Montag, 11. August 2025

Die Induskultur.

Indus-Kultur 
aus scinexx.de, 1. 8. 2025                     Die Indus-Zivilisation schuf erstaunlich fortgeschrittene Metropolen und Kunstobjekte wie hier den “Priesterkönig”, aber vieles an dieser Kultur ist bis heute rätselhaft.                            zu öffentliche Angelegenheiten

Indus-Zivilisation

Eine nicht entzifferte Schrift, verblüffend moderne Städte und Handelsbeziehungen bis nach Ägypten: Die Indus-Kultur  ist eine der drei großen Hochkulturen der Bronzezeit – und die geheimnisvollste. Obwohl sie vor fast 5.000 Jahren weite Teile Südasiens prägte, wissen wir nur wenig über sie. Wie entstand diese Zivilisation? Was war das Besondere? Und warum verschwand sie nach 700 Jahren?

Das Reich der Indus-Zivilisation war einst größer als das alte Ägypten und Mesopotamien zusammen, es reichte von Pakistan über Teile Indiens und Afghanistans. Ihre Metropolen Harappa und Mohenjo-Daro waren in Architektur und Aufbau für ihre Zeit erstaunlich fortschrittlich – aber völlig anders als die Städte anderer Hochkulturen. Und auch die Sprache und Schrift der Indus-Kultur geben einige Rätsel auf.
 
Der Beginn der Indus-Kultur
Städte aus dem Nichts

Alles begann vor tausenden von Jahren im fruchtbaren Becken des Indus-Stroms: Relikte aus der Steinzeit zeigen, dass dort schon vor rund 10.000 Jahren Jäger und Sammler damit begannen, sesshaft zu werden und die ersten Tiere und Pflanzen zu domestizieren. Ab etwa 6500 vor Christus züchteten sie Rinder und bauten Weizen an, später auch andere Nutzpflanzen – eine zunächst ganz normale Ackerbau-Kultur.

Indus-Reich
Ausdehnung der Indus-Zivilisation und ihre größten Städte während ihrer Blütezeit.
Vom Bauernland zur Stadtkultur

Doch dann kam der große Wandel: Scheinbar aus dem Nichts entstanden um 2600 vor Christus plötzlich an verschiedenen Stellen des Indus-Beckens hunderte Städte – scheinbar aus dem Nichts. „Unter diesen Städten gelten vor allem fünf als bedeutende urbane Zentren, als Metropolen der Indus-Kultur“, erklärt Anil Kumar von der Universität Lucknow in Indien. Drei dieser Metropolen hatten etwa 80 Hektar Fläche und bildeten offenbar große regionale Zentren.

Die beiden größten Städte waren jedoch Mohenjo-Daro am Unterlauf und Harappa am Oberlauf des Indus im heutigen Pakistan. Diese Metropolen hatten während der Blütezeit der Indus-Kultur bis zu 60.000 Einwohner. „Mohenjo-Daro erstreckte sich über eine Fläche von mehr als 200 Hektar, Harappa als zweitgrößte Stadt war rund 150 Hektar groß“, berichtet Kumar. Schon in Bezug auf diese Größe waren die Städte der Indus-Zivilisation eine Besonderheit.

Wie auf dem Reißbrett geplant

Doch noch hervorstechender ist die Art, wie diese Städte angelegt waren: Die Gebäude und Straßen in ihnen folgten einer klaren geometrischen Struktur – verblüffend ähnlich den Stadtvierteln moderner Großstädte. „Die Straßen orientierten sich an den Haupt-Himmelsrichtungen. Die breiten Hauptstraßen lagen in Nord-Süd- und in Ost-West-Richtung und kreuzten sich im rechten Winkel“, beschreibt Kumar. „Dadurch formten sie ein Raster, dass die Siedlungen in quadratische oder rechteckige Blöcke teilte.“

Auffallend auch: Obwohl die Städte hunderte Kilometer voneinander entfernt lagen, folgten alle dem gleichen Prinzip – sie wirken fast wie nach einem einheitlichen Plan auf dem Reißbrett entworfen. Sie hatten nicht nur alle ähnliche Straßenraster und Ausrichtungen, auch die Grundstruktur der Städte stimmte weitgehend überein: Meist lag im Westen eine erhöhte, auf einer rechteckigen Plattform liegende Zitadelle – eine Art Oberstadt. Die restliche Stadt verteilte sich meist auf mehreren Hügeln östlich davon.

