Sonntag, 24. August 2025

Spielen und die Eroberung von Raum und Zeit.


 aus scinexx.de, 15. 8. 2025                                                  zu Jochen Ebmeiers Realien ,  zu Levana, oder Erziehlehre

Homo ludens – Der will doch nur spielen
Spielen ist ein wichtiger Teil des menschlichen Lebens. Schon Babys entdecken durch Spiel sich selbst und ihre Umwelt. Mit zunehmendem Alter bauen Kinder Türme aus Bauklötzen, schlüpfen bei „Mutter-Vater-Kind“ in verschiedene Rollen oder befolgen Regeln beim Ballspielen. Doch auch Erwachsene finden immer wieder zum Spiel zurück – zum Beispiel beim Sport, bei Brettspielen oder in Videospielen. Aber warum eigentlich? Und gibt es auch andere Tiere, die spielen?

Spielen ist mehr als reiner Zeitvertreib: Es fördert die menschliche Entwicklung, stärkt soziale Bindungen und kann helfen, mit Problemen umzugehen. Gleichzeitig kann der Umgang mit Spielen auch problematisch sein – zum Beispiel dann, wenn Glücksspiele süchtig machen. Im öffentlichen Diskurs entbrennt außerdem immer wieder die Debatte darüber, ob bestimmte Computerspiele aggressiv machen oder ob Kinder heute weniger spielen als früher. Was ist da dran?

Die Psychologie des Spielens
Warum spielen wir?

Kinder tun es, Erwachsene tun es und selbst Tiere tun es – und das weltweit: Sie spielen. Das Spielen zieht sich quer durch Altersgruppen, Kulturen, Spezies und Geschichte. Mal in Form von Puppen, Bauklötzen oder Verkleidungsspielen und mal in Form von Brettspielen oder Computerspielen. Auf den ersten Blick wirkt es wie purer Zeitvertreib ohne Sinn und Zweck. Schon lange versuchen Wissenschaftler, dieses Verhalten zu entschlüsseln, und haben dabei verschiedene Ansätze entwickelt.

Kinder teilen
Im gemeinsamen Spiel können Kinder lernen, zu teilen. 
Alles eine Frage der Übung?

Der deutsche Philosoph und Psychologe Karl Groos erklärt Ende des 19. Jahrhunderts das Spielverhalten der Tiere und der Menschen mit der „Einübungstheorie“. Demnach spielen Lebewesen, um sich auf das Leben mit all seinen Herausforderungen und benötigten Fähigkeiten vorzubereiten und ihre Umwelt zu erkunden. Jagen und kämpfen Tierkinder beispielsweise spielerisch miteinander, können sie lernen, sich gegen einen echten Feind zu verteidigen.

Aber nicht nur untereinander können Tierkinder sich so überlebenswichtige Fähigkeiten beibringen, auch ihre Eltern spielen eine wichtige Rolle: „So ist es auch bei dem Schwimmenlernen der jungen Schwimmvögel, das gleichfalls den Charakter eines Bewegungsspieles annehmen kann“, erklärt Groos 1896 in seinem Buch „Die Spiele der Thiere“. „Auch hierbei helfen die Eltern dem Instinkte nach und beschleunigen dadurch die Einübung.“

verkleidete Kinder
Ab etwa drei Jahren können Kinder beim Spiel in verschiedene Rollen schlüpfen. 
Ausdruck von Stabilität oder Bewältigung von Problemen?

Aber wenn Spielen dazu dient, grundlegende Lebenskompetenzen zu trainieren, wieso spielen wir als Erwachsene immer noch? Müssten wir nicht alle wichtigen Kompetenzen gelernt haben? Spielen ist demnach vielleicht doch nicht nur ein Mittel zum Zweck: Der niederländische Anthropologe, Biologe und Psychologe Frederik Buytendijk postuliert 1933 in seinem Buch „Wesen und Sinn des Spiels“: Damit Mensch und Tier überhaupt anfangen zu spielen, müssen zwei Grundvoraussetzungen erfüllt sein. Erstens müssen ihre Grundbedürfnisse, wie Hunger und Durst, gestillt sein und zweitens müssen sie sich sicher fühlen. Spielen ist demnach Ausdruck psychischer und physischer Stabilität.

