aus spektrum.de, 19.08.2025 zu Jochen Ebmeiers Realien
»Heureka!«-Momente galten lange als unvorhersehbar Doch Minuten vorher verändert sich das Verhalten von Mathematikern messbar. Woran man merkt, dass ein Durchbruch naht.
Für seine Untersuchung filmte das Team sechs promovierte Mathematikerinnen und Mathematiker, die in ihren Büros oder Seminarräumen Aufgaben aus dem traditionsreichen Putnam-Wettbewerb bearbeiteten. Insgesamt nahmen die Forschenden 14 Sitzungen auf, in denen die Untersuchten an schwierigen Beweisen tüftelten. Dabei protokollierten sie über 4600 einzelne Momente, in denen die Aufmerksamkeit sichtbar wechselte – zum Beispiel, wenn jemand den Blick von einer Formel zu einer Zeichnung lenkte oder mit der Hand von einem Teil der Tafel zum anderen zeigte. Entscheidend war dabei der Moment, an dem die Teilnehmenden spontan ein »Ah!« oder »Jetzt sehe ich es!« äußerten. Solche plötzlichen Einsichten traten in fast allen Sitzungen auf, insgesamt 27-mal.
Die Forschenden
analysierten, wie vorhersehbar die Abfolge dieser sichtbaren Schritte
war. Mithilfe des informationstheoretischen Maßes des
»Überraschungswerts« konnten sie zeigen: Kurz vor einem Durchbruch stieg
die Unvorhersehbarkeit deutlich an. Die Arbeit ähnelte in diesen Phasen
eher einem Tasten und Erkunden, wirkte spielerischer und weniger
routiniert. Es wurden ungewöhnliche Verknüpfungen ausprobiert, bislang
getrennte Dinge auf einmal miteinander verbunden. Unmittelbar nach dem
Aha-Moment sank die Unvorhersehbarkeit dann wieder – ein Hinweis darauf,
dass sich die Denkvorgänge stabilisierten.
Die
Studie nutzt damit ein Prinzip, das aus der Erforschung komplexer
Systeme bekannt ist: Auch in Ökosystemen oder beim Klima sind abrupte
Umbrüche oft durch zunehmende Schwankungen im Vorfeld zu erkennen.
Übertragen auf mathematische Denkprozesse heißt das: Selbst scheinbar
blitzartige Erkenntnisschübe folgen einer Dynamik, die sich beobachten
und quantifizieren lässt.
Die Implikationen reichen über die Mathematik hinaus. Wenn kreative Durchbrüche so klaren Mustern folgen, könnten ähnliche Verfahren künftig auch andere Bereiche erhellen – von der Medizin bis zur Kunst.
Nota. - "Es wurden ungewöhnliche Verknüpfungen ausprobiert, bislang
getrennte Dinge auf einmal miteinander verbunden" - dies und seine Umkehrung ist es, was der kreative Geist mit dem Humor zu tun hat. Noch im Mittelhochdeutschen nannte man ihn daher diu witze. Es wird verwirrt, was vorher zu geordnet war, und kann freien Lauf nehmen. Konzentration schadet: Erst muss der Geist flackern.
JE
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