„Jede Stadt der Indus-Zivilisation – auch die kleineren – zeigen diese grundlegende Zweitteilung aus Zitadelle und Unterstadt“, berichtet Kumar. „Diese Indizien für eine zentralisierte Stadtplanung sind eines der herausragenden Merkmale dieser Kultur, sie gehört damit zu den fortgeschrittensten urbanen Zivilisationen der Welt.“

Mohenjo-Daro
Ruinen der Oberstadt von Mohenjo-Daro, der größten Metropole der Indus-Kultur.
Das Rätsel der Festungsmauern

Ein weiteres typisches Merkmal der Indus-Städte sind die massiven Befestigungsanlagen: Beide Stadtteile waren von meterdicken, sich nach oben verjüngenden Mauern aus gebrannten Lehmziegeln und Steinen umgeben. In Harappa war die Basis dieser Mauern bis zu 14 Meter breit. Durchbrochen waren diese Mauern durch komplexe, überdachte Torbauten. „Eines dieser relativ gut erhaltenen Tore in Harappa ist rund 2,80 Meter breit – gerade groß genug, um beladene Ochsenkarren einzeln in die Stadt hinein oder aus ihr hinaus zu lassen“, so Kumar.

Doch warum schützten die Menschen der Indus-Zivilisation ihre Städte durch solche massiven Befestigungen? Naheliegend wäre die Vermutung, dass die Mauern dem Schutz vor Feinden dienten. Tatsächlich gab es in den Anlagen Räume und Gänge, die offenbar von Wächtern genutzt wurden. „Viele Archäologen waren daher der Ansicht, dass diese Befestigungen militärischen Zwecken dienten“, erklärt Kumar.

Seltsam ist allerdings, dass den Mauern und Toren der Indus-Städte einige Merkmale fehlen, die sonst für Verteidigungsanlagen typisch sind: Sie hatten keine wassergefüllten Gräben und in den Mauern fehlten auch plötzliche Kehren und andere Strukturen, die einen Überfall erschwert hätten. Hinzu kommt, dass die die Relikte aus der Blütezeit der Indus-Kultur keinerlei Spuren von Kriegen oder Konflikten umfassen – weder als Zerstörungen an Gebäuden noch in Form von Kampfszenen auf Kunstobjekten oder Keramiken. Wo die massiven Befestigungen diente, ist daher bis heute umstritten. Einige interpretieren sie als Schutz gegen Hochwasser oder Diebstahl statt als militärische Verteidigungsanlagen.

Badehaus
Blick auf das große Badehaus der Zitadelle von Mohenjo-Daro.

Keine Tempel und Paläste

Ungewöhnlich ist auch, was in den Städten der Indus-Zivilisation fehlte: Nach Entdeckung der ersten erhöhten Zitadelle erwarteten Archäologen, in diesen Oberstädten große Tempel, Paläste und andere typische Bauwerke der religiösen und politischen Eliten zu finden. Doch diese gab es nicht. „Die Menschen dieser Zivilisation bauten keine gewaltigen Monumente, ihre Kultur war zwar sehr fortschrittlich, aber gleichzeitig auch einfach und utilitaristisch“, sagt Kumar.

In den Oberstädten der Indus-Kultur gab es zwar einige größere Gebäude. Diese wurden aber als eher öffentliche oder administrative Gebäude identifiziert: Es handelte sich größtenteils um Badehäuser, Vorratsgebäude und Versammlungshallen. Auch in den Vierteln der Unterstadt gab es neben den Wohnhäusern und Werkstätten einige solcher öffentlicher Gebäude. Archäologen vermuten deshalb, dass die Indus-Zivilisation zwar Hierarchien besaß, diese aber nur schwach ausgeprägt waren. Die Gesellschaft war möglicherweise eher egalitär strukturiert, die politischen und religiösen Führer erhielten ihre Befugnisse von der Bevölkerung.