Die heutige Spielforschung zeigt zudem, dass Spielen selbst in existenziell bedrohlichen Lebenssituationen eine wichtige Strategie sein kann, um Probleme zu bewältigen oder sie zeitweise zu verdrängen. Wie eine Auswertung historischer Dokumente des Historikers George Eisen zeigt, spielten Kinder auch in Konzentrationslagern und jüdischen Ghettos. Oft stellten sie in Rollenspielen nach, was ihnen und Menschen in ihrem Umfeld widerfahren war. „Das Schauspielern wurde zu einem natürlichen Spiegelbild all der Sorgen, der Bestürzung und der Absurdität des kurzen Daseins der Kinder“, schreibt Eisen 1993 in seinem Buch „Spielen im Schatten des Todes“.

Huizingas „Homo ludens“

Ein weiteres Erklärungsmodell für das Spiel des Menschen stellt der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga 1938 in seinem Buch „Homo ludens“ (dt. „Der spielende Mensch“) auf. Huizingas Auffassung nach entsteht das Spiel nicht durch Kultur, sondern schafft sie stattdessen.

„Kultur ist demnach Resultat spielerischer Verhaltensweisen einer Gemeinschaft, deren Gewohnheiten sich ‚eingespielt‘ und zu Normen entwickelt haben“, erklärt das Institut für Ludologie der SRH Berlin University of Applied Sciences. „Die ursprünglich im Spiel ersonnenen Regeln haben sich ritualisiert, aus dem Spiel wurde Ernst und die eingeschliffenen Regeln haben Zwangscharakter angenommen.“

 

 

Der Kulturhistoriker Huizinga fasst den Begriff des Spiels dabei sehr weit: Nicht nur klassische Kinderspiele und sportliche Wettkämpfe, sondern auch Religion oder Gerichtsverhandlungen können demnach Spiele sein. Laut Huizinga tragen all diese Bereiche ein spielerisches Grundprinzip in sich, bei dem Menschen sich auf Regeln einigen und Rollen einnehmen.

Monopolybrett
Spiele wie Monopoly sind in wettbewerbsorientierten Gesellschaften besonders beliebt.
Wettbewerbsorientiert versus kooperativ

Auch interessant: Der neuseeländische Spieltheoretiker Brian Sutton-Smith zeigt in seinen kulturvergleichenden Analysen, dass die Art eines Spiels oft die Werte einer Gesellschaft oder Kultur widerspiegelt. In wettbewerbsorientierten Kulturen, wie sie in vielen westlichen Industriestaaten vertreten sind, sind Spiele beliebt, in denen sich die Spieler direkt miteinander messen – so zum Beispiel Schach oder Monopoly. In Kulturen, in denen hingegen Gemeinschaft und gegenseitige Unterstützung wichtiger sind, bevorzugen Menschen kooperative Spielformen.

Machen „Ballerspiele“ Jugendliche zu Tätern?
Die ewige Diskussion

Längst spielen Menschen nicht mehr nur mit physischen, analogen Dingen: Seit dem Erscheinen des ersten Computerspiels im Jahr 1958 hat sich die Computer- und Videospielbranche inzwischen zu einem lukrativen Wirtschaftszweig entwickelt. Während Minecraft, das mit 350 Millionen Verkäufen meistverkaufte von ihnen, eher friedlich ist, gibt es auch Videospiele, in denen es rauer zugeht.

Ego-Shooter Mock-up
In Ego-Shooter-Spielen müssen Spieler Gegner gezielt töten.
Amokläufe und Ego-Shooter

So zum Beispiel das Spiel „Grand Theft Auto V“ (GTA V), das am zweithäufigsten verkaufte Computerspiel. In diesem Spiel müssen Spieler verschiedene Verbrechen begehen und dabei auch viele andere Charaktere töten. In GTA V können Spieler auch in die Egoperspektive wechseln, bei der sie die Spielwelt aus Sicht der eigenen Figur sehen. Andere Spiele wie Counter-Strike, Call of Duty und Battlefield werden deshalb als sogenannte Ego-Shooter bezeichnet: In ihnen muss der Spieler in der Egoperspektive Gegner mit Schusswaffen bekämpfen.

Kommt es zu einer schweren Gewalttat durch Jugendliche, richtet sich der Blick der Öffentlichkeit oft schnell auf solche Ego-Shooter. Counter-Strike, Call of Duty und Co stehen dann im Verdacht, die Jugendlichen zu ihrer Tat getrieben zu haben, indem sie aggressives Verhalten fördern oder Gewalt verharmlosen. Ist da was dran?

