-Schnitt“ – zwischen dem zu messenden Quantensystem, das dem Formalismus der Quantenmechanik folgt, und der Messapparatur, die rein klassisch beschrieben wird. Moderne Vertreter der Kopenhagener Deutung, beispielsweise der Nobelpreisträger Anton Zeilinger, gehen nicht mehr von einem scharfen Heisenberg-Schnitt aus. Experimente an immer größeren Quantensystemen, nicht zuletzt die zweier einstiger Mitarbeiter Zeilingers – Markus Aspelmeyer und Markus Arndt –, sprechen vielmehr für einen kontinuierlichen Übergang: Quantensysteme treten dabei mit ihrer Umgebung in Wechselwirkung, verlieren ihre Quanteneigenschaften durch einen Prozess namens Dekohärenz und verhalten sich zunehmend klassisch.

Wie Bohr und Heisenberg sehen aber auch die modernen Kopenhagener im Quantenzustand keine Elemente der Realität. Quantenmechanik ist für sie eine Theorie der Ergebnisse von Messungen und der Information, die man dabei gewinnt, nicht einer vielleicht dahinterliegenden Realität. In der Nature-Umfrage unter Quantenphysikern bekannten sich 36 Prozent zur Kopenhagener Interpretation, wobei sich die Hälfte ihrer Sache nicht sicher war und einige Angaben machten, die mit Kopenhagen schlecht vereinbar sind. Trotzdem gibt es laut der Umfrage mehr Physiker, die sich der Richtigkeit der Kopenhagener Interpretation „ziemlich sicher“ sind, als Anhänger irgend einer anderen Deutung der 

Epistemische Zugänge

Auf dem von Nature verschickten Fragebogen konnte man neben „Kopenhagener Interpretation“ auch „Epistemische Zugänge“ ankreuzen, was 17 Prozent der Antwortenden taten, der zweite Platz hinter „Kopenhagen“. Die Trennung der beiden Positionen hat allerdings nicht wenigen Befragten Rätsel aufgegeben, denn „epistemisch“ (von griechisch epistēmē für „Wissen“) bedeutet hier, den Quantenzustand nicht als Element der Realität anzusehen, sondern als Abbild aktuellen menschlichen Wissens – und das würden in der Regel auch heutige Vertreter der Kopenhagener Deutung so sehen.

Es gibt unter den epistemisch eingestellten Quantenforschern aber auch welche, die durchaus noch von der Realität als solcher sprechen wollen. Zu ihnen gehört Robert Spekkens vom Perimeter Institute in Kanada. Er argumentiert, dass kausale Strukturen, also Ursache-Wirkungs-Beziehungen, nicht nur als Ausdruck unseres Wissens betrachtet werden können. Gleichwohl konnte Spekkens in einem Gedankenexperiment zeigen, wie einige typische Quantenphänomene allein aus einer Beschränkung von Wissen über die Welt entstehen.

Viele Welten

Die klassische Physik hat die von ihr untersuchten Naturzusammenhänge in Gleichungen über Größen formuliert, die auch ohne Messung so sind, wie sie sind: Elemente einer vom Beobachter unabhängigen Realität. In den Grundgleichungen der Quantentheorie dagegen geht es um den Quantenzustand, in dem alles codiert ist, was dem damit beschriebenen System passieren kann. In einer Messung oder einer anderen Interaktion mit der Umwelt kommt dann aber nur eine dieser Möglichkeiten zum Zuge. Wenn man nun der Auffassung ist, der Quantenzustand sei ein Element der Realität, stellt sich die Frage: Was wird aus all den anderen Möglichkeiten?

Die sogenannte Viele-Welten-Interpretation antwortet darauf: Sie werden alle realisiert – nur eben in einer jeweils anderen Welt. Diese zuerst 1957 von dem Amerikaner Hugh Everett III vorgeschlagene Interpretation umgeht damit den ominösen Kollaps des Quantenzustandes im Moment der Messung. Es gibt hier nur eine Grundgleichung, die Schrödinger-Gleichung, die alles beschreibt. Damit erfüllt diese Interpretation das Ideal einer physikalischen Theorie, wie es beispieltsweise in Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie besonders eindrucksvoll verwirklicht wurde, sowie die Forderung, Wissenschaft müsse von der Realität an sich handeln. Diese Realität hätte aber eine eigentümliche Struktur, wenn man Everett folgt: Das Universum spaltete sich dann mit jeder Quanteninteraktion in eine Anzahl paralleler Universen auf. Die Wirklichkeit wäre ein sich stetig verästelndes Multiversum, dessen Verästelungen im Zeitverlauf überexponentiell zahlreicher würden.

Trotzdem ist diese Interpretation heute alles andere als eine Randerscheinung. Laut der Nature-Umfrage bekennen sich bis zu 15 Prozent der Quantenphysiker zu ihr. Nur eine Minderheit ist sich ihr aber so sicher wie David Deutsch von der Universität Oxford, ihr heute wohl prominentester Verfechter. „Die Multiversums-Interpretation ist keine ‚Interpretation‘ der Quantentheorie im Sinne einer Alternative zu anderen Interpretationen“, schrieb er 1997. „Sie ist die Quantentheorie, eindeutig ausgedrückt. Sie eine ‚Interpretation‘ zu nennen, ist so, als würde man Dinosaurier als eine ‚Interpretation‘ von Fossilien bezeichnen.“

Bohmsche Mechanik

Eine weitere Möglichkeit, das Verhalten von Quantenobjekten realistisch zu interpretieren, hat der Amerikaner David Bohm 1952 ausgearbeitet. In der aktuellen Nature-Umfrage wurde sie von sieben Prozent der befragten Quantenphysiker vertreten. Ihr heute vielleicht eloquentester Anwalt ist der Philosoph Tim Maudlin von der New York University.

