aus scinexx.de,11. August 2025 Die Vorfahren der heutigen Primaten haben sich wahrscheinlich im kalten Nordamerika entwickelt. zu Jochen Ebmeiers Realien
Kalte Wiege: Nach dem Ende der Dinosaurier-Ära haben sich die ersten Primaten woanders entwickelt als gedacht. Statt im tropisch warmen Dschungel entstanden unsere Vorfahren in eher kaltem Klima mit frostigen Wintern, wie eine neue Studie zeigt. Um die kalte Jahreszeit zu überleben, hielten diese Ur-Primaten wahrscheinlich Winterschlaf. Doch überlebt und weiterentwickelt haben sich nur jene Primaten-Arten, die in wärmere Gefilde auswanderten. Ihnen verdanken wir unsere Existenz.
Affen, Menschenaffen und Menschen haben gemeinsame Vorfahren. Diese urtümlichen Primaten entwickelten sich vor rund 66 Millionen Jahren, lebten auf Bäumen und jagten Insekten, wie Fossilien bezeugen. Angesichts der Lebensräume, in denen sich heute die meisten Primatenarten wohl fühlen, gingen Evolutionsbiologen lange davon aus, dass die ersten Primaten in tropisch warmen Regenwäldern heimisch waren. Aber stimmt das?

Das hat nun ein Team um Jorge Avaria-Llautureo von der University of Reading überprüft. Dafür werteten sie Daten von hunderten Primatenfossilien aus, die weltweit gefunden wurden. Dies kombinierten sie mit Klimamodellen und ermittelten daraus, wie der Lebensraum des gemeinsamen Urahnen aller heutigen Primaten wahrscheinlich aussah und wo er sich befand. Dabei berücksichtigen sie auch, wie sich die Vegetation, Geografie und Plattentektonik in den Millionen von Jahren veränderten.
Ur-Primaten kamen aus dem kalten Nordamerika
Das Ergebnis: Die ersten Primaten lebten sehr wahrscheinlich in Nordamerika. Auch ein Ursprung in Westeuropa ist den Daten zufolge möglich, aber weniger wahrscheinlich. An beiden Orten gab es nach dem Ende der Dinosaurier-Ära jedoch keinen ganzjährig warmen Dschungel, sondern es herrschte ein insgesamt eher nasskühles Klima mit zwar heißen Sommern von mindestens 22 Grad Celsius, aber kalten Wintern um null Grad Celsius oder weniger.
„Jahrzehntelang wurde die Vorstellung, dass sich Primaten in warmen, tropischen Wäldern entwickelt haben, nicht hinterfragt. Unsere Ergebnisse stellen diese Annahme komplett auf den Kopf“, sagt Avaria-Llautureo. „Es stellt sich heraus, dass Primaten nicht aus üppigen Dschungeln aufgetaucht sind – sie stammen aus kalten, saisonalen Umgebungen in der nördlichen Hemisphäre.“
Aber wie haben unsere Vorfahren in dem kalten Klima überlebt, vor allem die eisigen Winter? Die Forschenden vermuten, dass sie Winterschlaf oder Winterruhe hielten, so wie es heute noch Bären, Igel und einige andere Säugetiere tun. Dabei fahren diese Tiere ihre Herzfrequenz und ihren Stoffwechsel drastisch runter, um während der kältesten und futterärmsten Monate Energie zu sparen.
Auch einige kleine Primatenarten haben sich dieses Verhalten offenbar bis heute bewahrt. Die Fettschwanzmakis (Cheirogaleus) auf Madagaskar graben sich beispielsweise monatelang unter der Erde ein, wenn es ihnen zu kalt wird. Unter Erde, Wurzeln und Blättern vor eisigen Temperaturen geschützt schlafen sie, bis es wieder wärmer wird.
Die meisten Primatenarten, die sich im Lauf der Evolution aus den frühen Vorfahren entwickelt haben, haben den Winterschlaf hingegen aufgegeben. Wie Avaria-Llautureo und seine Kollegen erklären, nutzten einige Ur-Primaten eine andere Strategie: Sie entflohen dem unwirtlichen Wetter, indem sie in wärmere Gefilde mit ganzjährig stabilem Klima zogen. Dies ermöglichte es ihnen offenbar besser, zu überleben und neue Arten auszubilden.
Wie aus den Fundorten der Fossilien hervorgeht, wanderten die aus kalten Klimazonen stammenden Primatenlinien im Laufe ihrer Weiterentwicklung durchschnittlich 561 Kilometer weit, bis sie ein milderes Klima vorfanden. Dabei zogen sie im Laufe ihrer evolutionären Entwicklung immer weiter und besiedelten später auch trockene wüstenähnliche warme Gebiete – beginnend vor etwa 48 Millionen Jahren. Tropisch feucht-warme Regenwälder erreichten die Primaten jedoch erst beginnend vor etwa 23 Millionen Jahren, wie das Team erklärt. Dort fühlten sich offenbar die meisten besonders wohl und blieben, weswegen der größte Teil der heutigen Primaten dort zu finden ist.
Primaten waren demnach im Laufe der Evolution immer wieder gezwungen, ihren Lebensraum zu verlassen und nach Orten mit besseren klimatischen Bedingungen zu suchen. Angetrieben wurde dies wahrscheinlich von lokalen Klimaveränderungen und dem damit einhergehenden Nahrungsangebot, wie die Forschenden berichten. Arten, die sich nicht schnell genug daran anpassen oder ausweichen konnten, starben aus – darunter letztlich auch alle Ur-Primaten aus Nordamerika.
Diese Migrationsgeschichte könnte sich nun mit dem Menschen und heutigen Affenarten fortsetzen. „Zu verstehen, wie urzeitliche Primaten den Klimawandel überlebt haben, hilft uns, darüber nachzudenken, wie lebende Arten auf den modernen Klimawandel und Umweltveränderungen reagieren könnten“, so Avaria-Llautureo. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2025; doi: 10.1073/pnas.2423833122)
Quelle: University of Reading
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