Viel- versus Wenig-Spieler

Forschende haben den Effekt von Shooter-Spielen schon mehrfach untersucht. 2017 untersuchte ein Forschungsteam um Gregor Szycik von der Medizinischen Hochschule Hannover, wie sich das Spielen von Ego-Shootern auf die Empathiefähigkeit männlicher Spieler auswirkt. Dazu beantworteten Probanden, die mindestens über vier Jahre hinweg zwei Stunden täglich Games wie Counter-Strike oder Call of Duty spielten, einen psychologischen Fragebogen. Die Antworten der Fragebögen verglichen die Forschenden mit Antworten einer Kontrollgruppe, die keine Erfahrung mit den besagten Videospielen hatte.

Zusätzlich zeigten die Forscher beiden Testgruppen eine Auswahl an Bildern, die emotionale und mitfühlende Reaktionen provozieren sollten. Während die Probanden die Bilder sahen, zeichneten die Forscher deren Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) auf und fragten sie, wie sie sich in den dargestellten Situationen fühlen würden.

Das Ergebnis: Weder in den Fragebögen noch in den fMRT-Aufnahmen sah das Forschungsteam um Szycik nennenswerte Unterschiede in Aggression und Empathie zwischen Viel- und Wenig-Spielern. Beide Gruppen zeigten ähnliche neuronale Reaktionsmuster. Ego-Shooter scheinen demnach keine abstumpfende Wirkung zu besitzen, so die Schlussfolgerung des Teams.

Erwachsener spielt Ego-Shooter
Das Spielen gewalthaltiger Games wirkt sich nicht auf die Empathiefähigkeit Erwachsener aus. 
Gleichbleibende Empathiefähigkeit

Eine ähnliche Studie führte 2024 ein Forschungsteam um Lukas Lengersdorff von der Universität Wien durch: Sie ermittelten zuerst die Empathiefähigkeit von 89 erwachsenen Männern mittels Befragung und dem Ansehen abschreckender Bilder im fMRT. Anschließend sollten die Probanden zwei Wochen lang jeweils eine Stunde täglich GTA V spielen – jedoch auf zwei unterschiedliche Weisen.

Eine Gruppe durchlief das Spiel als bewaffneter Charakter und hatte die Aufgabe, so viele virtuelle Figuren wie möglich zu töten. Die Kontrollgruppe spielte hingegen eine von allen Gewaltdarstellungen und Waffen bereinigte Version von GTA V. Sie sollten lediglich andere Figuren fotografieren. Männer, die die gewaltreiche Version des Spiels spielten, reagierten nach Abschluss des Experiments genauso intensiv auf die abschreckenden Bilder wie vorher und auch im fMRT zeigte sich die gleiche Hirnaktivität.

„Ein paar Stunden Videospielgewalt haben keinen nennenswerten Einfluss auf die Empathie von psychisch gesunden, erwachsenen Versuchspersonen. Diesen Schluss können wir eindeutig ziehen“, erklärt Lengersdorff. Aber: „Die wichtigste Frage ist natürlich: Sind auch Kinder und Jugendliche immun gegenüber Gewalt in Videospielen? Das junge Gehirn ist hochplastisch, wiederholter Kontakt mit Gewaltdarstellungen könnte daher einen viel größeren Effekt haben“, betont Koautor Claus Lamm.

Aufwachsen mit GTA

Ebenfalls mit GTA beschäftigte sich eine Langzeitstudie von Sarah Coyne und Laura Stockdale von der Brigham Young University in Utah. Sie untersuchten den Effekt des Spiels auf 500 Mädchen und Jungen, die zu Beginn zwischen zehn und 13 Jahren alt waren. Die Forscherinnen teilten ihre jungen Probanden in drei Gruppen ein: Rund vier Prozent besaßen eine große Affinität zu gewaltvollen Videospielen, 23 Prozent interessierten sich eher mäßig für sie und 73 Prozent spielten lieber Spiele mit wenig bis keiner Gewalt.