„Die Menschen dieser Zivilisation bauten keine Monumente ihrer Macht, begruben ihre Reichtümer nicht mit den Toten und kämpften auch keine blutigen und legendären Schlachten“, erklärt Kumar. „Trotzdem entwickelten sie die hochorganisierte und unglaublich fortgeschrittene erste urbane Zivilisation Südasiens.“

Architektur, Maßeinheiten und ein Fernhandelsnetz
Genormt und effizient

Eines der erstaunlichsten Kennzeichen der Indus-Kultur war ihre Einheitlichkeit: Nahezu alle Städte und Wohnhäuser waren nach dem gleichen Schema aufgebaut, nutzen ähnliche Technologien und Größenverhältnisse. Auch im Hinblick auf diese Normierung wirken die Metropolen der Indus-Zivilisation erstaunlich modern: Es herrschte praktische Sachlichkeit.

Hausgrundrisse udn Straßen in Mohenjo-Daro
Die Städte der Indus-Kultur waren geordnet strukturiert – wie auf dem Reißbrett angelegt.

Einheitliche Häuser, moderne Kanalisation

In den Indus-Städten waren die aus gebrannten Lehmziegeln gebauten Häuser in Blocks angeordnet, ähnlich wie in den meisten modernen Städten. Sie waren alle ähnlich groß, hatten einen rechteckigen Grundriss und mehrere Räume. „Ein typisches Haus war um einen offenen Hof gebaut, von dem man in die verschiedenen Räume gelangte – diese Struktur sieht man noch heute bei traditionellen Häusern dieser Region“, berichtet Anil Kumar von der Universität Lucknow. Einige Häuser besaßen noch ein zweites Stockwerk, bei anderen boten Dachterrassen im Obergeschoss zusätzlichen Raum.

Erstaunlich jedoch: In den Metropolen der Indus-Kultur gab es nicht nur zentrale Badehäuser und eine stadtweite Kanalisation – die Bewohner hatten teilweise sogar fließendes Wasser in den Häusern und eigene Abwassersysteme. „Badeplattformen und Latrinen der Häuser waren über Leitungen aus gebranntem Ton mit den mittelgroßen Abwasserkanälen in den Straßen verbunden“, erklärt Kumar. „Ausgrabungen zeigen, dass es in den Räumen Abflüsse gab und in den Wänden verlegte Fallrohre, die in die Straßenkanäle führten.“ Umgekehrt führten Leitungen von großen städtischen Wasserreservoiren bis in einzelne Häuser.

Gewichtsklötzchen der Indus-Kultur
Die Indus-Zivilisation nutzte einheitliche Maßeinheiten und Gewichte, hier Gewichtsklötzchen aus Mohenjo-Daro
Feste Maßeinheiten

Wie weit fortgeschritten die Indus-Kultur war, zeigt sich auch an ihrem einheitlichen und erstaunlich präzisen System von Maßeinheiten: Gebäude, Plätze und selbst die Lehmziegel folgten offenbar festen Größenverhältnissen, wie Vermessungen zeigen. Und diese Größen lassen sich auf einen einheitlichen kleinsten Nenner herunterbrechen: 17,6 Millimeter betrug wahrscheinlich die Grundeinheit des Indus-Maßsystems.

Indiz dafür ist eine 2008 in der Indus-Stadt Kalibangan entdeckte Waage, auf deren Querbalken in regelmäßigen Abständen Linien eingeritzt waren. Größere Linien lagen im Abstand von 17,6 Millimetern, mehrere kleinere Markierungen dazwischen kennzeichneten offenbar Untereinheiten dieses als Angulam bezeichneten Maßes. „Schon zum jetzigen Zeitpunkt können wir sagen, dass die Harappa-Architekten und Steinmetze nicht an zufällige Konstruktionen glaubten, sondern präzisen Regeln der Proportion und Ästhetik folgten“, erklärt der Indus-Experte Michel Danino.

