Freitag, 8. August 2025

Fest oder flüssig?

Objekt versus Substanz
aus scinexx.de, 4. August 2025,            Eine Kugel und eine Flüssigkeit unterscheiden sich fundamental – eines ist ein Objekt, das andere eine Substanz. Aber wie geht unser Gehirn mit diesem Unterschied um?             zu Jochen Ebmeiers Realien 

Objekt versus Substanz – wie erkennt das unser Gehirn?
Gehirn verarbeitet und erkennt kompakte Objekte anders als Flüssigkeiten oder Pulver

Ein Ball ist ein greifbares Objekt, Haarshampoo dagegen nicht – es ist eine flüssige Substanz. Wie unser Gehirn den Unterschiede zwischen beiden Kategorien erkennt, hat nun ein Experiment aufgedeckt. Demnach verarbeitet unser Denkorgan die Kategorien „Objekt“ und „Substanz“ in jeweils eigenen Unterbereichen der Sehbahn. Die Art der Verarbeitung ähnelt dabei verblüffend der von Programmen, die 3D-Computergrafiken erstellen, wie Forschende in „Current Biology“ berichten.

In unserer Umwelt begegnen wir unzähligen Materialien mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften – vom weichen Seidenschal über harten Beton bis zu Kaffeebohnen, Honig oder unserem Haarshampoo. Einer der grundlegendsten Unterschiede betrifft dabei den zwischen Objekten und Substanzen. Ein Objekt ist ein fester Gegenstand, der als Einheit auf Kräfte reagiert. Eine Substanz wie Wasser, Sand oder Honig ist dagegen flüssig oder aus vielen kleinen Partikeln zusammengesetzt. Sie bewegt sich fließend, kann sich teilen oder mischen.

„Wir interagieren mit einem festen Objekt anders als mit einem flüssigen oder rieselnden Material: Ein Objekt können wir greifen, für eine Substanz benötigen wir dagegen einen Behälter oder anderes Werkzeug“, erklären Vivian Paulun vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) und ihre Kollegen. „Selbst fünf Monate alte Säuglinge verstehen instinktiv, dass sich Flüssigkeiten oder Pulver anders verhalten als ein fester Gegenstand.“

Zwei Hirnnetzwerke
Lage der beiden Zentren für die Objekterkennung. Aber sind sie auch für Substanzen zuständig? 

Zwei Hirnregionen sind entscheidend

Aber wie erkennt unser Gehirn diesen Unterschied? Und wo? „Bisherige Forschung hat sich fast ausschließlich darauf konzentriert, wie unser Gehirn feste Objekte verarbeitet“, erklären die Forschenden. Demnach erfasst der Laterale Okzipitalkomplex (LOC) im Hinterhauptslappen die dreidimensionale Form eines visuellen Objekts. Wenn wir dagegen weitere Objektmerkmale beurteilen, wie Gewicht, Stabilität oder Oberflächenstruktur, geschieht dies im frontparietalen Netzwerk (FPN) im Scheitelbereich des Gehirns.

Ob und wie diese beiden Hirn-Netzwerke auch auf Substanzen reagieren, haben Paulun und ihre Kollegen nun untersucht. Für ihr Experiment erstellten sie zunächst 100 kurze Videoclips, in denen harte oder elastische Bälle, Flüssigkeiten oder Pulver in verschiedenen Aktionen zu sehen waren: Sie stürzten eine Treppe hinunter, fielen zu Boden oder wurden in einer durchsichtigen Box hin und her geschaukelt. Die Testpersonen sahen diese Videoclips oder Screenshots davon, während ihre Hirnaktivität mittels funktionaler Magnetresonanz-Tomografie (fMRT) aufgezeichnet wurde.

Getrennte Verarbeitung

Die Analysen enthüllten: Insgesamt betrachtet reagieren die beiden Hirn-Netzwerke LOC und FPN sowohl auf Objekte wie auf Substanzen. Demnach verarbeitet der laterale Okzipitalkomplex nicht nur die 3D-Form fester Gegenstände, sondern auch die Formveränderungen flüssiger oder körniger Substanzen. Das Frontoparietal-Netzwerk wiederum bewertet bei beiden Kategorien die physikalischen Merkmale.

Das Besondere jedoch: Diese Verarbeitung geschieht in jeweils eigenen Unter-Arealen der beiden Netzwerke. „Beide Signalwege haben eine Zweiteilung: Ein Unterbereich reagiert stärker auf Objekte, der andere stärker auf Substanzen“, berichtet Paulun. „Das haben wir vorher noch nie bemerkt, weil niemand dies untersucht hat.“ Das Gehirn scheint demnach eine Art Arbeitsteilung zu nutzen, wenn es um das Erkennen und Bewerten von Objekten oder aber Substanzen geht.

Unser Gehirn verarbeitet Objekte und Substanzen unterschiedlich.
 
Ähnlich wie ein 3D-Grafikprogramm

Das könnte bedeuten, dass unser Gehirn für beide Kategorien verschiedene mentale „Algorithmen“ einsetzt. Seine visuelle Verarbeitung würde dann der von Computerprogrammen ähneln, die grafische 3D-Objekte für Computerspiele generieren: „In solchen Grafik-Programmen werden Objekte meist durch Gitternetzwerke repräsentiert, Flüssigkeiten hingegen als Partikelströme“, erklären Paulun und ihre Kollegen.

Auf ähnliche Weise könnte auch unser Gehirn zwei grundsätzlich unterschiedliche Strategien nutzen: Sobald das primäre Sehzentrum erste Hinweise auf eine der beiden Kategorien hat, leitet es die Signale auf den einen oder andere Verarbeitungsweg. Diese Zweiteilung könnte dabei helfen, wichtige Unterschiede im Verhalten von Objekten versus Substanzen effizient zu verstehen und unsere Interaktionen mit ihnen zu planen.

Gleichzeitig könnte dies auch erklären, warum schon Säuglinge instinktiv den Unterschied zwischen Objekten und Substanzen verstehen: Selbst ihr Gehirn ist schon auf diese Zweiteilung hin ausgelegt. (Current Biology, 2025; doi: 10.1016/j.cub.2025.07.027)

Quelle: Massachusetts Institute of Technology

 

Nota. - Es ist herzerfrischend, wie unbefangen die Forscher mit Begriffen umspringen. Aber vor allem ist es dumm. Die spezifische Eingentümlichkeit wissenschaftlichen Wissens ist, dass es allgemein zugänglich ist, weil es auch allgemein gelten soll. Wenn da jeder mit seinem privaten Wortschatz dreinredete, könnte er nur Schaden anrichten. 

Im gegebenen Fall kann man darüber hinwegesehen, weil es simpel ist. Ob man dagegen eine Katze zwar nicht als Substanz, wohl aber als Flüssigkeit definieren kann, ist so simpel nicht
JE 

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