Mittwoch, 12. März 2025

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aus derStandard.at, 12. März 2025                                    
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Was Schule mit unserer Jugend macht
School-Life-Balance? Die gibt es in Österreich kaum. Eine neue Studie zeigt, dass Jugendliche im Schulalltag massiv unter Druck stehen. Wie Eltern ihrem Kind helfen können

Sechs Uhr morgens, der Wecker klingelt, schnell ein paar Whatsapp-Nachrichten beantworten, schauen, wer auf Tiktok geschrieben hat, den Stundenplan checken. Dann anziehen, was frühstücken und ab in die Schule. Acht Stunden Unterricht, nach Hause kommen, Hausübungen, danach noch lernen, zwischendurch Tiktok oder Gaming. Der Alltag vieler Jugendlichen in Österreich ist exakt durchgetaktet. Oft bleibt da wenig Zeit für Hobbys oder um Freunde zu treffen.

Weniger arbeiten, mehr leben – das ist das Ziel vieler Menschen. Die Work-Life-Balance soll stimmen, denn Stress und übermäßige Arbeitsbelastung können ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen: Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Burnout. Doch wie sieht es eigentlich mit dem Gleichgewicht zwischen Schule und Freizeit aus? Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass der Alltag von Jugendlichen häufig genauso stressig ist, wie der von Erwachsenen. Viele der 14- bis 17-Jährigen klagen über eine schlechte School-Life-Balance, die sich auf Psyche und Körper auswirkt. Vor allem schlechte Schülerinnen und Schüler geben an, dass sie mit ihrem Leben insgesamt unzufrieden sind.

Was belastet Teenager?

Das Nachhilfeinstitut Lernquadrat* hat rund 900 Oberstufenschülerinnen und -schüler österreichweit zur Qualität ihres Schullebens und ihres Lebens insgesamt befragt. Das Ergebnis: Noten oder Leistungsdruck in der Schule sowie Streit innerhalb der Familie oder mit Freunden wirken sich besonders negativ auf das Leben junger Menschen aus. Für die Hälfte ist zu wenig Freizeit ein Problem, und vier von zehn Befragten klagen über unsinnige Arbeitsaufträge von der Schule. Für Burschen steht das sogar an erster Stelle jener Dinge, die das Leben weniger schön machen.

Außerdem spannend: Nicht nachvollziehbare Benotung belastet deutlich mehr als schlechte Noten. Mit 66,2 Prozent Zustimmung liegt sie auf dem klaren ersten Platz der schulischen Belastungen, gefolgt von unangekündigten Wiederholungen und zu wenig Zeit zum Lernen. Dauerbrenner wie zu viel Lernstoff, Prüfungs- und Lernstress und der Leistungsdruck in der Schule finden ebenso eine Mehrheit. Für mehr als die Hälfte der Jugendlichen ist die schlechte Vermittlung des Lernstoffs problematisch. Angekündigte Prüfungen belasten im Vergleich deutlich weniger, mündliche jedoch etwas mehr als schriftliche.

Drei Viertel der Schülerinnen und Schüler fühlten sich in der Schule bereits einmal ungerecht behandelt, großteils vom Lehrpersonal. Deutlich weniger haben Probleme mit ihren Klassenkollegen.

Körperliche Folgen

"Die Belastungen des Schullebens wirken sich in vielerlei Hinsicht auf die Jugendlichen aus", sagt Angela Schmidt vom Nachhilfeinstitut Lernquadrat. "Neben den körperlichen und seelischen Folgen wird auch eine negative Leistungsspirale in Gang gesetzt und mit jedem neuen Problem ordentlich befeuert." Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit sind die häufigsten körperlichen Folgen. Besonders betroffen sind Mädchen. Nur 15,5 Prozent der Befragten geben an, bisher keine gesundheitlichen Auswirkungen, ausgelöst durch Probleme in der Schule, gehabt zu haben.

Die Umfrage hat auch gezeigt: Viele Jugendliche (30 Prozent) macht es traurig, wenn sie sich in der Schule schlecht oder ungerecht behandelt fühlen, besonders Mädchen fressen das Problem in sich hinein. Andere resignieren, weil sie der Meinung sind, es würde ihnen schaden, das anzusprechen. Manche reagieren aber auch mit Zorn oder Aggression. Nur ein kleiner Teil spricht das Problem sofort an.

Probleme in der Schule wirken sich massiv auf die Leistungsfähigkeit junger Menschen aus, wie die Umfrage zeigt. Schlechter Schlaf, der zu Übermüdung führt, eine schlechtere Merk- und Konzentrationsfähigkeit und das Abschweifen der Gedanken sind häufige Folgen. Fast jeder zweite Teenager gibt an, dass das Lernen dann insgesamt schwerer fällt oder es kommt zu Blackquts bei Prüfungen. Schlechte Schülerinnen und Schüler sind hiervon überdurchschnittlich stark betroffen.

Was können Eltern tun?