….und Referenzgewichte

Auch beim Gewicht gab es in der Indus-Zivilisation feste Größen, wie Archäologen bereits 1931 bei den ersten Ausgrabungen in Mohenjo Daro entdeckten. Sie stießen dort auf mehrere würfel- und quaderförmige Klötzchen aus Kalkstein, die unterschiedlich groß waren. Im Laufe der weiteren Ausgrabungen wurden auch in anderen Städten solche Klötzchen entdeckt, die den ersten Funden ähnelten wie ein Ei dem andern. Die Klötzchen tauchten meist dort auf, wo sich auch Relikte von Waren, Siegeln und anderen Paraphernalien des Handels fanden.

Inzwischen ist klar, dass diese Klötzchen Referenzgewichte darstellen – sie wurden beim Wiegen von Handelsgütern genutzt. Die Basiseinheit war dabei offenbar etwas leichter als unser Gramm, die kleinsten Klötzchen bringen 0,89 Gramm auf die Waage. „Die Indus-Gewichte sind extrem standardisiert: Innerhalb einer Gewichtsklasse weichen sie nur um rund sechs Prozent voneinander ab“, erklärt Mayank Vahia vom Tata-Institut für Grundlagenforschung in Mumbai.

Rohstoffe als Expansionsgrund?

Diese Standardisierungen könnten für die Indus-Zivilisation auch deshalb wichtig gewesen sein, weil sie viele ihrer Rohstoffe und Güter über weite Entfernungen und kulturelle Grenzen hinweg transportierte. „Ihre Mobilität und Verbreitung über ein riesiges Gebiet mit unterschiedlichen Ökozonen, Umweltbedingungen und wirtschaftlichen Ressourcen ist einer der wichtigen Aspekte der Indus-Zivilisation“, erklärt Anil Kumar von der Universität von Lucknow.

Der Indus-Forscher vermutet, dass dies kein Zufall war: “Im Indus-Tal selbst gibt es kaum Rohmaterial, das die Bedürfnisse dieser Zivilisation decken konnte“, erklärt Kumar. „Möglicherweise entwickelte sich dieses Reich vor allem deshalb, weil sie weit auseinanderliegende Gebiete mit reichen Ressourcen vereinnahmen und deren ökonomisches Potenzial nutzen konnten.“ So wurde beispielsweise Holz aus Kaschmir herangeschafft, Kupfer aus dem Bhawalpur Distrikt in Pakistan und Halbedelsteine aus Gujarat in Indien.

Siegel aus Akkadien
Dieses Zylindersiegel aus dem akkadischen Reich zeigt einen „Übersetzer für die Sprache der Meluhhan“, wie die Inschrift verrät. Meluhhan war der akkadische Name für die Indus-Kultur. Dies zeugt von den engen Beziehungen beider Kulturen.
Handelsbeziehungen bis nach Mesopotamien und Ägypten

Zusätzlich unterhielten die Menschen der Indus-Zivilisation aber auch weitreichende Handelsbeziehungen mit anderen großen Reichen der Bronzezeit. „Die Entdeckung von Siegeln, Gewichten und Gefäßen der Indus-Kultur in ganz Zentralasien und mesopotamische Keilschrifttexte zeigen, dass Händler aus dem Industal regelmäßig in diese Regionen reisten um mit lokalen sozioökonomischen und politischen Größen zu handeln“, erklärt Dennys Frenez von der Universität Bologna (doi: 10.1093/acrefore/9780190277727.013.595). Die Handelbeziehungen reichten sogar bis nach Ägypten, Anatolien und in den Kaukasus.