Die Untersuchung zeigt zum einen, dass Jungen tendenziell häufiger gewalthaltige Videospiele spielten als Mädchen, und zum anderen, dass Teilnehmer mit mäßiger Affinität zu solchen Spielen am Ende die höchsten Aggressionswerte hatten. In ihrem prosozialen Verhalten, in Depressionen oder Angstzuständen unterschieden sich die Kinder nicht. Der Spielekonsum von Jungen und Mädchen, die am Anfang die größte Affinität zu ihnen aufwiesen, sank im Laufe der Zeit stark ab. Sie hatten am Anfang stärkere depressive Symptome, aber weniger Angstzustände als die anderen beiden Gruppen.

Die Forscherinnen gehen davon aus, dass der stark verringerte Konsum der stark affinen Gruppe durch einen veränderten Lebensstil zustande kam. Teilnehmer mit mäßiger Affinität spielten im Verlauf meist eine gleichbleibende Menge gewaltvoller Videospiele. „Ein dauerhaft erhöhter Konsum gewalthaltiger Videospiele könnte daher ein besserer Prädiktor für langfristige Auswirkungen sein als ein zunächst hoher, aber stark schwankender Konsum“, berichten die Forscherinnen.

Kinder spielen am PC
Das Gehirn von Kindern und Jugendlichen ist formbarer als das von Erwachsenen. 
Zusammenspiel aus vielen Faktoren

Dass Jugendliche zu Tätern werden, zum Beispiel indem sie Amokläufe begehen, ist also nicht Counter-Strike, Call of Duty oder GTA anzulasten. „Zu sagen, dass die Amokläufer alle Counter-Strike gespielt haben als das verbindende Element, ist ähnlich kurz gedacht, wie wenn man sagen würde: Das sind alles Jungs, die Hosen angehabt haben“, sagt der ehemalige Direktor des Computerspielemuseums Berlin, Andreas Lange, gegenüber dem Handelsblatt.

Vielmehr greifen genetische, neurobiologische, psychodynamische, biografische und soziologische Faktoren ineinander, die Jugendliche zu solchen Taten bringen. Das Spielen von Egoshootern kann solche bereits „gefährdeten“ Jugendlichen dennoch auf die Tat vorbereiten, indem sie bestimmte Abläufe oder Strategien üben können.

Zwischen Stranger Danger, Schule und Smartphones
Spielen Kinder heute weniger?

Immer wieder entsteht der Eindruck, dass ältere Generationen – etwa die Babyboomer, die in den 1950er bis 1970er Jahren aufwuchsen – deutlich mehr miteinander und draußen gespielt haben als Kinder, die derzeit groß werden. Stimmt das wirklich oder idealisieren die Babyboomer und andere ältere Generationen nur ihre eigene Kindheit?

Jugendliche spielen draußen
Kinder spielen immer weniger draußen.
Zu wohlbehütet

Einer Studie des Marktforschungsinstituts Ipsos zufolge verbringen Kinder in Deutschland tatsächlich 25 Prozent weniger Zeit damit, draußen zu spielen, als ihre Eltern. Studien, die untersuchen, wie frei sich Kinder ohne Begleitung eines Erwachsenen in ihrer Nachbarschaft oder Stadt bewegen, zeigten ebenfalls einen deutlichen Rückgang dieser Bewegungsfreiheit – insbesondere zwischen 1970 und 1990.

Auch die US-amerikanische Soziologin Markella B. Rutherford fand Ähnliches heraus: Sie analysierte hunderte Artikel und Ratgeberkolumnen zum Thema Kindererziehung, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in populären Zeitschriften erschienen. Ältere Artikel beschrieben, wie Kinder viel Zeit mit anderen Kindern und ohne Erwachsene verbrachten. Sie gingen bereits mit fünf Jahren alleine zu Fuß zur Schule oder besserten sich ab etwa elf Jahren mit Babysitten oder Zeitungsaustragen ihr Taschengeld auf.

Im Laufe der Zeit beobachtete Rutherford jedoch einen Wandel: Beginnend in den 1960er Jahren und verstärkt ab den 1980er Jahren schien die Sorge der Eltern um ihre Kinder zu wachsen. Kinder wurden nicht mehr als kompetent, verantwortungsbewusst und widerstandsfähig wahrgenommen, sondern sollten zunehmend durch ihre Eltern beaufsichtigt und geschützt werden.