Viele Eltern machen sich Sorgen um ihre Kinder, wenn diese sich durch Schulthemen traurig oder gestresst fühlen. Sie fragen sich, wie sie ihrem Kind helfen können. "Am besten, indem Eltern den Druck herausnehmen", sagt Elisabeth Kohl. Sie ist Schul- und Elterncoach und weiß aus Erfahrung, dass es oft die Eltern selbst sind, die den Druck ausüben - wenn auch nicht immer bewusst: "Ich erlebe in meiner Praxis viele Eltern von Volksschulkindern, die Angst davor haben, ihr Kind würde eine schlechte Note schreiben und nicht die geforderte Leistung erbringen, um ins Gymnasium zu kommen." In den ersten zwei Jahren Volksschule wird laut Kohl der Grundstein dafür gelegt, ob und mit welcher Freude Kinder in die Schule gehen. "Das kann die ganze Schullaufbahn prägen", sagt sie.

Viele Eltern kennen den Kampf um Hausaufgaben oder Lernzeiten und die Konflikte, die damit auch in der Familie entstehen. Das Kind hat in drei Tagen einen Mathe-Test, wann lernt es endlich dafür? Schon fünfmal hat man daran erinnert. Ist das schon Druckmacherei? "Viele Eltern wollen möglichst entspannt mit dem Thema Noten umgehen, aber kaum bringt das Kind die erste Vier oder Fünf nach Hause, schlägt die Gelassenheit in Nervosität um", sagt Kohl. Sicher sei es nicht immer leicht, das richtige Maß an Vertrauen bei Schulthemen zu finden. Doch die Expertin ist sich sicher: "Je früher man die Verantwortung an das Kind übergibt, desto besser." Damit meint sie konkret: Das Kind sollte von Beginn an seine Hausaufgaben eigenständig machen und später sollte es selbst entscheiden, wann und wie viel es für Prüfungen lernt.

Diese Erfahrung hat auch die Wienerin Claudia S. mit ihren beiden Söhnen (13 und 17) gemacht: "Bei meinem älteren Sohn habe ich alles nachkontrolliert, habe ihn zum Lernen gedrängt, was nicht nur für ihn, sondern auch für mich mühsam war." Doch dann kam Corona, der damals 13-Jährige saß plötzlich im Homeschooling und hat sich alles selbst organisiert. "In der Pandemie ist er sehr selbstständig geworden", sagt die Mutter. Probleme in der Schule gab es nie wieder, was vor allem damit zu tun hätte: "Ich habe volles Vertrauen in meine Söhne, dass sie ihren Weg gehen", sagt Claudia S. "Beide haben keinen besonders großen Anspruch an Noten – ihnen reicht ein Dreier oder Vierer." Die Lehrer der Burschen hätten das anders gesehen. Immer wieder wurden die Eltern für Gespräche in die Schule gebeten. "Dort hieß es, dass meine Kinder mit mehr Anstrengung auch bessere Noten haben könnten", sagt die Mutter. "Ich finde aber, dass man es sich im Leben auch leichter machen kann."

Eltern als Vorbilder

Schulcoach Elisabeth Kohl bestätigt: "Wenn ich den Wert eines Kindes mit Schulnoten bemesse, dann hat es wahrscheinlich einen schlechten Selbstwert." Für Eltern sei es ein wichtiger Lernprozess, ihrem Kind zu vertrauen. "Viele Eltern denken, sie müssen über alles die Kontrolle haben", sagt Kohl. Das seien jene Kinder, die dann in der Oberstufe völlig unselbstständig und damit häufig überfordert sind. Sie findet: "Umso weniger Eltern eingreifen, desto besser entwickeln sich ihre Kinder." Gerade in der Oberstufe sei es an der Zeit, loszulassen und den Fokus auf sich selbst zu legen. Eltern sollten sich fragen: "Bin ich selbst eigentlich mit dem glücklich, was ich da mache?"

Eltern sind für Kinder große Vorbilder. Im Umgang mit Arbeit, Stress oder Work-Life-Balance wären sie aber ganz schlechte Vorbilder: "Wenn der Vater morgens schlecht gelaunt zur Arbeit geht, wöchentlich seine 40 Stunden oder mehr arbeitet, müde nach Hause kommt, dann denken sich Kinder zu Recht, dass sie so nie werden möchten." Ganz oft würden Jugendliche außerdem den Sinn hinter dem, was sie in der Schule lernen, nicht sehen: "Wissen kann heutzutage überall abgefragt werden. Die Jugendlichen spüren und fühlen, dass sie all das, was sie in der Schule unter Druck lernen, wahrscheinlich nie wieder im Leben brauchen."

In der Umfrage mit 900 Schülerinnen und Schülern gaben 64,5 Prozent auch an, dass sie sich für ein besseres Schulleben mehr Praxis und weniger Theorie wünschen würden und dass vor allem unsinnige Arbeitsaufgaben sie belasten. "Eltern, die Verständnis zeigen für ihre Teenager, die nachvollziehen können, dass der Lernstoff manchmal wirklich unsinnig sein kann, nehmen automatisch Druck raus", sagt Kohl. Oft würde es schon helfen, wenn Eltern einfach nur zuhören, ohne zu urteilen, und die Ängste und Sorgen des Kindes ernst nehmen: "Man muss als Eltern nicht immer gleich Lösungsvorschläge parat haben." 

 

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