Die Indus-Zivilisation könnte ihre Exportartikel zudem perfekt an die Nachfrage anderer Kulturen angepasst haben. „Einige Produkte wurden im Industal so entwickelt und produziert, dass sie spezifische Bedürfnisse fremder Märkte erfüllten“, berichtet Frenez, „Die Indus-Handwerker bewegten sich dabei außerhalb ihrer heimischen kulturellen Traditionen und passten ihre Produktionen an den Geschmack der ausländischen Eliten an.“

Dass damals nicht nur Güter, sondern auch Menschen der Indus-Zivilisation weit nach Westen gelangten, bewies 2019 eine vergleichende DNA-Analyse von gut 500 bronzezeitlichen Toten aus verschiedenen Teilen Zentral- und Südasiens sowie der eurasischen Steppe. Dabei identifizierten Vagheesh Narasimhan von der Harvard University und sein Team in Turkmenistan und dem Iran auch mehrere Tote, die südasischer Herkunft waren und deren genetische Merkmale sich mit den Angehörigen der Indus-Zivilisation deckten. Dies bestätigt, dass die Indus-Kultur weitreichende Beziehungen mit anderen Kulturkreisen der Bronzezeit unterhielt.

Die nicht entschlüsselte Schrift der Indus-Kultur
Geheimnisvolle Zeichen

Dreiecke, Kreise mit kreuzartigen Zeichen darin oder pflanzenähnliche Symbole – die Schrift der Indus-Bewohner erinnert an eine Mischung aus ägyptischen Hieroglyphen und der sumerischen Keilschrift. Aber verwandt ist sie mit keiner der beiden – und was ihre Zeichen bedeuten, ist noch immer unbekannt.

Sieegel der Indus-Kultur
Siegel der Indus-Kultur mit „Einhorn“ und Indus-Schriftzeichen.

Tiersymbole und rätselhafte Zeichen

Ein Grund dafür: Im Gegensatz zu den meist langen Keilschrifttexten aus Mesopotamien tauchen die Schriftzeichen der Indus-Kultur häufig nur in kurzen Folgen auf. „Alle Schriftfunde teilen ein hervorstechendes Merkmal: ihre Kürze“, erklärt der auf indischen Sprachen spezialisierte Linguist Michael Witzel von der Harvard University. „Die längste je gefundene Inschrift besteht aus 34 Zeichen. Die allermeisten umfassen jedoch nur ein oder zwei Symbole. Das ist einzigartig unter den literaten Zivilisationen.“

Die Schriftzeichen finden sich meist auf tönernen Siegeln, kleinen Tafeln und einer Art Amulett. Vor allem auf den Siegeln sind sie häufig mit Tierfiguren kombiniert, darunter besonders oft mit einem mythischen einhörnigen Tierwesen – einer Art Einhorn. „Die Tiersymbole repräsentierten möglicherweise bestimmte Personen oder Clans, die Schrift könnte dann den Namen des Eigentümers oder seine Legitimation nennen“, mutmaßt der Archäologe Jonathan Kenoyer von der University of Wisconsin-Madison. Aber auch auf Tongefäßen, Bronzewerkzeugen und Goldschmuck haben er und seine Kollegen die rätselhaften Schriftzeichen gefunden. Auch dort könnten es Namen sein, die die Bewohner der Indus-Region vor fast 5.000 Jahren hinterließen.

Unbekannte Sprache(n)

Doch trotz jahrzehntelanger Versuche, die Schrift der Indus-Zivilisation zu entziffern, ist sie heute noch genauso rätselhaft wie bei ihrer Wiederentdeckung. „Die Indus-Schrift ist seit fast 130 Jahren bekannt. Aber trotz mehr als 100 Versuchen ist es bisher nicht gelungen, sie zu entziffern“, sagt Rajesh Rao von der University of Washington. „Die grundlegende Annahme war dabei, dass diese Schrift eine Sprache repräsentiert.“

Aber welche? Bisher wissen wir nicht, in welcher Sprache sich die Menschen der Indus-Zivilisation unterhielten. Einige Archäologen und Linguisten vermuten, dass es sich um eine proto-Dravidische Sprache handelte – die Sprachfamilie, zu der heute die meisten im Süden Indiens sowie im Süden Pakistans gesprochenen Sprachen gehören. Andere sehen sumerische, hethitische, chinesische oder indo-arische Einflüsse.

