
aus derStandard.at, 28.3.2025 österreichische Fallschirmjäger zuöffentliche Angelegenheiten
Interwiew von Anna Giulia Fink
Europa werde gerade von "der neuen geopolitischen Realität eingeholt", fasst Walter Feichtiger, Sicherheitsexperte und Präsident des Center für Strategische Analysen, die Weltlage zusammen. Er sei aber optimistisch, dass Europa "gestärkt" aus all den momentanen Krisen hervorgehen werde.
STANDARD: Geheimdienste, Regierungen, die Nato und Fachleute warnen schon länger vor einer wachsenden Gefahr durch Russland. Nun, da sich die USA unter Donald Trump derart abrupt als Sicherheitsgarant aus Europa zurückziehen: Wie besorgt sind Sie?
Feichtinger: Besorgt ist für mich der unzutreffende Ausdruck. Ich bin ernüchtert. Es ist das eingetreten, was ich erwartet habe nach der ersten Periode von Trump als Präsident. Uns holt die neue geopolitische Realität ein. Und dass Russland sein Militär immer wieder als Mittel der Außenpolitik einsetzt, gehört offensichtlich zu dieser neuen Realität dazu.
STANDARD: Die USA haben seit 1945 für Europas Sicherheit gebürgt. Bei aller Kritik an Trump: Könnte es sich auch als positiv herausstellen, dass er die EU zwingt, sich sicherheits- und verteidigungspolitisch auf eigene Beine zu stellen?
Feichtinger: Das kann man ohne weiteres so sehen. Man hat ja schon seit der Annexion der Krim von einem "Weckruf für Europa" gesprochen. Nur ist man dann wieder sanft entschlafen und hat sich vor allem mit der Präsidentschaft von Joe Biden darauf verlassen, dass die Amerikaner das für uns erledigen. Zwar wurden die Verteidigungsbudgets der Nato-Staaten mühsam ein wenig angehoben, aber wirkliche Ernsthaftigkeit hat man nicht erkennen können. Ich will nicht so weit gehen, zu sagen, dass wir Trump dankbar sein sollen, aber er hat Europa wachgerüttelt und durchaus einiges bewirkt.
STANDARD: Es heißt nun oft, auf dem Papier könnte sich die EU gegen Russland wehren, weil sie wirtschaftlich wesentlich stärker und auch militärisch nicht so schlecht aufgestellt ist – wenn nur der Wille da wäre. Könnte sich Europa Stand jetzt gegen Russland verteidigen?
Feichtinger: Derzeit ist die konventionelle Verteidigung in Europa im Rahmen der Nato organisiert und massiv abhängig von den USA. Europa ist jetzt nicht in der Lage, die Kapazitäten zu ersetzen, die die USA bisher eingeplant hatten für den Ernstfall. Das ist völlig klar und wurde mittlerweile auch erkannt.
STANDARD: Um welche konkrete Bedrohung geht es genau? Ein Ende der nuklearen Sicherheitsgarantie hat Trump nie in den Raum gestellt, es ging stets um Militärbasen und Soldaten, die in Europa reduziert werden sollen.
Feichtinger: Es gibt mehrere: zunächst die hybride Machtprojektion, die wir schon permanent erleben: Cyberangriffe, Fake News, schleifende Ankerketten und dergleichen. Dann die konventionelle Gefahr in Form von Eroberungskriegen wie in der Ukraine. Hier ist Europa derzeit schwach aufgestellt, aber das könnte in wenigen Jahren verbessert werden, zumal Russlands Armee momentan geschwächt ist. Bei der atomaren Abschreckung haben wir ein enormes Defizit, weil wir uns hier zu 100 Prozent auf die USA verlassen haben. Frankreich und Großbritannien sind Atommächte, aber nicht in dem Verhältnis wie die USA oder Russland. Dass es von den USA nie eine Andeutung dahingehend gab, an der nuklearen Abschreckung zu zweifeln, halte ich für relativ beruhigend.
STANDARD: Russland spricht schon lange offen davon, dass es sich in einem Krieg mit dem Westen befindet. Sind wir in einem Krieg mit Russland – zumindest in hybrider Form, wie auch die jüngsten Spionagefälle in Österreich zeigen?
Feichtinger: Das würde ich auf keinen Fall so formulieren. Ich warne auch davor, das Wort Krieg zu inflationär zu verwenden. So erreicht man nur eine Abstumpfung oder Übersensibilisierung, sodass man am Ende nicht mehr weiß, wovon eigentlich genau die Rede ist.
STANDARD: Die Politik reagiert auf die neue Sicherheitslage, sagen Sie. Fehlt der Bevölkerung das Bewusstsein für diese neuen Realitäten?
Feichtinger: Viele Jahre hat der Politik das Bewusstsein dafür gefehlt, damit auch in der Bildung und der Öffentlichkeit. Jetzt bekommen wir die Rechnung dafür serviert. Sicherheit beginnt in den Köpfen. Wenn sich in den Köpfen durchgesetzt hat, dass es keinen Krieg gibt und keine militärischen Bedrohungen, dann wirkt das noch lange nach. Deshalb muss man jetzt behutsam darauf aufmerksam machen, dass Krieg ein Alltagsphänomen ist, auf das man sich vorbereiten muss. Das soll nicht in Alarmismus münden, sondern zu einem realistischen Sicherheitsverständnis führen. Das ist für westeuropäische Staaten momentan die größte Herausforderung schlechthin. Die Staaten an der Grenze zu Russland haben das schon längst verstanden.
STANDARD: Das Bundesheer genießt hohe Vertrauenswerte, wird am Nationalfeiertag gefeiert, aber zumeist mit zivilen Aufgaben verbunden.
Feichtinger: Das Militärische war die längste Zeit aus dem Alltag verbannt. Es gab ja Zeiten, wo Plakate verboten waren, auf denen ein Soldat mit Waffe gezeigt wurde, erlaubt waren nur Soldaten mit Schlammschaufeln.
STANDARD: In Umfragen zeigen sich nur wenige Menschen in Österreich bereit, das Land im Kriegsfall zu verteidigen. Was nützt das zusätzliche Geld für die Streitkräfte, wenn die Leute fehlen, die zu den Waffen greifen würden?
Feichtinger: Ich halte diese Umfragen für undifferenziert. Weil die Betroffenheit ein entscheidender Faktor ist, und derzeit eben der Glaube vorherrscht, es gebe keine Kriegsgefahr. Ich glaube, wenn man weiter nachfragen würde, wie man reagieren würde, wenn ein fremder Soldat in dein Haus dringt, dich vertreibt, deinen Kindern oder deiner Frau etwas antut – dann hätten wir ein anderes Ergebnis.
STANDARD: Sie sind einer der Unterzeichner, die kurz nach der russischen Vollinvasion der Ukraine in einem offenen Brief eine Sicherheitsdebatte in Österreich gefordert haben. Soll Österreich neutral, bündnisfrei oder Nato-Mitglied sein?
Feichtinger: Alle drei Optionen sind auf dem Tisch.
Wir müssen aber einmal die Diskussion führen, welches Konzept wir haben
wollen und was wir dafür brauchen. Daher verlange ich eine offene
Diskussion über die Zweckmäßigkeit der Neutralität, ob sie das bringt,
was wir uns alle vorstellen, ob sie uns schützt – was ich sehr kritisch
sehe – oder ob sie gar schadet. Die skandinavischen Länder haben diese
Diskussion über viele Jahre geführt und dann den Schritt gemacht von
Neutralität über Allianzfreiheit zur Nato. Diese Debatte müssen wir auch
führen, wobei das Ergebnis für mich offen sein kann.
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