aus zdfheute.de, 26. 8. 2025 zu öffentliche Angelegenheiten
Seit Jahren behaupten Teile der Wirtschaft und der Politik, der Sozialstaat sei zu teuer. Dem hat sich nun auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angeschlossen. Auf dem Landesparteitag der niedersächsischen CDU forderte er eine Reformde-batte.
Aber stimmt das so überhaupt? Die Zahlen der letzten Jahre geben das jedenfalls nicht her. Die Überschriften sind jedes Jahr die gleichen und erzeugen auch immer die gleichen Reaktionen.
Beispiel 1: Das Bürgergeld
Beim Bürgergeld und beim Bundeszuschuss zur Rente wird Jahr für Jahr von einem Rekordhoch gesprochen und geschrieben. Nominell mag das auch stimmen, Alar-mismus scheint dennoch nicht angebracht, denn der notwendige Zusammenhang mit dem Bundeshaushalt wird meistens komplett ausblendet.
Zwei Beispiele mit vielen Zahlen, bei denen es sich dennoch lohnt, genauer hinzu-schauen. Als das Bürgergeld 2024 auf 46,9 Milliarden Euro anstieg, war der Auf-schrei unüberhörbar. Von ausufernden Kosten war die Rede, die Forderungen nach Streichungen ließen nicht lange auf sich warten.
Anteil am Bundeshaushalt gesunken
Ein Blick in die Archive des Arbeits- und Sozialministeriums zeigt: 2014 hat der Bund 41,3 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld 2 ausgegeben, also für den Vorgänger des Bürgergelds. 2024 waren es 46,9 Milliarden Euro, also 5,6 Milliarden mehr.
Tatsächlich ist aber auch der Bundeshaushalt angewachsen. Lag dieser 2014 noch bei 296,5 Milliarden Euro, hatte er 2024 eine Höhe von 465,7 Milliarden Euro. In Prozentzahlen heißt das: Der Anteil für das Bürgergeld ist gemessen am Bundes-haushalt in zehn Jahren von 14 Prozent auf zehn Prozent gesunken.
Beispiel 2: Die Renten
Ähnlich sieht es bei den Renten aus. Auch hier wird immer über neue Höchstwerte bei den Bundesmitteln für die Rentenversicherung berichtet. Nimmt man die glei-che Berechnung wie beim Bürgergeld, sank der Anteil der Bundeszuschüsse an den Ausgaben der Rentenversicherung von 23,8 Prozent im Jahr 2003 auf 22,9 Prozent im Jahr 2022.
Sinnvoller könnte auch ein Vergleich mit dem Bruttoinlandsprodukt (BIP), das die Wirtschaftskraft Deutschlands abbildet, sein. Der Anteil der an die Rentenversiche-rung gezahlten Bundesmittel ist im gleichen Zeitraum von 3,5 Prozent auf 2,8 Pro-zent des BIP gesunken.
Sozialausgaben im Mittelfeld der reichen OECD-Staaten
Die Menge der Zahlen lässt sich wahrscheinlich schwer nach außen tragen. Das macht die Verkürzung auf "Rekordhoch" und "unbezahlbar" vielleicht umso ver-lockender. Die Vergleiche der vergangenen zehn bis 20 Jahre sprechen jedenfalls eine andere Sprache.
Dazu kommt, dass Deutschland - relativ zum Bruttoinlandsprodukt - für Soziales nicht mehr ausgibt als andere Industrieländer. Laut dem Institut für Makroökono-mie und Konjunkturforschung IMK beträgt der Anteil der staatlichen Sozialausga-ben am BIP gut 27 Prozent, damit liegt Deutschland unter den 18 reichen OECD-Ländern im Mittelfeld.
Merz mit politischer Aussage
Tatsächlich hat die Regierung diverse Kommissionen zur Sozialstaats-, Bürgergeld- und Rentenreform einberufen - die demographischen Veränderungen sind unaus-weichlich. Alle Parteien werden in den kommenden Jahren darum ringen, wie es in der Sozialpolitik weiter gehen soll in Deutschland.
Wie viel Geld man bereit ist, in Rente, Bürgergeld, Pflege oder Krankenversiche-rungen zu stecken - oder ob man in diesen Bereichen Leistungen streichen sollte, das nennt man politischen Wettbewerb.
Dann sollte man aber auch die Ansicht, dass der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar sei, eben als das einordnen, was sie ist: eine rein politische Aussage.
Lars Bohnsack ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.
Nota. - Dieser Kanzler hat schon mehrere Stellen gefunden, wo er dem präpoten-ten Dünkel der SPD-HalbGranden entgegentreten musste - aber nicht immer bei-zeiten getan hat. Ihnen durch altliberalreaktionäre Rhetorik Wasser auf die Gebets-mühlen zu gießen gibt dem selbstbesorgten Funktionärsagglomerat mehr Luft zum Atmen, als es sich verdient hat. Wenn er ein anderes politisches Pojekt für Deutsch-land will, muss dieser Kanzler es vorzeigen, statt es vorab zu verzwergen, indem er hier und da und sonstwo mit dem Rotstift flickschustert.
JE
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