Eltern Etan Paz
Das Verschwinden des sechsjährigen Etan Paz im Mai 1979 war einer der Vermisstenfälle, die die „missing children panic“ ausgelöst haben sollen.
Was Kinderfotos auf Milchtüten mit dem Draußenspielen zu tun haben

Es scheinen also vor allem die Eltern der Kinder zu sein, die sie davon abhalten, unbeaufsichtigt im Freien zu spielen. Aber warum? Forschende machen dafür unter anderem die „missing children panic“ (dt. „Vermisste Kinder Panik“) in den USA verantwortlich. Gegen Ende der 1970er und während der 1980er Jahre kam es dort zu mehreren Kindesentführungen mit großer medialer Aufmerksamkeit.

Milchhersteller begannen, Fotos der vermissten Kinder auf Milchkartons zu drucken, der US-amerikanische Kongress gründete eine Organisation für vermisste Kinder und Kinder wurden zunehmend vor dem „stranger danger“ (dt. „der Gefahr durch Fremden“) gewarnt.

„Die Botschaft lautete: ‚Wenn Sie Ihre Kinder nicht beaufsichtigen, nicht wissen, wo sie sich aufhalten, und kein anderer verantwortungsbewusster Erwachsener auf sie aufpasst, dann sind Sie ein nachlässiger Elternteil‘“, erklärt der Psychologe Peter Gray vom Boston College gegenüber KPBS. „Sie haben es nicht genau so formuliert, aber das war die implizite Aussage.“ Das alles habe sich auf die Erziehung der Kinder durch ihre Eltern ausgewirkt, argumentieren Experten.

Zu viele Termine

Doch Kindern und Jugendlichen fehlt heute auch oft die Zeit, draußen frei zu spielen. „Der Charakter des Spielens von Kindern wird zu einem organisierten Event“, erklärt Christiane Richard-Elsner von der Konrad-Adenauer-Stiftung. „Feste Termine zum Fußball, Ballett, Reiten oder zur musikalischen Früherziehung erleben Kinder bereits in früher Kindheit mit dem Gefühl des Zeitdrucks und der Erfahrung ‚keine Zeit zu haben‘.“

Zusätzlich gibt es in den Städten immer weniger freie Fläche: „Die wenigen Grünflächen in den Innenstädten sind für Kinder häufig gesperrt, so dass Eltern immer mehr auf künstlich ausgestattete Spielwelten für Kinder ausweichen“, berichtet Richard-Elsner. „Auch wenn Eltern ihre Kinder früh zu Selbstständigkeit erziehen und dies einen hohen Stellenwert in ihrer Erziehung genießt, so trauen sie ihnen heute wenig Eigenständigkeit im Alltag zu, weil sie Unfälle, Kriminalität oder Klagen anderer Erwachsener befürchten.“

Kleinkind am Tablet
Einer Umfrage zufolge würden Kinder eher von ihren Smartphones und Tablets ablassen, wenn sie draußen mehr andere Kinder treffen könnten. 
Ohne Smartphone spielt es sich besser

Ganz offensichtlich verbringen Kinder und Jugendliche aber auch mehr Zeit mit digitalen Medien wie Smartphones, Tablets und Co. Sind diese demnach mitschuld daran, dass Heranwachsende weniger draußen spielen? Einer Umfrage der US-amerikanischen Zeitschrift „The Atlantic“ zufolge ist das nicht der Fall. In ihr befragten die Autoren über 500 Kinder zwischen acht und zwölf Jahren nach ihrem Smartphonegebrauch.

Zwar gaben 75 Prozent der befragten Kinder an, bereits auf der Online-Spieleplattform „Roblox“ gespielt zu haben, dennoch ziehen 45 Prozent persönliche Treffen mit Freunden dem Online-Kontakt vor – nur ein Viertel von ihnen trifft sich mit Freunden lieber digital. Fast drei Viertel der Kinder stimmten zudem der Aussage „Ich würde weniger Zeit online verbringen, wenn es in meiner Nachbarschaft mehr Freunde gäbe, mit denen ich persönlich spielen könnte“ zu.

„Die meisten Kinder in unserer Umfrage gaben jedoch an, dass sie ohne Begleitung eines Erwachsenen überhaupt nicht in der Öffentlichkeit unterwegs sein dürfen“, berichten die drei Autoren.

