aus FAZ.NET, 22. 3. 2025 zu Philosophierungen
Ich ist schon da
Wie
sich französische Poststrukturalisten verstehen und aus einer einzelnen
Frage ganze Denkwelten erschließen lassen: dem Philosophen Manfred
Frank zum achtzigsten Geburtstag
Von
Um
1980 herum wurden an manchen deutschen Universitäten die seit 1968
Wir-kung entfaltenden französischen Poststrukturalisten bekannt. Lacan
und Derrida, Foucault und Deleuze waren dabei ein Gerücht selbst bei
denen, die unter dem Eindruck des letzten Schreis aus Paris versucht
hatten, sie zu lesen. Ihre Texte wirk-ten noch in den Übersetzungen
absichtsvoll verrätselt, von den Originalen ganz zu schweigen, die von
der Romanischen Buchhandlung in Charlottenburg beschafft wurden. In der
Zeit, die sie dafür brauchte, hätte man allerdings auch mit der Ente an
die Seine fahren können, um die „Grammatologie“ oder den „Anti-Ödipus“
dort selbst abzuholen. Deren Schwierigkeit versprach Tiefe. Jacob Taubes
an der Freien Universität Berlin, der Jacques Derrida
gerade zu einem Vortrag über Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“ eingeladen
hatte, spottete allerdings, die Studenten näh-men zu ernst, was in den
Cafés der Rive gauche oft nur als Provokation und Spiel gemeint sei.
Dann aber erschien 1983 die Vorlesung „Was ist Neostrukturalismus?“ des damals in Genf lehrenden Philosophen und Germanisten Manfred Frank. Ganz geduldig, umfassend und sehr ernst erläuterte er, was es mit den Pariser Zeichen-, Sprach- und Bewusstseinstheorien auf sich hatte. Wodurch sie sich von ihren strukturali-stischen Vätern, mit denen hierzulande ebenfalls nur eine Minderheit vertraut war, abhoben. Was die Pointe dieser Debatten war: der Kampf gegen die Vorstellung, die Sprache repräsentiere stabile „identische“ Bedeutungen. Wie sich diese Debat-ten auf das bezogen, was die deutsche Philosophie damals als ihre Tradition be-zeichnete. Worin ihre „überzogene Radikalität“ bestand.
Der Kenner der deutschen Romantik
Franks Buch war auch für diejenigen, die es weder mit dem Pariser Denkstil noch mit seinem hatten, eine Zäsur. Von nun an war wenigstens klar, wozu man sich verhielt. Seine 27 Vorlesungen waren aus großer Kenntnis ihrer Gegenstände gear-beitet, und ihr Autor hatte sich erfolgreich vorgenommen, nicht unverständlich zu sein.
Wer nachlas, was dieser französisch-deutsche Gedankenübersetzer sonst schrieb, stieß auf ein umfangreiches Werk zur deutschen Romantik. Frank, der, in Wuppertal geboren, in Heidelberg und Berlin studiert hatte und lange an der Universität Düs-seldorf als germanistischer Assistent beschäftigt war, schien den umfangreichsten Zettelkasten überhaupt zu Novalis und Tieck, Schlegel und Hauff, Fichte und Schelling zu haben. Bücher über das Motiv der unendlichen Fahrt, des kommen-den Gottes und der modernen Mythologie, des kalten Herzens und des Ästheti-zismus quollen aus ihm nur so hervor. Zuweilen hatte man den Eindruck, Frank wolle uns das Lesen abnehmen. Mitunter konnte man sich überspült fühlen von seiner Kenntnis aller einschlägigen Stellen, aber ein Vorwurf erwuchs daraus na-türlich nicht.
Eine ursprüngliche Einsicht
Aus der Schule des Philosophen Dieter Henrich stammend, ging es Frank dauerhaft um die Frage, worin das menschliche Selbstbewusstsein bestehe. Gegen die bis nach Paris reichenden Behauptung Martin Heideggers, es sei eine Form der Selbstverge-genwärtigung (présence à soi), verwies Frank auf Novalis: „Was die Reflexion fin-det, scheint schon da zu seyn“. Will sagen: Man kann sich nicht finden, wenn man nicht schon weiß, wer gefunden werden soll. Oder mit einer Formulierung aus Franks jüngstem Buch über „Die Struktur der Subjektivität“: Ein Gegenstand kann uns nicht lehren, dass wir dieser Gegenstand sind.
So schlicht solche Sätze klingen, so verwinkelt sind die von Manfred Frank in vielen Büchern nachgezeichneten Argumentationen, die von den Romantikern über Fichte und Hölderlin bis zu Jean-Paul Sartre und Saul Kripke versucht haben, die Implika-tionen der allereinfachsten Vertrautheit mit sich selbst zu klären. Franks Werk ist so ein gutes Beispiel dafür, was Bildung heißt – aus einer ernsthaft verfolgten einzel-nen Frage heraus sich ganze Welten, hier: Denkwelten, zu erschließen. Heute gratu-lieren wir Manfred Frank zum achtzigsten Geburtstag.
Nota. - Die beste Art, einen wissenschaftlichen Denker zu würdigen, ist fachliche Kritik. Er kommt aus der Schule von Dieter Henrich, auf dessen Fichtes ursprüng-liche Einsicht er sich immer wieder bezieht. Denn mit ihm teilt er das fundamentale Missverständnis der Transzendentalphilosophie. Die "ist keine Bewusstseinsphilo-sophie, sondern eine pragmatische Geschichte der Vernunft. Darüber, wie ein reel-les, nämlich individuelles Bewusstsein entsteht, findet man darin nichts. Na ja, so gut wie nichts. Wenn eine individuelle Intelligenz den Weg der Vernunft einschlägt, kommt sie allerdings mit der Wissenschaftslehre 'in Berührung', indem ein Teil ihrer Bestimmungen - 'Quantum', würde Fichte sagen - in sie konstitutiv eingeht. Doch kann sie diesen Teil nur seiner Form nach beschreiben, aber Form ist eine Ab-straktion und nichts Reelles. Die Wissenschaftslehre ist das Schema einer jeden individuellen Intelligenz, soweit sie vernünftig wird. Wie sie es materialiter wird, kann die Wissenschaftslehre nicht sagen, denn eben das ist das Individuelle daran. Es ist singulär und kein möglicher Gegenstand begrifflicher Darstellung. Selbst bewusstsein 'gibt es' nicht in abstracto. Es 'kommt vor' als phainomenon eines noumenon." aus meinem Kommentar zu Dieter Henrichs Autobiographie, 18. 4. 21
Dieses grundlegende Missverständnis ist zäh, und umso zäher, als Manfred Frank sich nicht durchringen mag, die Wissenschaftlehre als Ganze zu bearbeiten, und sich auf eine ihr angeblich zugrundeliegende "ursprüngliche Einsicht" beschränken will. Fichte selbst verstand sie jedenfalls als einen einzigen Gedanken, und das müsste man ihm schon bestreiten, wenn man da lediglich einen Splitter herauszie-hen will - dann verlöre er nämlich alle Schärfe.
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