Doch bisher ist nicht einmal klar, ob die Menschen in diesem Riesenreich alle die gleiche Sprache nutzten oder ganz verschiedene. Ähnliches gilt für die Indus-Schrift: Repräsentierten diese Zeichen Wörter in nur einer Sprache oder wurde vielleicht eine Schrift für mehrere Sprachen genutzt?

Indus-Zeichen
Indus-Schriftzeichen auf einem in der persischen Stadt Susa entdeckten Siegel.
Sind die Zeichen eine echte Schrift?

Einige Forscher, darunter auch Michael Witzel, bezweifeln sogar, dass es sich bei den Zeichen der Indus-Zivilisation überhaupt um eine echte Schrift handelt. Ihrer Ansicht nach erfüllen die Symbole nicht die Kriterien, die für die schriftliche Aufzeichnung einer Sprache typisch und nötig sind. Neben dem Fehlen längerer Texte sieht Witzel vor allem in der Häufigkeitsverteilung der Zeichen: Die meisten Schriftsprachen nutzen einen begrenzten Fundus an Symbolen, um Wörter, Silben oder Buchstaben darzustellen. Diese werden dann jeweils unterschiedlich kombiniert, um die gewünschte Bedeutung zu repräsentieren.

Die Indus-Zeichen zeigen jedoch eine etwas andere Verteilung: Zwar haben viele Symbole im gesamten Fundus eine hohe Häufigkeit. Doch diese häufigen Zeichen treten innerhalb einer Inschrift fast nie wiederholt auf, wie Witzel berichtet. Für eine echte Schriftsprache sei dies sehr ungewöhnlich. Vergleichbar wäre dies einem deutschen Satz, in der jeder Buchstabe nur einmal vorkommt. Witzel hält die Indus-Zeichen daher nicht für eine echte Schrift, sondern eher für vorschriftliche Piktogramme.

Strukturierte Abfolge

Dem allerdings widersprechen Rajesh Rao und seine Kollegen. Sie haben die Rätselzeichen vergleichenden Computeranalysen unterzogen, in denen sie nach Muster und Hierarchien in der Abfolge der Zeichen suchten und diese mit denen verschiedener Schriftsprachen und gesprochener Sprachen verglichen. Zusätzlich zogen sie die Basenabfolge der DNA, bakterielle Proteinsequenzen, die Computersprache Fortran sowie komplett zufällige Zeichenfolgen zum Vergleich heran.

Das Ergebnis: „Wir haben statistische Regelmäßigkeiten bei den Indus-Inschriften gefunden, die mit denen einer natürlichen Sprache übereinstimmen“, berichtet Rao. Demnach entspricht die Struktur dieser Zeichen am ehesten denen einer gesprochenen Sprache, unterscheidet sich aber klar von den nichtlinguistischen Zeichenfolgen. „Diese Ergebnisse bestätigen, dass der Indus-Schrift eine klare Logik zugrunde liegt“, erklären die Forscher. Welche Logik und damit Sprache dies ist, bleibt aber weiterhin unbekannt.

Noch fehlt ein Rosetta-Stein

Interessant auch: Siegel mit Indus-Zeichen wurden nicht nur im Territorium dieser Kultur gefunden, sondern in Mesopotamien. Dort sind die Symbole jedoch anders angeordnet als die aus dem Indus-Tal – möglicherweise dort die gleichen Symbolfolgen eine andere Bedeutung hatten. „Die Entdeckung, dass die Indus-Schrift flexibel genug gewesen sein könnte, um in Westasien andere Themen darzustellen ist provokant“, sagt Rao. „Sie ist schwer damit vereinbar, dass es sich bei den Hieroglyphen nur um religiöse oder politische Symbole handeln soll.“

Ob die rätselhaften Symbole wirklich eine echte Schrift waren und was sie bedeuten – diese Fragen bleiben bisher unbeantwortet. Die Archäologen und Linguisten hoffen hier auf den Zufall oder schlicht Glück – in Form neuer Funde, die vielleicht mehr Licht ins Dunkel bringen. „Wir werden es niemals sicher wissen, bis jemand eine zweisprachige Tafel findet, eine Art Rosetta-Stein des Indus“, konstatiert Kenoyer.