Bei Bohm hat ein Teilchen stets einen eindeutigen Aufenthaltsort, sein Quantenverhalten rührt daher, dass es einer „Führungswelle“ folgt. Die Mathematik ist daher etwas komplexer, dafür ist die Bohmsche Mechanik nicht nur realistisch, sondern auch streng deterministisch: Nichts ist hier wirklich zufällig, alles hat einen physikalischen Grund. Sie macht aber trotzdem dieselben Vorhersagen wie die Quantenmechanik. Ihr großes Problem: Es ist bisher nicht wirklich gelungen, sie zu einer sogenannten Quantenfeldtheorie verallgemeinern, die auch dort anwendbar ist, wo Effekte der Speziellen Relativitätstheorie wichtig werden.

Objektiver Kollaps

In der Nature-Umfrage konnten die Befragten auch „Kollaps-Theorien“ ankreuzen. Knapp vier Prozent taten dies. Hier handelt es sich jedoch streng genommen nicht um Interpretationen des Quantenformalismus, sondern um dazu alternative Theorien: Die Grundgleichung enthält einen hypothetischen zusätzlichen Term, was experimentell bislang eben nur noch nicht nachgewiesen werden konnte. Der bewirkt den Kollaps des Quantenzustands, welcher deswegen „objektiv“ erfolgt, also auch unabhängig von einer Messung.

Den Umstand, dass dieser Kollaps in isolierten Systemen aus wenigen Teilchen nicht beobachtet wird – sondern erst in Interaktion mit einem aus vielen Teilchen bestehenden Messgerät, erklärt man sich dadurch, dass er extrem selten ausgelöst wird – in einer Theorievariante passiert es einem isolierten Teilchen erst nach 100 Millionen Jahren. Der prominenteste Kollaps-Theoretiker ist der britische Nobelpreisträger Roger Penrose. In seinem Ansatz einer solchen Theorie ist es die Gravitation, die einen Kollaps des Quantenzustands herbeiführt. Gerade erst hat eine Forschergruppe, der auch der inzwischen 94 Jahre alte Penrose angehört, einen Vorschlag für ein Experiment ausgearbeitet, mit dem sich dergleichen vielleicht nachweisen ließe.

Der QBismus

In der Kopenhagener Interpretation ist der Quantenzustand kein Naturding, sondern Ausdruck dessen, was wir von der Welt wissen können. Eine Gruppe um Christopher Fuchs von der University of Massachusetts in Boston hat diesen Ansatz weitergedacht – und dabei ein Stück weit radikalisiert. Diese Interpretation nennt sich QBismus – eine anspielungsreiche Ableitung aus dem Namen einer bestimmten Wahrscheinlichkeitstheorie. Laut QBismus geht es im Quantenzustand nicht einmal um Wissen, sondern nur noch um Überzeugungen darüber, wie Messungen ausgehen.

Dahinter steht ein subjektives Verständnis von Wahrscheinlichkeit: Wie wahrscheinlich etwas ist – etwa der mögliche Ausgang einer Messung –, das bemisst sich daran, was der Beobachter vorher auf diesen oder jenen Ausgang zu wetten bereit war. Seine Beobachtungen sind dann Aktualisierungen seiner Erwartungen.

Im QBismus lösen sich viele Paradoxa der Quantenmechanik auf, etwa jenes, das einem in dem Gedankenexperiment mirt “Wigners Freund“ (siehe Hauptartikel) begegnet.Trotzdem ist auch qbistische Physik eine exakte Naturwissenschaft, denn sie folgt klaren Regeln für Vorhersage und Aktualisierung von Wahrscheinlichkei-ten. Man muss sich nur daran gewöhnen, dass auch Wahrscheinlichkeitswerte von null oder 100 Prozent nur Überzeugungen darstellen.

 

Nota. - Auch diesmal schicke ich voraus: Ich bin kein Physiker, nicht einmal Natur-wissenschaftler. Meine skeptischen Anmerkungen sind immer nur die eines geistes-wissenschaftlich belehrten Laien.

Und so kommentiere ich auch heute: Als rigoroser Adept der Transzendentalphilo-sophie neige ich arglos den 'epistemischen' Deutungen zu; sehe sie aber nicht nur der 'Kopenhagener Deutung' verwandt, sondern auch und noch enger dem soge-nannten QBismus, von dem ich freilich hier erstmals höre und noch nichts nach-denken konnte.

Vorläufig nur dies: Was physikalisch als eine null- oder hundertprozentige Wahr-scheinlichkeit ist, ist in wissenslogischer Hinsicht nichts als eine subjektive, wenn auch psychologisch naheliegende, ansonsten aber gleich-gültige Vorstellung.

Alle drei behaupten nicht, Einsichten ins Wesen der Dinge  in der Welt zu geben, sondern be-scheiden sich mit Überlegungen darüber, wie wir unser Wissen erstellen
JE 

 

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