Montag, 18. August 2025

Farbensehen.

Abstrakte Darstellung wellenförmiger Strukturen in lebendigen Farben. Die Wellen verlaufen von links nach rechts und zeigen eine Farbpalette von Blau über Lila, Pink, Orange bis Gelb. Jede Welle besteht aus feinen, parallelen Linien, die eine dynamische Bewegung suggerieren. Der Hintergrund ist in einem sanften Blau gehalten, das in den oberen Bereich des Bildes übergeht. Die Komposition vermittelt ein Gefühl von Energie und Fluss.
aus spektrum.de, 17.08.2025                                                                                                  
 zu Jochen Ebmeiers Realien

Warum wir Farben dreidimensional sehen
Was eine Farbe ist, lässt sich kulturell, psychologisch, medizinisch, physikalisch oder philosophisch definieren. Überraschenderweise geht es aber auch mit Vektoren.
 

Für ein Buchprojekt habe ich mich in letzter Zeit sehr ausführlich mit der Wissenschaft von Farben beschäftigt. In der Astronomie spielt die Farbe der Sterne eine wichtige Rolle - und die Erforschung der elektromagnetischen Strahlung ist sowohl das Fundament der Relativitätstheorie als auch der Quantenmechanik. Ich habe mich also nicht darüber gewundert, dass ich bei diesem Thema auf jede Menge Mathematik gestoßen bin.

Wenn man »Farbe« aber nicht rein physikalisch als Ausprägung elektromagnetischer Wellen versteht, sondern als das, was wir Menschen mit unseren Augen tatsächlich als Sinneseindruck wahrnehmen, wird die Angelegenheit sehr viel subjektiver. Biologische Unterschiede spielen hier genauso eine Rolle wie kulturelle Prägung oder Umgebungsbedingungen. Umso überraschter war ich, als ich bei der Beschäftigung mit diesem Aspekt der Farbwahrnehmung auf Formeln dieser Art gestoßen bin:

{C}(RGB)

Diese Gleichung zeigt das »Erste Graßmannsche Gesetz«. Um es zu verstehen, muss man sich zuerst den Unterschied zwischen einer Spektralfarbe und der »Farbvalenz« klar machen. Wenn Licht auf unsere Augen fällt, können wir Farben wahrnehmen. Licht ist eine elektromagnetische Welle und je nachdem, aus welchen Frequenzen sie sich zusammensetzt, transportiert sie unterschiedliche Anteile der Spektralfarben. Licht mit einer Wellenlänge von rund 640 bis 780 Nanometern ist zum Beispiel rot, liegt die Wellenlänge zwischen 570 und 600 Nanometern, ist es gelb, und so weiter. Die Information über die spektrale Verteilung lässt sich mit entsprechenden Messgeräten physikalisch vollständig erfassen.

Unsere Augen sind aber keine wissenschaftlichen Detektoren, sondern mit farbempfindlichen Sinneszellen ausgestattet. Die Farben, die wir wahrnehmen, hängen allein von der Anregung dieser Rezeptoren ab. Die Farbvalenz ist die Größe, die beschreibt, welche Wahrnehmung ein Lichtstrahl in unserem Auge auslösen kann. Was wir sehen, hängt natürlich vom Spektrum der elektromagnetischen Welle ab, das aber im Prinzip aus unendlich vielen Wellenlängen besteht. In unseren Augen gibt es aber nur drei unterschiedliche Arten von Farbrezeptoren. Wir können also gar nicht alle Farben sehen, die es gibt - und nicht alle Mischungsarten voneinander unterscheiden.

Drei verschiedene Farbrezeptoren

Einer der drei Rezeptoren unseres Auges ist im blau-violetten Bereich des Lichtspektrums sensitiv, einer im grünen Bereich und der dritte hat sein Absorptionsmaximum im gelbgrünen Bereich, ist aber auch hauptverantwortlich für die Wahrnehmung des langwelligen roten Lichts. Je nachdem, wie stark die drei Rezeptoren durch eine Lichtwelle angeregt werden, nehmen wir unterschiedliche Farben wahr. Das bedeutet aber auch: Jeder Farbeindruck lässt durch drei Grundgrößen vollständig beschreiben. Das ist das »Erste Graßmannsche Gesetz«, benannt nach Hermann Graßmann, ein Pionier der Vektorrechnung.

Man kann also jede Farbvalenz durch drei Grundgrößen, zum Beispiel drei Primärfarbe wie Rot, Grün und Blau (aber auch zum Beispiel durch Farbton, Sättigung und Helligkeit) beschreiben. Unser Farbempfinden ist quasi dreidimensional. Und so, wie sich eine Position im physikalischen Raum durch dreidimensionale Vektoren darstellen lässt, ist das auch bei Farben möglich. Die Richtung, in die so ein Farbvektor zeigt, legt die Art der Farbe fest; die Länge des Vektors bestimmt die Helligkeit der wahrgenommenen Farbe. Genau das ist die Aussage der obigen Formel.

Graßmann hat noch mehr und komplexere mathematische Gesetze zur Farbvalenz definiert, über die man ganz eigene Kolumnen schreiben könnte. Aber allein die Tatsache, dass unsere Augen beim Sehen quasi mit Vektoren rechnen, finde ich schon faszinierend genug.  

 

Nota. - Das ist die mathematische Beschreibung dessen, was gesehen werden kann. Was wer wirklich 'wahrnimmt', ist aber nicht zu objektivieren. Es gibt verschiedene Arten von Farbenblindheit, und ob mein Nachbar bei der Farbe Blau denselben Sinneseindruck empfindet wie ich, bestimmt keine Wellenlänge oder sonst eine messbare Größe, sondern die Verfassung seiner Sinneszellen und die Umsetzung der Reize durch seine neuronalen Rezeptoren. Aber da reichen selbst die bildgeben-den Verfahren der Hirnforscher nicht hin: Es gibt kein Medium, an dem man mes-sen könnte.
JE 

 

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