Anfang 2025 setzte der leitende Minister der indischen Region Tamil Nadu ein Preisgeld von einer Million US-Dollar für dem Entzifferung der Indus-Schrift aus. Eine der Hoffnungen ist, dass fortgeschrittene KI-Systeme das Rätsel um Sprache und Schrift dieser Kultur endlich lösen.

Was brachte die Hochkultur am Indus zu Fall?

Der Niedergang

Ruinen von Mohenjo-Daro
Ab etwa 1900 v. Chr. zerfiel das Reich der Indus-Zivilisation, die Menschen verließen in Scharen die großen Metropolen wie hier Mohenjo-Daro.

Um rund 1900 vor Christus endete die Indus-Zivilisation genauso rätselhaft wie sie 700 Jahre zuvor einst begonnen hatte. Das Reich, das einst 1,5 Millionen Quadratkilometer und ein Zehntel der gesamten damaligen Weltbevölkerung umfasste, kollabierte. Die Menschen gaben die Städte auf und verließen die gesamte Region in Scharen.

„Diese Periode war eine Zeit des sozialen Wandels in der gesamten Zivilisation: die bisherige Einflusssphäre der Kultur kollabierte, die Bevölkerung begann, die Städte zu verlassen, und viele technische und kulturelle Errungenschaften wurden aufgegeben“, erklärt Gwen Robbins Schug von der Appalachian State University in den USA.

Zunehmende Gewalt und Krankheiten

Aber warum? Bisher gibt es zu dieser Frage eine ganze Reihe von Hypothesen und Theorien, aber nur wenige eindeutige Belege. Einige Forscher suchen die Ursache in sozio-ökonomischen Entwicklungen, darunter sozialen Unruhen, Invasionen durch Nachbarvölker oder einen nachlassenden Handel. Tatsächlich haben Schug und ihr Team schon im Jahr 2012 Hinweise auf zunehmende Gewalt und Konflikte in der Indus-Metropole Harappa entdeckt (doi: 10.1016/j.ijpp.2012.09.012). Bei Skeletten aus der Spätphase der Zivilisation fanden sie auffallend viele Knochenbrüche und Schädelverletzungen, wie sie typischerweise bei Kämpfen entstehen.

Schädel aus Harappa
Dieser Schädel aus Harappa zeigt eine schwere Verletzung des Schädels, aber auch Hinweise auf infektiöse Knochenveränderungen am Schädel und Kiefer.

„Die Art der Schädeltraumata passt nicht zu Unfällen oder Schäden, die nach dem Tod entstanden sein können“, erklären die Archäologen. „Stattdessen deuten die Daten klar auf zwischenmenschliche Gewalt hin.“ Ihrer Einschätzung nach könnte die Rate der Gewalttaten in Harappa sogar die höchste in ganz Südostasien dieser Zeit gewesen sein.

Doch das war nicht alles. In einer weiteren Studie fanden Schug und ihre Kollegen heraus, dass die Menschen in Harappa auch immer kränker wurden (doi: 10.1371/journal.pone.0084814). Während schwerwiegende Infektionskrankheiten während der Blüte der Indus-Städte eher selten waren, zeigten bis zu 21 Prozent der Toten aus der Niedergangsperiode dieser Kultur Anzeichen für eine Tuberkulose- oder Lepra-Erkrankung. Nach Ansicht der Archäologen zeugt auch dies von einer geschwächten, dysfunktionalen Gesellschaft. 

Ein weitreichender Klimawechsel

Doch was löste diesen Niedergang aus? Als möglicherweise entscheidender Faktor gilt heute ein Klimawechsel, der um diese Zeit weite Teile Eurasiens traf. Schon ab 2200 vor Christus sorgten Veränderungen in atlantischen Meeresströmungen und großräumigen Luftströmungen dafür, dass es in einem ausgedehnten Gebiet von Europa bis nach Ostasien immer trockener wurde. Die folge waren Missernten, Migrationen und Hungersnöte in vielen Kulturen dieser Zeit, darunter auch dem akkadischen Großreich.