Zwischen Glücksspiel und Spielsucht
Das Spiel mit dem Risiko

Geht es beim Spielen um Geld oder andere wertvolle Einsätze und ist die Gewinnchance in erster Linie dem Zufall überlassen, handelt es sich um Glücksspiel. Auch wenn manch einer hofft, dass bei Roulette, Poker oder Lotto doch die ein oder andere Strategie den ersehnten Gewinn bringt, basieren solche und ähnliche Spiele nur auf Glück und Zufall. Aber was macht sie so anziehend?

Slotmaschine
An Spielautomaten reizt ein knapp verpasster Sieg besonders zum Weiterspielen. 
Die Macht des Unvorhersehbaren

Beim Glücksspiel weiß der Spieler nie, ob er gewinnen wird oder nicht. Dieser Nervenkitzel des Unvorhersagbaren aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn und lässt es das Glückshormon Dopamin ausschütten – wir fühlen uns wohl. Genau deswegen strebt es allerdings auch immer wieder danach, diesen Zustand zu wiederholen. Das Verlangen kann so stark werden, dass Spieler süchtig werden.

Jetons
Wer mit abstrakten Jetons spielt, läuft eher Gefahr, sich in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. 
Was Glücksspiele besonders süchtig macht

Nicht nur der mögliche Gewinn macht das Spiel mit dem Glück für viele reizvoll. Vor allem die Art des Spiels beeinflusst dessen Suchtfaktor. Besonders riskant sind demnach Angebote, die jederzeit und schnell verfügbar sind, zum Beispiel bei Online-Casinos oder Wett-Apps. Gleiches gilt für Spiele mit hoher Geschwindigkeit: Je kürzer der Abstand zwischen Einsatz und Gewinnausschüttung, desto stärker wird das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert.

Auch sogenannte „Fast-Gewinne“, bei denen Spieler einen großen Gewinn knapp verfehlen – beispielsweise, wenn die Walzen eines Automaten nur zwei gleiche Symbole statt der für einen Gewinn benötigten drei anzeigen – erhöhen den Suchtfaktor von Glücksspielen. Sie suggerieren, der nächste Einsatz könnte endlich den Gewinn bringen. Speziell bei digitalen Spielautomaten können solche „Tricks“ gezielt programmiert werden.

Diese Effekte werden verstärkt, wenn Spieler nicht direkt mit Geld, sondern mit Jetons, virtuellen Credits oder Centbeträgen spielen. So geht ihr Bezug zum tatsächlichen Geldwert verloren – Verluste wirken kleiner, Einsätze werden erhöht, das Urteilsvermögen sinkt und die Hemmschwelle zum Weiterspielen auch.

Der „perfekte“ Glücksspielsüchtige

Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zeigen, dass Männer deutlich stärker zu einer Glücksspielsucht neigen als Frauen. Zusätzlich tragen ein junges Alter, sozioökonomische Belastungen wie ein niedriges Einkommen, biografische und psychische Vulnerabilitäten wie Impulsivität sowie familiäre und kulturelle Einflüsse und auch spielende Angehörige zu einem erhöhten Suchtrisiko bei. Aber auch, wer oft an Glücksspielen teilnimmt und dabei viel Geld einsetzt, erhöht sein Risiko einer Abhängigkeit.

In Deutschland sind laut dem Glücksspielatlas 2023 4,6 Millionen Erwachsene spielsüchtig oder spielsuchtgefährdet. Rund 1,3 Millionen von ihnen haben eine Glücksspielstörung, 3,3 Millionen zeigen ein riskantes Glücksspielverhalten mit ersten Anzeichen für eine Sucht.

Wenn Tiere spielen
Tierischer Spielspaß

Nicht nur Menschen spielen: Auch bei vielen Tieren beobachten Forschende immer wieder spielähnliches Verhalten. Damit tierisches Verhalten tatsächlich als Spiel und nicht als instinktives oder zweckgebundenes Handeln gewertet werden kann, muss es freiwillig, absichtlich und ohne Bedeutung für das Überleben erfolgen.

Schimpanse im Baum
Schimpansinnen spielen mit Stöcken, ähnlich wie Menschen mit Puppen.
Kitzeln, Ohrfeigen und Fangen

Es überrascht wenig, dass auch unsere nächsten Verwandten, die Menschenaffen, spielen. Schimpansen spielen sogar als Erwachsene noch miteinander ähnlich wie wir Menschen. Ein Forschungsteam um Liran Samuni vom Deutschen Primatenzentrum in Göttingen hat sechs Jahre lang drei zusammenhängende Gruppen von Schimpansen beobachtet, die im Taï-Nationalpark an der Elfenbeinküste leben. Sie beobachteten, dass die Affen in jedem Alter und relativ regelmäßig miteinander spielen.

