
aus derStandard.at, 11. 10. 2025 zu Jochen Ebmeiers Realien
"In der Schule lernen wir Gedichte, aber nicht den Umgang mit Ängsten"
Autor Marcus Täuber klärt auf über genetische Faktoren der Angst, gruselige Clowns und mentales Zähneputzen
Angst gehört zum Leben. Doch in einer Welt voller Krisen, Dauerstress und Social-Media-Vergleiche scheint sie viele Menschen regelrecht zu überwältigen. Der Neurobiologe und Autor Marcus Täuber beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit mentaler Stärke, Psychohygiene und Persönlichkeitswachs-tum. In seinem neuen Buch Das Ende der Angst verbindet er neurowissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischen Übungen.
Er zeigt, warum unser Gehirn Gefahren gern überbewertet, wie sich Ängste im Körper niederschlagen – und vor allem, wie wir lernen können, besser mit ihnen umzugehen.
STANDARD: Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Thema Angst?
Täuber: Ich entdeckte das Thema schon als Jugendlicher. Mit zwölf habe ich zufällig ein Buch über autogenes Training in die Hand bekommen, die Selbsthypnoseübungen haben mich fasziniert. Vor eineinhalb Jahren erfuhr ich dann durch einen Gentest, dass ich ein hohes Risiko für Angst und Depression habe. Da verstand ich, warum mir diese Übungen immer so gutgetan haben. Mit meinem jetzigen Wissen sehe ich es als Glück, dass ich früh damit begonnen habe und dadurch vielleicht nie ernsthaft erkrankt bin.
STANDARD: Sind Ängste also angeboren?
Täuber: Teilweise. Es gibt genetische Faktoren. Aber Angst ist kein Schicksal. Spezifische Ängste, etwa vor Spinnen oder Höhen, sind erlernt.
STANDARD: Aber warum fürchten sich manche Menschen vor harmlosen Dingen wie Clowns?
Täuber: Unser Gehirn speichert negative Erfahrungen blitzschnell und dauerhaft. Das kann durch reale Erlebnisse passieren, aber auch durch Filme, Erzählungen oder Träume. Und unser 'Angstsystem' ist ein miserabler Rechner. Es malt sich Gefahren lieber aus, als nüchtern Wahrscheinlichkeiten zu berechnen. Das führt dazu, dass Menschen sich in ihrem Verhalten einschränken lassen, sie vermeiden etwa Flugreisen oder bestimmte Situationen. Gleichzeitig erhöht der dauerhafte Stress das Risiko für Krankheiten wie Depressionen, Migräne oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
STANDARD: Sie schreiben in ihrem Buch: "Angst denkt nicht, sie reagiert." Was meinen Sie damit?
Täuber: In unserem Gehirn sitzt die Amygdala, eine Art Alarmanlage. Sie reagiert bei Angst innerhalb von Millisekunden, das ist deutlich schneller, als wir bewusst denken können. Früher war das überlebenswichtig. Heute aber sitzen wir im Büro und haben Panikgefühle, obwohl keine reale Bedrohung besteht.
STANDARD: Kann das auch körperliche Folgen haben?
Täuber: Angst aktiviert unser gesamtes Stresssystem. Typische Folgen sind Nervosität, Schlafstörungen, Enge in der Brust oder ein flaues Gefühl im Magen. Und wenn Angst chronisch wird, steigt der Cortisolspiegel. Das erhöht wiederum das Risiko für Krankheiten wie Depressionen, Migräne oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
STANDARD: Da stellt sich mir die Frage, ob man lernen kann, Angst zu kontrollieren?
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19,90 €, Reinhard-Verlag, München
Täuber: Ja, aber wir leben in einer überreizten Welt. Unser Gehirn ist im Dauerstress. Junge Menschen sind zusätzlich durch soziale Medien gefährdet, weil dort permanenter Vergleich, Mobbing und Leistungsdruck herrschen. Auch die großen Krisen wie Krieg, Klima, Inflation befeuern Ängste. Deshalb ist es so wichtig, zu unterscheiden, was wir kontrollieren können und was nicht.
STANDARD: Wie geht das in der Praxis?
Täuber: Ich lasse Menschen in meinen Seminaren gerne zwei Kreise zeichnen. Im äußeren steht alles, was wir nicht beeinflussen können, im inneren, was wir sehr wohl lenken können. Das sind unsere Gedanken, unser Verhalten, unser Umfeld. Wenn wir uns auf diesen inneren Kreis konzentrieren, fühlen wir uns weniger ausgeliefert.
STANDARD: Ist das eine neue Methode?
Täuber: Nein, keineswegs. Es gibt ein schönes Beispiel aus der Geschichte. Der römische Kaiser Mark Aurel hat eine Art Tagebuch geführt, in dem er seine Gedanken niederschrieb und so unter anderem seine Sorgen und Ängste reflektierte, einordnete und ins Positive umdeutete.
STANDARD: Und wie lange muss man das machen, damit es wirkt?
Täuber: Mark Aurel hat das rund zehn Jahre getan. Aber mindestens einige Monate, am besten Jahre, wären gut, damit es nachhaltig wirkt. Wichtig ist auch, diesen inneren Dialog regelmäßig zu führen. Wer täglich fünf Minuten bewusst die Perspektive wechselt, stärkt sich langfristig enorm. Ich nenne es 'mentales Zähneputzen'.
STANDARD: Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche heute oft Sorgen und Ängste haben. Welche Strategien helfen ihnen?
Täuber: In der Schule lernen wir Fremdsprachen und Gedichte, aber kaum, wie man mit Angst umgeht. Um zu beschreiben, was in unserem Kopf bei Angst vorgeht, nehme ich dafür gern eine Wasserflasche mit Sand. Wenn man sie schüttelt, ist alles trüb. So wie unser Kopf, wenn er voller Sorgen ist. Stellt man die Flasche ab, sinkt der Sand langsam nach unten und das Wasser wird klar. Auf diese Weise verstehen Kinder sofort, dass auch ihre Gedanken zur Ruhe kommen können, wenn man ihnen Zeit gibt.
STANDARD: Und wie üben Kinder dann konkret, ihre Gedanken zu beruhigen?
Täuber: Zum Beispiel über die Atmung. Es gibt das sogenannte 'physiologische Seufzen'. Dafür atmet man zweimal durch die Nase ein, dann langsam durch den Mund aus. Studien zeigen, dass das Ängste und Stress deutlich reduziert. Das lässt sich auch akut vor einer Prüfung anwenden. Eine andere Übung ist, in einer halben Minute von 30 in Zweierschritten rückwärts bis null zu zählen. Aber ohne dabei auf die Uhr zu schauen. Durch die Konzentration auf eine neutrale Aufgabe beruhigt sich der Geist, und man schafft Platz für neue, positive Gedanken.
STANDARD: Was ist Ihr wichtigster Rat an Menschen, die sich von Angst bestimmt fühlen?
Täuber: Wir kümmern uns täglich um Körperpflege, warum nicht auch um unsere Gedanken? Schon fünf Minuten Training am Tag machen uns langfristig widerstandsfähiger, gelassener und produktiver.
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