Warum wir Farben dreidimensional sehen
Was
eine Farbe ist, lässt sich kulturell, psychologisch, medizinisch,
physikalisch oder philosophisch definieren. Überraschenderweise geht es
aber auch mit Vektoren.
Für
ein Buchprojekt habe ich mich in letzter Zeit sehr ausführlich mit der
Wissenschaft von Farben beschäftigt. In der Astronomie spielt die Farbe
der Sterne eine wichtige Rolle - und die Erforschung der
elektromagnetischen Strahlung ist sowohl das Fundament der
Relativitätstheorie als auch der Quantenmechanik. Ich habe mich also
nicht darüber gewundert, dass ich bei diesem Thema auf jede Menge
Mathematik gestoßen bin.
Wenn
man »Farbe« aber nicht rein physikalisch als Ausprägung
elektromagnetischer Wellen versteht, sondern als das, was wir Menschen
mit unseren Augen tatsächlich als Sinneseindruck wahrnehmen, wird die
Angelegenheit sehr viel subjektiver. Biologische Unterschiede spielen
hier genauso eine Rolle wie kulturelle Prägung oder
Umgebungsbedingungen. Umso überraschter war ich, als ich bei der
Beschäftigung mit diesem Aspekt der Farbwahrnehmung auf Formeln dieser
Art gestoßen bin:
Diese
Gleichung zeigt das »Erste Graßmannsche Gesetz«. Um es zu verstehen,
muss man sich zuerst den Unterschied zwischen einer Spektralfarbe und
der »Farbvalenz« klar machen. Wenn Licht auf unsere Augen fällt, können
wir Farben wahrnehmen. Licht ist eine elektromagnetische Welle und je
nachdem, aus welchen Frequenzen sie sich zusammensetzt, transportiert
sie unterschiedliche Anteile der Spektralfarben. Licht mit einer
Wellenlänge von rund 640 bis 780 Nanometern ist zum Beispiel rot, liegt
die Wellenlänge zwischen 570 und 600 Nanometern, ist es gelb, und so
weiter. Die Information über die spektrale Verteilung lässt sich mit
entsprechenden Messgeräten physikalisch vollständig erfassen.
Unsere
Augen sind aber keine wissenschaftlichen Detektoren, sondern mit
farbempfindlichen Sinneszellen ausgestattet. Die Farben, die wir
wahrnehmen, hängen allein von der Anregung dieser Rezeptoren ab. Die
Farbvalenz ist die Größe, die beschreibt, welche Wahrnehmung ein
Lichtstrahl in unserem Auge auslösen kann. Was wir sehen, hängt
natürlich vom Spektrum der elektromagnetischen Welle ab, das aber im
Prinzip aus unendlich vielen Wellenlängen besteht. In unseren Augen gibt
es aber nur drei unterschiedliche Arten von Farbrezeptoren. Wir können
also gar nicht alle Farben sehen, die es gibt - und nicht alle
Mischungsarten voneinander unterscheiden.
Drei verschiedene Farbrezeptoren
Einer der drei Rezeptoren unseres Auges ist im blau-violetten Bereich des Lichtspektrums sensitiv, einer im grünen Bereich und der dritte hat sein Absorptionsmaximum im gelbgrünen Bereich, ist aber auch hauptverantwortlich für die Wahrnehmung des langwelligen roten Lichts. Je nachdem, wie stark die drei Rezeptoren durch eine Lichtwelle angeregt werden, nehmen wir unterschiedliche Farben wahr. Das bedeutet aber auch: Jeder Farbeindruck lässt durch drei Grundgrößen vollständig beschreiben. Das ist das »Erste Graßmannsche Gesetz«, benannt nach Hermann Graßmann, ein Pionier der Vektorrechnung.
Man kann also
jede Farbvalenz durch drei Grundgrößen, zum Beispiel drei Primärfarbe
wie Rot, Grün und Blau (aber auch zum Beispiel durch Farbton, Sättigung
und Helligkeit) beschreiben. Unser Farbempfinden ist quasi
dreidimensional. Und so, wie sich eine Position im physikalischen Raum
durch dreidimensionale Vektoren darstellen lässt, ist das auch bei
Farben möglich. Die Richtung, in die so ein Farbvektor zeigt, legt die
Art der Farbe fest; die Länge des Vektors bestimmt die Helligkeit der
wahrgenommenen Farbe. Genau das ist die Aussage der obigen Formel.
Graßmann
hat noch mehr und komplexere mathematische Gesetze zur Farbvalenz
definiert, über die man ganz eigene Kolumnen schreiben könnte. Aber
allein die Tatsache, dass unsere Augen beim Sehen quasi mit Vektoren
rechnen, finde ich schon faszinierend genug.
Nota. - Das ist die mathematische Beschreibung dessen, was gesehen werden kann. Was wer wirklich 'wahrnimmt', ist aber nicht zu objektivieren. Es gibt verschiedene Arten von Farbenblindheit, und ob mein Nachbar bei der Farbe Blau denselben Sinneseindruck empfindet wie ich, bestimmt keine Wellenlänge oder sonst eine messbare Größe, sondern die Verfassung seiner Sinneszellen und die Umsetzung der Reize durch seine neuronalen Rezeptoren. Aber da reichen selbst die bildgeben-den Verfahren der Hirnforscher nicht hin: Es gibt kein Medium, an dem man mes-sen könnte.
JE

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