Die Schimpansen ringen zum Spaß miteinander, spielen Fangen, ziehen sich an den Haaren, kitzeln, schubsen, jagen und beißen sich oder verpassen sich gegenseitig Ohrfeigen. Manchmal nahmen sie auch Spielzeug zur Hand: „Obwohl dies weniger üblich ist, wurden bei sozialen Spielen unter erwachsenen Schimpansen auch Gegenstände und Materialien wie Stöcke, Früchte, Schneckenhäuser, Sand und Wasser verwendet“, schreibt das Team.

Schimpansen-Mädchen spielen lieber mit „Puppen“

Mehr überrascht, dass einige junge Schimpansenweibchen – ganz nach „Mädchenmanier“ – es bevorzugen, mit „Stockpuppen“ zu spielen. Forschende der Harvard University und des Bates College werteten dafür 14 Jahre an Beobachtungsdaten aus der Kanyawara Schimpansen-Population im Kibale-Nationalpark in Uganda aus. Die dortigen Affen nutzen Stöcke nicht nur als Werkzeug oder Waffen, sondern auch zum „Stocktragen“.

Die Tiere tragen dabei Stöcke eine Weile mit sich herum, nehmen sie mit in ihre Ruhenester und spielen manchmal mit ihnen in einer Weise, die fast an den Umgang mit einer Puppe oder einem Schimpansenbaby erinnerte. „Wenn die Stöcke wirklich wie Puppen behandelt werden, wie wir zuvor nur vermuteten, müssten Weibchen das Stocktragen häufiger zeigen als Männchen und damit aufhören, wenn sie echte Junge haben. Jetzt wissen wir, dass beide Annahmen korrekt waren“, erklärt Richard Wrangham von der Harvard University.

Lächelnder Delfin
Delfine „lächeln“ mit geöffnetem Maul, wenn sie mit Artgenossen spielen.  
Spiele zu Wasser

Nicht nur Tiere an Land spielen: Delfine springen in jedem Alter kunstvoll aus dem Wasser, schlagen mit der Schwanzflosse auf die Wasseroberfläche, „surfen“ auf Wellen, reichen Seetang herum und blasen Ringe aus Luftblasen – mal alleine und mal mit anderen Gruppenmitgliedern. „Die Mutter ist die erste Spielgefährtin, dann erweitert das Kalb sein soziales Netzwerk und beginnt, mit anderen Artgenossen zu spielen“, erklären Veronica Maglieri von der Universität Pisa und ihr Team.

Sogar Krokodile spielen, indem sie Flussböschungen herunterrutschen, in der Brandung surfen oder sich huckepack tragen lassen, wie Vladimir Dinets von der University of Tennessee in Knoxville über ein Jahrzehnt bei verschiedenen Krokodilarten beobachtet hat. Demnach spielen die Reptilien am häufigsten mit Gegenständen, indem sie im Wasser treibende Objekte herumschubsen. Dinets beobachtete auch einen jungen Alligator, der mit einem Flussotter herumtollte.

Ratte auf Hand
Ratten können lernen, mit Menschen Verstecken zu spielen.
Versteckenspiel mit Ratten

Ratten können sogar komplexe Spiele wie das Verstecken zusammen mit Menschen erlernen. Forschende um Michael Brecht von der Humboldt-Universität zu Berlin brachten Ratten sowohl das Verstecken vor als auch das Suchen nach dem menschlichen Mitspieler bei. Zur Belohnung kitzelten die Forscher die Tiere.

Tatsächlich entwickelten die Nager dadurch beim Versteckspiel immer ausgeklügeltere Strategien und quiekten beim Suchen vor Freude, besonders, wenn sie ihren Mitspieler fanden. Fanden die Forscher die versteckte Ratte, versuchten die Nager häufig, sich erneut zu verstecken. „Das ist ein bisschen geschummelt, aber es zeigt, dass die Ratten danach streben, das Spiel zu verlängern, auch wenn sie damit die Belohnung herausschieben“, erklärt Brecht.

 

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