Für die Indus-Zivilisation hatte die zunehmende Trockenheit ebenfalls dramatische Folgen, denn sie war für ihre Landwirtschaft fast vollständig vom saisonalen Monsunregen und den vom ihm ausgelösten regelmäßigen Überschwemmungen abhängig. Sie verliehen den Anbaugebieten entlang der Industal-Flüsse ihre Fruchtbarkeit. Vor allem die weiten Ebenen am Zusammenfluss von Indus und seinen drei Nebenflüssen Jhelam, Chenab und Ravi boten optimale Bedingungen, um reiche Ernten zu erzielen. Hier lag auch die Indus-Metropole Harappa.

Ende der Indus-Kultur
Die zunehmende Trockenheit zwang die Menschen, die großen Indus-Metropolen zu verlassen. Gegen Ende der Indus-Ära konzentrierten sich die Populationen im Süden und Norden des einstigen Territoriums. 
…und seine Folgen

Aber das änderte sich vor rund 4000 Jahren. Der Klimawechsel ließ die saisonalen Regenfälle immer häufiger ausfallen und das Zentrum des Monsuns verlagerte sich weiter nach Osten. Im Tiefland des Industals blieben dadurch die wichtigen Überschwemmungen immer häufiger aus. Als Folge konnten die großen Metropolen der Indus-Kultur den enormen Nahrungsbedarf ihrer zehntausenden Einwohner nicht mehr decken. „Klimawandel und ein zuvor massives Bevölkerungswachstum erzeugten eine Kombination aus umweltbedingten und demografischen Stressfaktoren“, sagt Schug.

Dies führte dazu, dass gesellschaftliche Konflikte zunahmen, Menschen nur noch unzureichend mit Nahrung versorgt wurden und auch die für die Gesundheit wichtigen Abwassersysteme in den Städten verfielen immer mehr, wie archäologische Ausgrabungen unter anderem in Harappa belegen. „Dies bestätigt, dass sowohl soziale als auch umweltbedingte Faktoren das Schicksal menschlicher Populationen prägen“, so Schug.

Auswandern statt bewässern

Seltsam jedoch: Während andere Kulturen in einer solchen Lage versuchten, den Wassermangel durch Bewässerungssysteme auszugleichen – wie beispielsweise später die Maya, taten dies die Menschen der Indus-Zivilisation offenbar nicht – zumindest sind keine archäologischen Zeugnisse einer Bewässerungslandwirtschaft erhalten.

Nach Ansicht von Archäologen könnte ein Grund sein, dass die Bewohner des Industals damals eine einfachere Alternative hatten: „Im Gegensatz zu den Bewohnern Mesopotamiens und Ägyptens, die von Wüsten und trockenem Land umgeben waren, konnten die Indus-Bewohner ausweichen – in die feuchteren Gebiete weiter östlich, Richtung Ganges“, erklärt Liviu Giosan von der Woods Hole Oceanographic Institution. Wie sie 2012 in einer Studie ermittelte, gab es in der Endzeit der Indus-Zivilisation eine deutliche Verlagerung der Bevölkerung weg von den großen Städten im Zentrum des Industals hin zu kleineren Siedlungen am Fuß des Himalaya.

In diesen Randalgen des Indus-Gebiets gab es trotz vorherrschender Trockenheit noch immer genug Regen und kleinere Überschwemmungen, um zumindest eine Ernte pro Jahr zu ermöglichen. „Dies könnte auch erklären, warum sich in der späten Zeit der Indus-Zivilisation die Siedlungen nahe am Ursprung des Ghaggar-Hakra-Systems ausdehnten“, sagt Giosan. Doch für die Bevölkerung der Indus-Großstädte war dies nicht genug. Sie wurden nach und nach verlassen und das einst so einflussreiche Reich der Indus-Zivilisation endete.

 

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